Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Jahres
1992
Filmbuch des Jahres

Klaus Kreimeier
Die Ufa-Story
Geschichte eines Filmkonzerns
Carl Hanser Verlag, München/Wien 1992
520 S. (68 DM)
ISBN 3-446-15214-8

Klaus Kreimeier:
Die Ufa-Story

Die Geschichte eines deutschen Filmkonzerns. Kreimeier erzählt die Story als Beziehungsgeflecht von Fakten und Filmen, von Politik und Ökonomie, von Euphorien und Depressionen.

1992 galt es, ein Jubiläum zu feiern: 75 Jahre UFA. Das Buch von Klaus Kreimeier ist keine Festschrift, sondern eine differenzierte filmhisto-rische und zeitgeschichtliche Analyse. Hans-Christoph Blumenberg stellt sie in seiner umfänglichen und sachkundigen Rezension in der Zeit in einen persönlichen Zusammenhang, denn er hat in Babelsberg für das ZDF eine „Filmische Revue zum Ufa-Jubiläum“ gedreht: WENN ICH SONNTAGS IN MEIN KINO GEH… Hier, leicht gekürzt, sein schöner Text:

„Donnerstag, 13. Februar 1992. Am letzten Drehtag verlassen wir das Atelier, in dem wir zwei Wochen lang gearbeitet haben: einen Kunst-raum aus architektonischen Zitaten, von Metropolis bis Münch-hausen, vom Blauen Engel bis zum Wunschkonzert. Ulrich Tukur, mein Maitre de plaisir, der spielend, singend, fragend durch die Geschichte der Ufa geführt hat, stößt das eiserne Tor des Ateliers ‚Neue Ost‘ auf. Wir gehen über den Platz vor der größten der Babelsberger Hallen, die vor kurzem der früh entschwundenen, spät umworbenen Marlene Dietrich gewidmet worden ist. In einem Seitentrakt dreht der Kollege Frank Beyer eine deutsch-deutsche Komödie. In diesen Tagen sieht er selten lustig aus.

An der alten Pforte der Ufa, einst schwerbewachter Eingang zur Trutzburg deutscher Träume, drehen wir die letzte Szene unseres Films. Vor dem ehemaligen Vorstands-Gebäude, in dem seit ein paar Monaten der Fernsehintendant Hansjürgen Rosenbauer sitzt, ein Herrscher noch fast ohne Programme, stehen trotzig ein paar Trabis neben bunteren West-Karossen. Dort, wo die Stars der Ufa vor einem halben Jahrhundert zu speisen pflegten, in einem Bungalow mit Butzen-scheiben, gleich rechts hinter den Pförtner Häuschen, befindet sich noch immer das Stofflager der Defa. Im Winter 1992 wirkt das ganze Gelände seltsam marode.

Zurück in die ‚Neue Ost‘: keine große Halle, nicht einmal eine, die der Hauch von Legenden umweht. Die ‚Neue Ost‘ und ihre westliche Zwillingsschwester sind erst 1938 eingeweiht worden, vom Reichs-minister für Volksaufklärung und Propaganda, als Bestandteile der Deutschen Filmakademie. Bei der Gründungsfeier wünschte Dr. Joseph Goebbels der Kunst mehr Können als Wollen und tat drei symbolische Hammerschläge. 1943 drehte die Filmstudentin Hildegard Knef in der ‚Neuen Ost‘ ihre ersten Übungsfilme. Nach dem Krieg entstanden hier zum Beispiel viele Szenen von Wolfgang Staudtes Märchenfilm Die Geschichte vom kleinen Muck (Defa, 1953). Für unseren Film, eine szenisch musikalisch dokumentarische Collage über Aufstieg und Fall des größten deutschen Filmkonzerns zwischen 1917 und 1945, sind viele der alten Ufa Stars nach Babelsberg zurückgekehrt. Camilla Spira hat hier 1932 noch in Morgenrot gespielt, einem heroischen, todes-trunkenen U-Boot-Epos, in dem Rudolf Forster den berühmt geworde-nen Satz zu sagen hat: ‚Wir Deutschen verstehen vielleicht nicht zu leben, aber zu sterben verstehen wir fabelhaft.‘  Zur Gala Premiere am 4. Februar 1933 erscheint der neue Reichskanzler Adolf Hitler höchst-persönlich und applaudiert den Darstellern. Wenige Wochen später darf die Jüdin Camilla Spira das Ufa-Gelände nicht mehr betreten. Wenn sie von dieser Zeit erzählt, stockt ihr bisweilen die Stimme.

Mady Rahl ist 1936 zum ersten Mal nach Babelsberg gekommen, als Entdeckung von Detlef Sierck, der ihr eine kleine prägnante Rolle als trommelnde Soubrette in seinem Zarah Leander-Melodram Zu neuen Ufern gibt. Jenen wendet sich der Regisseur ein Jahr später selber zu. In Hollywood wird er sich Douglas Sirk nennen. Mady Rahl, eine freche Person mit einer unbekümmerten erotischen Ausstrahlung, darf bei der Ufa meistens nur die zweiten Rollen spielen: Marika Rökks beste Freundin oder Ilse Werners muntere Kontrahentin. Sie paßt nicht recht ins offizielle Bild der deutschen Frau. In Amerika wäre sie ein Top- Star geworden. Sie schlägt sich durch. Sie bedauert nichts.

Kristina Söderbaum hat immer von der Ufa geträumt. Die naive schwe-dische Kunststudentin, die 1934 in Berlin eintrifft, kennt die großen Filme von Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau, Ewald André Dupont. Sie stellt sich das Studio in Babelsberg wie ein Schloß vor, mit einem prachtvollen Portal und goldenen Türmen. Als sie zum ersten Mal hinaus in die Filmstadt fährt, ist sie enttäuscht. Wie eine graue Fabrik sieht der magische Ort nahe Potsdam aus. Ein paar Jahre später wird Kristina Söderbaum in den Filmen ihres Mannes Veit Harlan in dieser Fabrik arbeiten. Sie lernt, daß das Terrain sumpfige Stellen besitzt. Es ist allzuleicht, bei der Ufa die Unschuld des Herzens zu verlieren.

Manchmal, während der Drehpausen, verschwinden sie still für eine halbe Stunde, die Mit-Spieler von damals, Kurt Meisel und Georg Thomalla, Ilse Werner und der Komponist Norbert Schultze. Sie wandern umher auf dem historischen Gelände, erkennen das ‚Klebe-haus‘ wieder, wo auch die Defa später ihre Schneideräume hat, finden das ‚Tonkreuz‘ mit seinen vier Ateliers, suchen nach Überresten einer zerstörten Zeit. Die Ufa ist nur noch eine Erinnerung.

Die Universum Film Aktiengesellschaft, in die Welt gekommen am 18. Dezember 1917, war eine Geburt aus dem Geist von Krieg und Propa-ganda, eine Coproduktion zwischen der kaiserlichen Heeresleitung, der Deutschen Bank und diversen Industriegruppen. Am 4. Juli 1917 schreibt der Generalstabschef Erich von Ludendorff: ‚Der Krieg hat die überragende Macht des Bildes und Films als Aufklärungs- und Beein-flussungsmittel gezeigt. Leider haben unsere Feinde den Vorsprung, den sie auf diesem Gebiet hatten, so gründlich ausgenutzt, daß schwerer Schaden für uns entstanden ist.‘

An die ‚überragende Macht des Films‘ haben sie alle geglaubt, die Herren über die Ufa: von Ludendorff über den Geheimen Finanzrat Alfred Hugenberg, der den Konzern 1927 in seinen Besitz brachte, bis hin zu Joseph Goebbels, der zehn Jahre später die Ufa durch eine Treuhand-Gesellschaft kaufen ließ. Sie träumten von der totalen Kontrolle über das mächtige Imperium der Bilder und scheiterten doch ausnahmslos an der diffusen Natur des Unternehmens, das sich, anders als ein Walzwerk oder eine Stickstofffabrik, nie vollständig den Machtinteressen der Politik ergab, wohl nicht einmal ergeben konnte.

In seinem Buch ‚Die Ufa Story — Geschichte eines Filmkonzerns‘ schreibt der Filmhistoriker Klaus Kreimeier schon über die Anfänge des Unternehmens: ‚Die Ufa begann, ihre Eigengesetzlichkeit zu entfalten: die Unberechenbarkeit eines hydraähnlichen Wesens, mit der die Plänemacher nicht gerechnet hatten — meinten sie doch, das neue Instrument kommandieren zu können, ohne sich mit seiner Eigenart, seiner zwiespältigen Natur und seinen subversiven Qualitäten beschäftigen zu müssen.‘

Fast so, als spiegelte die labyrinthische Kunstwelt des nur den Initiierten zugänglichen Ateliergeländes in Babelsberg die innere Verfassung des Konzerns, blieb die Ufa ihren wechselnden Besitzern ein teures Rätsel. Klaus Kreimeier zeichnet in seinem großen Werk, das alle gängigen Vermutungen über politische Dominanz und künstle-rische Willfährigkeit in der deutschen Filmgeschichte brillant revidiert, jene bis zum Ende unordentlichen Linien nach, die sich nie zu der geometrischen Strenge fügten, von der ein Hugenberg und, mehr noch, ein Goebbels träumten. Zum Beispiel 1930. Der nach dem wirtschaft-lichen Fiasko von Fritz Längs Metropolis (jenem Monstrum, welches die Ufa so gründlich ruinierte wie Michael Ciminos Heavens Gate viele Jahrzehnte später die United Artists) aus seinem Hollywood- Exil zurückgekehrte Produktionschef Erich Pommer führt den Konzern zu einer neuen Blüte. 1930 entstehen bei der Ufa nicht nur deutschnationale Historiengemälde wie Das Flötenkonzert von Sanssouci (mit Otto Gebühr als Fridericus Rex), sondern auch die ersten Tonfilm Operetten mit deutlichen Anspielungen auf die millionenfachen Pleiten der Weltwirtschaftskrise (Die Drei von der Tankstelle). Und der Jude Pommer leistet es sich 1930 sogar, Heinrich Manns Roman „Professor Unrat“ verfilmen zu lassen: das Werk eines Sozialisten und erklärten Gegners des Hugenberg Konzerns Ufa. Für den Blauen Engel holt der Kosmopolit Pommer einen jüdischen Regisseur aus Hollywood. Generaldirektor Ludwig Klitzsch, von Hugenberg installiert, nimmt es hin. Der ökonomische Erfolg der Ufa ist wichtiger als die ideologische Generallinie. Mit den Profiten des Welterfolgs von Josef von Sternberg finanziert Hugenberg seine Politik, die immer heftiger mit dem Charisma des Adolf H. flirtet.

Klaus Kreimeier kommentiert: ‚Noch einmal bewies Deutschlands großes Filmunternehmen, daß merkantiler Energie eine qualitäts-stiftende Kraft innewohnt und kapitalistischem Kalkül eine ungewollte politische Dialektik entspringen kann. Eine Dialektik, die sich, post festum, in einer heftigen Kontroverse entlud und an die Glanzzeit des Ufa-Pluralismus und des demokratischen Warenhauses erinnerte. Längst schon fest in deutschnationaler Hand, reagierte der Konzern noch immer reizbar auf die Impulse aus dem politischen und psychologischen Chaos der Zeit.‘

Wer kann die Festung Babelsberg schleifen? Nach dem nationalsozia-listischen Wahlsieg trennt sich der Vorstand der Ufa in einem Akt von vorauseilendem Gehorsam schon im März 1933 von allen jüdischen Mitarbeitern. Wer Deutschland nicht ‚freiwillig‘ verlassen hat — Schauspieler von Albert Bassermann bis Fritz Kortner, Regisseure von Max Ophüls bis Robert Siodmak —, bekommt jetzt die Entlassungs-papiere: allen voran Erich Pommer, dem die Ufa ihre größten Triumphe verdankte.

So befindet sich der Konzern Mitte der dreißiger Jahre in einem künstlerischen Vakuum. Außenseiter wie der ‚Halbjude‘ Reinhold Schünzel und der Theaterregisseur Detlef Sierck nutzen die unüber-sichtliche Lage: Schünzel mit seiner giftigen Satire Amphitryon (1935), die sich deutlich über den Größenwahn des neuen Regimes, speziell seines Protagonisten Hermann Göring, lustig macht, Sierck mit seinen elegantdekadenten Melodramen.  Amphitryon passiert die Zensur ebenso wie Schlussakkord oder La Habanera. Unbedarftere Filme werden verboten. Kreimeier kommentiert: ‚Das Wesen des Filmischen selbst mit seinen unberechenbaren, irrlichternden Eigenschaften und seiner Affinität zu mikrologischen Strukturen verweigerte sich letztlich der Makrotechnik der Goebbelsschen Kontrollmaschine.‘

Auch nach dem Kauf der Ufa 1937 (im gleichen Jahr gehen Schünzel und Sierck nach Amerika) wird der Minister seines liebsten Spielzeugs nicht recht froh. Zwar installiert er überzeugte Nationalsozialisten wie den Produzenten und Regisseur Karl Ritter im neuen Aufsichtsrat des Staatsunternehmens, doch das Mißvergnügen bleibt. Als auf Goebbels persönliches Betreiben der Produktionschef Ernst Hugo Correll (ein stockkonservativer ‚Hugenberger‘, aber kein Nazi) 1939 aus seinem Amt entfernt wird, zeigt sich rasch, daß der Konzern ohne eine fachlich kompetente Führung weder die politischen noch die wirtschaftlichen Anforderungen des Systems erfüllen kann.

Binnen drei Jahren verschleißt die Ufa drei Produktionschefs, die außer einer strammen Gesinnung nichts zu bieten haben, bis Anfang 1943 ausgerechnet Feingeist Wolfgang Liebeneiner an die Spitze des Unter-nehmens berufen wird: ein biegsamer Künstler, der sich, ähnlich wie die Theaterdirektoren Gründgens und George, mit den Machthabern arrangiert hat, der aber zugleich seine schützende Hand über politisch mißliebige Filmschaffende hält. Liebeneiner, auch Präsident der Filmakademie, versucht, die Ufa mit allerlei Tricks in eine politikfreie Zone zu verwandeln. Er beschäftigt junge Autoren und Regisseure, sucht mit Vorliebe Stoffe, die ideologisch unbrauchbar erscheinen. Natürlich kann ein solcher Balanceakt im totalitären Staat nicht vollständig gelingen. Liebeneiner selber entrichtet dem Regime mit zwei Bismarck-Epen und dem Euthanasie Film Ich klage an seinen Tribut.

Gleichzeitig läßt er zu, daß bei der kleinen Terra, einer Unterfirma der Ufa, die ebenfalls auf dem Babelsberger Gelände residiert, ‚Spielleiter‘ wie Helmut Käutner, Arthur Maria Rabenalt, Boleslaw Barlog und Peter Pewas Filme drehen können, die fast wie Dokumente des Widerstands wirken. Käutners Grosse Freiheit Nr. 7 wird ebenso verboten wie Pewas Der verzauberte Tag, aber die Produktion bei der Terra geht unbehelligt weiter. Es spricht nicht gegen die Qualität von Klaus Kreimeiers Buch (dem man allenfalls einen etwas eleganteren Titel gewünscht hätte), daß der Autor die erstaunliche Geschichte der Terra nur am Rande streift. Fast am Ende der Ufa steht Kolberg, der monumentalste Film des Konzerns seit Metropolis, Veit Harlans 19431944 auf Goebbels persönliche Weisung gedrehtes Schlachten-gemälde aus den Napoleonischen Kriegen. Und selbst hier noch zeigt sich, wie eine entfesselte filmische Phantasie, mit allen technischen und personellen Möglichkeiten ausgerüstet, dem propagandistischen Zweck auf beinahe tragikomische Weise zuwiderlaufen kann. Als Harlan im Herbst 1944 seinen Film endlich abliefert, ist der Minister entsetzt: Die Kriegsszenen sind von einer derart naturalistischen Brutalität, daß Kolberg erst nach erheblichen Änderungen und Kürzungen freigegeben wird. Aber Ende Januar 1945 gibt es im zerbombten Reich kaum noch Kinos, in denen die vermeintliche filmische Wunderwaffe zum Einsatz kommen könnte.

Keine Mißverständnisse: Klaus Kreimeiers ‚Ufa Story‘ ist nicht der Versuch, die Geschichte des größten deutschen Filmkonzerns nachträglich zu einem Hohen Lied auf unerschrockene Künstler im aussichtslosen Kampf gegen finstere politische Mächte umzufälschen. Nur macht es sich der Autor — und das ist die eigentliche Sensation dieses Buches — nicht so einfach wie frühere Historiographien, die die subversive Kraft des filmischen Prozesses am liebsten ignorierten. Kreimeiers Werk deckt die Abgründe auf zwischen propagandistischem Wollen, kommerziellem Kalkül und kinematographischer Kraft. Im romantischen Gelände waltet am Ende eine unbezähmbare Willkür. (…)

Hans-Christoph Blumenberg: Festung Babelsberg. In: Die Zeit, 5. Juni 1992

Im Deutschen Historischen Museum wurde das UFA-Jubiläum mit einer Ausstellung gewürdigt, zu der als Katalog eine Kassette mit 22 Heften erschien.

Und eigentlich hatte auch „Das Ufa-Buch“, herausgegeben von Hans-Michael Bock und Michael Töteberg bei Zweitausendeins, alle Qualitäten für ein Buch des Jahres. Deshalb wird auf diese Publikation hier ausdrücklich verwiesen.