Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Jahres
2006
Filmbuch des Jahres

Jan Tilman Schwab
Fußball im Film
Lexikon des Fußballfilms
belleville Verlag Michael Farin, München 2006
1.100 S., 98 €
ISBN 3-93629808-8

Jan Tilmann Schwab:
Fußball im Film.
Lexikon des Fußballfilms

Das ist eines der verrücktesten Filmbücher, die ich kenne. In alpha-betischer Reihefolge werden über 500 Filme aus aller Welt zum Teil sehr ausführlich beschrieben, in denen Fußball zentrales Thema oder elaborierter sub plot ist. Umfang: 1.100 Seiten.

Der längste Text gilt dem Film das grosse spiel (1942) von R.A. Stemmle. Für mich hat der Film keine so große Bedeutung. Ich finde ihn nicht besonders gut inszeniert. Immerhin ist der Einsatz der Farbe interessant. Das Buch ist Fritz Walter, Oliver Kahn und George Best gewidmet. Schwab, der Autor, hat eine Zeit lang in der Kinemathek gearbeitet. Deshalb wird vielen SDK-Mitarbeitern gedankt. Hinter dem Namen und der Funktion bei den Danksagungen steht jeweils ein Vereinsname, für den der Bedankte schwärmt. Bei mir natürlich Bayern München, damit das irgendwo auch mal schwarz auf weiß zu lesen ist.

Die schönste und kompetenteste Rezension des Buches stammt von Andrea Dittgen und wurde im Film-Dienst Nr. 15/2006 publiziert. Ich zitiere sie hier im vollen Wortlaut, weil ich nicht wüsste, was ich weg-lassen könnte:

„Ein Lexikon des Fußballfilms ist eine Fleißarbeit von ungeheurem Ausmaß, weshalb das bereits zur WM 2002 geplante Buch wohl auch erst jetzt erscheint. Es ist ein dicker Wälzer geworden: zweieinhalb Kilo schwer, mit 543 Filmen von 1897 (der Lumière-Kameramann Alexan-dre Promio drehte 50 stumme Sekunden eines bis heute nicht identi-fizierbaren britischen Spiels) bis 2003 (DAS WUNDER VON BERN) aus 49 Ländern. Die meisten (153) stammen aus Deutschland, gefolgt von Großbritannien (101), Italien (47), Brasilien (41), Spanien (30), Frankreich (28) und den USA (23). Trotzdem gibt es Lücken, wie der Autor Jan Tilman Schwab, Filmwissenschaftler an der Universität Kiel, einräumt: So fehlen die meisten Kurzfilme, die 1998 beim Stummfilm-festival von Pordenone gezeigt wurden, aber auch berühmte Dokumen-tationen wie LES YEUX DANS LES BLEUS (1998), und die meisten der ab 2003 entstandenen Filme. Doch das ist hinzunehmen.

Das Buch ist eine einzige Fundgrube, nicht nur angesichts der Fülle an Filmen, sondern auch angesichts der Sorgfalt, mit der Credits recher-chiert sowie Fotos und zeitgenössische Texte ausgewählt wurden. Den wichtigsten Filmen – vor allem deutschen wie DAS GROSSE SPIEL (1942) – sind mehrere Seiten gewidmet, zu fast jedem Film gibt es einen brauchbaren Kurzinhalt. Minutiös wird aufgelistet, welche echten Fußballer mitspielen; ebenso akribisch werden die Zusammenhänge zum wirklichen Fußballgeschehen hergestellt. Im Gegensatz zu ande-ren Lexika kann man es wirklich von vorne bis hinten lesen, ohne dass einem langweilig würde.

Das beginnt bereits mit der Einleitung, die auf 20 Seiten einen wunder-baren Abriss der Geschichte des Fußballfilms und seiner Probleme bietet. Man erfährt, dass Kino und Fußball gegen Ende des 19. Jahr-hunderts in ihrer heutigen Form entstanden, von der Hochkultur zunächst als Jahrmarktsspektakel abgelehnt, aber allmählich doch zum Event für die Massen und zum Wirtschaftsfaktor wurden, völker- und staatenübergreifende Verständigung inklusive. Beide Male geht es um Bewegung, Spannung und Unterhaltung, beide Formen entwickel-ten einen Starkult. All das in leicht verständlicher Form zu präsen-tieren, nebst kurzer Definition dessen, was der Autor als Fußballfilm versteht (Fußball muss in relevanter Weise vorkommen), zeigt schon, was Schwab am Herzen liegt: dem Genre größere Beachtung zukommen zu lassen. Als durchschnittlicher Film- und Fußballfan kennt man vielleicht ein Prozent der erwähnten Filme, alles andere ist Neuland.

Doch auch die Texte zu bekannten Filmen sind aufschlussreich, zum Beispiel zu Hellmuth Costards FUSSBALL WIE NOCH NIE. Schwab beschreibt den Film sehr genau und erklärt, warum er scheitern musste: ‚Kein Fan würde 90 Minuten lang diesen Blick, der seine Augen nie vom Objekts abwendet, teilen. Selbst der leidenschaftlichste Fan würde das Ergebnis der Aktionen seines Idols sehen wollen.’ Ausführlich zitiert Schwab die Aussagen Costards, der aus einem Fußballspiel ein Fernsehspiel machen wollte. Man erfährt Hintergründe der Wahl George Bests, Kritiken aus Zeitungen, Wortmeldungen von Fernseh-redakteuren und anderen Regisseuren (etwa Hartmut Bitomsky). Nur in einem hat Schwab nicht recht behalten: Es gibt einen Nachahmer: ZIDANE – UN PORTRAIT DU 21e SIECLE (2006) von Douglas Gordon und Philippe Parreno, der sogar noch radikaler ist, da selbst die Stadiongeräusche durch komponierten Sound ersetzt wurden und man nicht einmal mehr die Tore des Spiels zu sehen bekommt (Real Madrid gegen Villareal am 23. April 2005).

Schwab listet alles auf, was er fand und für relevant hält: Spiel-, Doku-mentar-, Kurz-, Experimental- und Animationsfilme. Manchmal, vor allem bei den Lehrfilmen, ist außer dem Titel nur wenig bekannt, weil die Filme verschollen sind. Bei den bekannten Spielfilmen trumpft Schwab richtig auf: Egal, welchen Film man nimmt, man kann sich festlesen, weil es bei aller Jagd nach Fakten und Zitaten so lebendig zugeht wie in einem Fußballspiel. Zum Nachschlagen gibt es zwei Register (nach Titeln und nach Ländern), zum Weiterlesen umfang-reiche Literaturhinweise. Deshalb ist es verschmerzbar, dass Video- und DVD-Hinweise fehlen. Die wirklichen Probleme des wunderbaren Buchs liegen woanders. Es ist sehr teuer. Und: Wer wird sich nach der WM dafür noch interessieren?“

Film-Dienst, 20. Juli 2006, Nr. 15