Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Jahres
2009
Filmbuch des Jahres

Thomas Koebner
Ingmar Bergman
Eine Wanderung durch das Werk
edition text + kritik, München 2009
196 S., 32,80 €
ISBN 978-3-88377-920-1

Thomas Koebner:
Ingmar Bergman.
Eine Wanderung durch das Werk

Er war einer der Größten des europäischen Films. Als er starb, im Sommer 2007, gaben sich die Autoren der Nachrufe alle Mühe, diesem Genie gerecht zu werden. Sein Werk umfasst 40 Kinofilme und 21 Fern-sehfilme als Regisseur, diverse Filme als Drehbuchautor; dazu kommen zahlreiche Theaterinszenierungen. Seinen ersten Film drehte er 1945, seinen letzten 2003. Ingmar Bergman wurde 89 Jahre alt. 1997 bekam er in Cannes die „Palme der Palmen“ als „Bester Filmregisseur aller Zeiten“.

Wenn sich ein Autor auf den Weg macht, das Werk Bergmans zu durch-wandern, muss er eine gute Kondition mitbringen und sehr viel mehr als nur filmischen Sachverstand im Gepäck haben. Er sollte sich in der Theologie auskennen, denn bei Bergman geht es um Gott und die Welt; er sollte Psychologe und Philosoph sein, um all die seelischen und existentiellen Fragen zu verstehen, die Bergmans Filme stellen: die Fragen nach Jugend und Alter, Leben und Tod, Glück und Unglück, Schuld und Sühne. Er sollte sich in der europäischen Geschichte aus-kennen, denn nur wenige Bergman-Filme spielen in der Gegenwart. Er sollte viel von Bildern verstehen, denn Bergmans Kameramänner waren eigenständige Künstler; einiges von Musik, denn sie grundiert die Stim-mung seiner Filme; alles von Schauspielkunst, denn sie steht immer wieder im Zentrum; und ohne intime Kenntnis der nordischen Drama-tik und Literatur läuft bei der Entschlüsselung von Bergmans Filmen sowieso nichts.

Wie schön und ungewöhnlich, dass Thomas Koebner über alle diese Voraussetzungen verfügt und auch noch über die Fähigkeit, seine Erkenntnisse anschaulich zu vermitteln. Koebner, inzwischen emeri-tierter Filmprofessor, ist ein erfahrener Autor. Seine Passage durch Bergmans Filmwerk folgt streng der Chro-nologie. Aber sie wird in keinem Moment redundant oder ermüdend, weil er bei jedem Film andere Schwerpunkte setzt, Entwicklungen, Innovationen oder Varian-ten entdeckt und mit großer Sensibilität den Bergman-Kosmos zum Glühen bringt. Nicht jeder Film ist für ihn ein Meisterwerk, seine Vorbehalte gegenüber HAFENSTADT, AN DIE FREUDE oder auch SZENEN EINER EHE sind gut begründet und relativieren diese Titel an der Bedeutung der Schlüsselfilme. Das sind vor allem DAS LÄCHELN EINER SOMMERNACHT, DAS SIEBENTE SIEGEL, DAS SCHWEI-GEN, SCHANDE, SCHREIE UND FLÜSTERN und HERBSTSONATE. Es ist beeindruckend, wie komplex sich diese Filme lesen lassen und welche Subtexte ein Autor entdecken kann.

Für Koebners Bergman-Buch, den ersten Sonderband in der Reihe Film-Konzepte, die es inzwischen bereits auf 14 Nummern gebracht hat, wurde ein ungewöhnliches Format gewählt, das aber seine Vorteile hat. Mit 21 x 23 cm ist es fast quadratisch und lässt ein schönes Spiel zwischen zwei klassischen Textspalten und vielen unterschiedlich dimensionierten Fotos zu. Damit wirkt das Buch gleichzeitig beschei-den und opulent. Den Abbildungen fügt der Autor zusätzliche Kom-mentare hinzu, die den Erkenntnisgewinn zusätzlich vergrößern. Es ist klassisches Understatement, wenn Thomas Koebner in seiner Einlei-tung konstatiert, sein Buch könne natürlich nur „eine vorläufige Bestandsaufnahme leisten“. Nein, lieber Autor, hier wird nichts Vorläu-figes geleistet, sondern eine wunderbare, grundlegende Werkanalyse. Sie ist besonders hilfreich, weil inzwischen viele Bergman-Filme als DVDs verfügbar sind. So kann man sich, angeführt von dem Wanderer Thomas Koebner, selbst auf die Reise machen, und man wird fest-stellen, dass Ingmar Bergman in der Tat einer der Größten in der Geschichte des Films war.