Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Januar 2014

Elisabeth Bronfen
Hollywoods Kriege
Geschichte einer Heimsuchung
S. Fischer Verlag Wissenschaft, Frankfurt am Main 2013
526 S. 22,90 €
ISBN 978-3-10-009656-2

Elisabeth Bronfen:
Hollywoods Kriege.
Geschichte einer Heimsuchung

Kriegsfilme sind ein genuines Genre des Hollywoodkinos. Wie der Western, der Film noir, das Melodram oder das Musical. Andererseits – und diese Genrevermischungen sind typisch fürs amerikanische Kino – werden der Krieg und seine Folgen auch im Western, im Film noir, im Melodram und sogar im Musical thematisiert. Elisabeth Bronfen, Professorin am Englischen Seminar der Universität Zürich, hat sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Krieg im amerikanischen Film auseinandergesetzt. Ihr Buch erschien 2012 unter dem Titel „Specters Of War: Hollywood’s Engagement With Military Conflict“ bei Rutgers University Press und wurde jetzt, übersetzt von Regina Brückner, bei S. Fischer publiziert. Es ist, mit mehr als 500 Seiten, ein Grundlagenwerk. Seine Lektüre öffnet den Blick für viele bisher so nicht gesehene Zusammenhänge.

In einer umfänglichen Einleitung formuliert Elisabeth Bronfen ihr spezifisches Interesse am Thema: es geht ihr nicht um eine in sich geschlossene, chronologische Genregeschichte, sondern um die Darstellung des Krieges als offenes Kapitel, um thematische Verbindungslinien vom frühen Kino bis in die Gegenwart, um Analogien, um das Nachleben von Bildern, um Refigurationen. Die Autorin analysiert mehr als fünfzig Filme und hat ihr Material sieben Kapiteln zugeordnet. Sie bewertet die Filme nicht, sondern interpretiert Bilder und Szenenfolgen zumeist aus psychoanalytischer Sicht. Ihre wissenschaftlichen Partnerinnen und Partner sind dabei u.a. Mieke Bal, Robert Burgoyne, Stanley Cavell, Georges Didi-Huberman, Aby Warburg, Iain Calman und Paul A. Pickering, Michel Foucault und Siegmund Freud. Aber sie vertraut vor allem ihrem eigenen Blick, auch ihren Intuitionen und Gefühlen und natürlich ihrem filmischen Sachverstand.

Sie beginnt ihre Einleitung und schließt ihr Buch mit dem Hinweis auf die letzte Sequenz von Lewis Milestones ALL QUIET ON THE WESTERN FRONT (1930), in der wir den Protagonisten Paul Baumer, dessen Tod uns gerade erschüttert hat, in einer Rückblende sehen: wie er in die Schlacht marschiert, sich noch einmal zu uns umdreht, aber sein Körper und sein Blick sind jetzt überblendet von den Kreuzen eines riesigen Friedhofs. Bronfen: „Mein gesamtes Buch dreht sich genau um diesen gespenstischen Blick. Ich behaupte, dass das Kino als ein privilegierter Ort der Erinnerung fungiert, an dem die amerikanische Kultur kontinuierlich die traumatischen Spuren ihrer historischen Vergangenheit wiederverhandelt und dabei zeitgenössische soziale und politische Fragen im Lichte vergangener militärischer Konflikte  neu zu fassen versucht.“ Die Schlussszene ist auch das Titelbild des Buches.

Mit dem „Offenen Kapitel vom amerikanischen Bürgerkrieg“ beginnt der Hauptteil. Hier werden u.a. THE BIRTH OF A NATION (1915) von D.W. Griffith, GONE WITH THE WIND (1939) von Victor Fleming, MAJOR DUNDEE (1964) von Sam Peckinpah, RIDE WITH THE DEVIL (1999) von Ang Lee und THE GANGS OF NEW YORK (2003) von Martin Scorsese, analysiert. Im zweiten Kapitel, „Die Heimat und deren Unbehagen“, geht es vor allem um das Zuhause und die Rolle der Frau. Zu den Filmbespielen gehören TENDER COMRADE (1943) von Edward Dmytryck, FROM HERE TO ETERNITY (1953) von Fred Zinnemann, THE DEER HUNTER (1978) von Michael Cimino und SWING SHIFT (1984) von Jonathan Demme. „Kriegsentertainment“ handelt von der Darstellung des Militärs in Musicals und Biopics, von der GLENN MILLER STORY (1954) von Anthony Mann über HOLLYWOOD CANTEEN (1944) von Delmer Daves bis zu WHITE CHRISTMAS (1954) von Michael Curtiz.

Im Zentrum des Buches steht das Kapitel „Die Choreographie der Schlacht“, hier werden rund zwanzig Filmbeispiele analysiert, am ausführlichsten SAVING PRIVATE RYAN (1998) von Steven Spielberg. In „Den Krieg berichten“ geht es um die Vermittlung von Augenzeugen an die Heimat, zum Beispiel in BACK TO BATAAN (1945) von Edward Dmytryck, THE STORY OF G. I. JOE (1945) von William Wellman oder FULL METAL JACKET (1987) von Stanley Kubrick. „Kriegsgerichtsdramen“ waren ein spezieller Bereich, dazu gehörten u.a. THE CAINE MUTINY (1954) von Edward Dmytryk, PATHS OF GLORY (1957) von Stanley Kubrick und JUDGEMENT AT NUREMBERG (1961) von Stanley Kramer. Im letzten Kapitel, „Die fortwährende Heimsuchung durch den Krieg“, steht die Kriegstraumatisierung im Mittelpunkt, die natürlich auch in anderen Genres eine wichtige Rolle spielt, zum Beispiel im Film noir (ACT OF VIOLENCE, 1948,  von Fred Zinnemann), im Kriminalfilm (KEY LARGO, 1948, von John Huston) oder im Psychodrama (GRAN TURINO, 2008, von Clint Eastwood). Ich nenne die vielen Filmtitel, um das breite Spektrum der Auswahl konkret zu machen.

Es ist erstaunlich und bewundernswert, wie genau sich die Autorin auf die einzelnen Filme einlässt, wie sie – dem Prinzip der Montage folgend – Verbindungen herstellt, sich Assoziationen erlaubt und die Filme lebendig werden lässt. Nur eine Nebenrolle spielen dabei die realpolitischen Konflikte. Es geht um die Vielfalt filmischer Darstellungsformen und um einen beispielhaften Prozess, der uns in die Gegenwart begleitet. Natürlich wird in der Einleitung der Regisseur Samuel Fuller zitiert: „Film ist wie ein Schlachtfeld: Liebe, Hass, Action, Gewalt, Tod… Mit einem Wort: Emotion.“ Daraus folgt, in einer weitergedachten Analogie, dass Kriegsfilme für die Autorin „Kino par excellence“ sind.

Am Ende, dem Schlusswort angefügt, steht „Ein autobiografisches Präludium als Epilog“. Da erzählt Elisabeth von ihren Eltern, die sich kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs kennen gelernt haben. Ihr Vater war ein jüdisch-amerikanischer Offizier, ihre Mutter die Tochter eines deutschen Offiziers; die Liebe der Eltern begann in einer kleinen bayerischen Stadt, und die Beziehung war natürlich geprägt von den unterschiedlichen Kriegserfahrungen. Darüber schreibt Elisabeth in ihrem Epilog so subtil, dass man es einfach selbst lesen muss. Denn sie begründet damit, dass es keineswegs nur ein wissenschaftliches oder abstraktes Interesse war, das sie zu diesem Buch motiviert hat, sondern ein sehr persönliches. Ohne Subjektivität und Emotion ist die Arbeit dieser Autorin auch nicht denkbar. Deshalb lieben wir sie und ihre Bücher.