Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Juli 2013

Timothy O. Benson (Hg.)
Hans Richter: Encounters
München: Prestel Verlag 2013
224 S., 40 €
ISBN: 978-3-7913-5268-8

Timothy O. Benson (Hg.):
Hans Richter: Encounters

Er war Maler, Grafiker, Schriftsteller und vor allem ein Protagonist des deutschen Experimentalfilms. Hans Richter, geboren 1888 in Berlin, gestorben 1976 in der Schweiz, hat, beginnend in den frühen 1920er Jahren, den abstakten Film konsequent erweitert und mit seinem eigenen Stil Geschichte geschrieben. Sein Werk umfasst an die vierzig Filme, der letzte entstand 1968 in den USA. Zu den bekanntesten Titeln gehören RHYTHMUS 21 (1921), VORMITTAGSSPUK (1928) und DREAMS THAT MONEY CAN BUY (1944-47). Das Los Angeles County Museum of Art widmet Hans Richter zurzeit eine große Ausstellung. Der Katalog, herausgegeben von dem Kurator Timothy O. Benson, ist die bisher umfassendste Würdigung des Künstlers.

Vom Dadaismus kommend, nimmt Hans Richter in den Zwanzigern Anregungen des Surrealismus und des Konstruktivismus auf. Er arbeitet anfangs eng mit dem schwedischen Maler und Filmemacher Viking Eggeling zusammen, dreht ab 1926 auch kurze narrative Filme mit Realaufnahmen und Werbefilme zum Beispiel für die Firma Muratti. 1929 leitet er den Filmbereich der Stuttgarter Werkbund-Ausstellung „Film und Foto“ und publiziert zusammen mit Werner Graeff das Buch „Filmgegner von gestern – Filmfreunde von heute“. Während einer Reise in die Sowjetunion übernehmen die Nazis die Macht in Deutschland. Richter emigriert zunächst nach Paris, dann in die Schweiz und 1941 auf Einladung des Guggenheim-Museums nach New York, wo er Lehrer und Direktor des City College wird. Er dreht weiter Filme, u.a. mit Marcel Duchamp, Max Ernst, Fernand Léger, Man Ray und Jean Cocteau, und kehrt am Ende noch einmal zur Malerei zurück. Er stirbt im Februar 1976 mit 87 Jahren. Frauke Josenhans hat für den Katalog eine umfängliche Lebenschronik zusammengestellt, die auch viele der politischen Situation geschuldeten Rückschläge im Leben von Hans Richter dokumentiert. Die Filmografie enthält nicht nur die realisierten Projekte, sondern auch die unbeendeten oder geplanten. Für eine weiterführende Lektüre ist die Bibliografie hilfreich.

In fünf Texten des Katalogs finden intensive Begegnungen mit dem Werk von Hans Richter statt, die Interpretationen sind nicht allein auf die künstlerische Bedeutung fokussiert, sie thematisieren auch die politischen und sozialen Aktivitäten. Am umfangreichsten ist natürlich das Einleitungskapitel von Timothy O. Benson, das quasi den großen biografischen Bogen schlägt. Philippe-Alain Michaud schreibt über „RHYTHMUS 21 and the Genesis of filmic Abstraction“. Edward Dimendberg widmet sich dem Werk der späten 20er und der frühen 30er Jahre, speziell auch den Industriefilmen, die oft unterschätzt werden. Im dritten Kapitel von Yvonne Zimmermann geht es um die Schweizer Filme und den dokumentarischen Ansatz. Doris Berger konzentriert sich auf Richters künstlerische Praxis in den 1940er Jahren. Und Michael White beschreibt schließlich in einem größeren Zusammenhang Richters Position im Kontext des Dadaismus, den er selbst 1964 in dem Buch „Dada, Kunst und Antikunst“ reflektiert hat. In die Textseiten sind zahlreiche Abbildungen eingefügt, zwischen den einzelnen Kapiteln kommen separate Bildteile zu einer eigenen Wirkung. Es ist wirklich ein opulenter Katalog. Das Titelbild kombiniert Motive aus DER ZWEIGROSCHENZAUBER (1929) und VORMITTAGSSPUK (1928).