Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Jahres
2005
Filmbuch des Jahres

Michael Ondaatje
Die Kunst des Filmschnitts
Gespräche mit Walter Murch
Carl Hanser, München und Wien 2005
338 S., 27,90 €
ISBN 3-446-20588-8

Michael Ondaatje:
Die Kunst des Filmschnitts

Der Autor Ondaatje und der Cutter Murch haben sich 1996 bei den Dreharbeiten zu the english patient kennen gelernt. Zwischen Juli 2000 und Juni 2001 führten sie fünf Gespräche über das Filmemachen, speziell über Tondesign und Montage, die 2002 als Buch in den USA publiziert wurden. Gerhard Midding hat es übersetzt.

Ondaatje verfügt über eine erstaunliche filmhistorische Kompetenz, Murch bringt sein präzises Erinnerungsvermögen, vielfältige Arbeitserfahrungen und ein weites Interessensspektrum (Musik, Literatur, Astronomie, Kunst) in die Gespräche ein. Wir hören viel über die Zusammenarbeit mit den Regisseuren Francis Ford Coppola, George Lucas, Fred Zinnemann, Philip Kaufman und Anthony Minghella. Eine lange und besonders interessante Passage handelt von einem Neuschnitt des Orson Welles-Films touch of evil nach einem Memo von Welles zusammen mit Rick Schmidlin. Ein intelligentes und vielschichtiges Buch.

Peter Körte hat es für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung rezensiert:

„In Deutschland würde man kaum einen Schriftsteller finden, der sich nicht nur so gut im Kino auskennt wie der Kanadier Michael Ondaatje, sondern auch ein so passionierter und neugieriger Gesprächspartner des Cutters Walter Murch gewesen wäre. Ondaatje und Murch haben sich bei der Verfilmung von Ondaatjes Roman „Der englische Patient“ kennengelernt. Murch war für Ton und Bildschnitt verantwortlich, und der Schriftsteller war von der Arbeit des Cutters so fasziniert, daß er unbedingt ein Buch über ihn und mit ihm machen wollte.

Murch ist einer der Besten in der Branche, den außerhalb der Branche keiner kennt. Er hat unter anderem an Coppolas Paten I-III und an Apocalypse Now mitgearbeitet, er hat in den wilden Jahren von New Hollywood mit George Lucas das Drehbuch zu THX-1138 geschrieben, und seine Interessen kann man nur enzyklopädisch nennen. Murch, Sohn eines Malers, hat Curzio Malaparte ins Englische übersetzt, er kennt sich in der klassischen Musik und in den Naturwissenschaften aus, und er kann aus dem Reichtum seiner Erfahrungen völlig unprätentiös über das Kino philosophieren, wenn er erklärt, es stolpere noch herum wie die Musik in ihrer „Vornotierungs-phase“, oder wenn er die kleine Theorie entwickelt, Edison, Beethoven und Flaubert seien die „Väter des Films“.

Es begeistert einen die Selbstverständlichkeit, mit der sich in jedem Gespräch plötzlich ein weiter Horizont öffnet, mit der sich aus den konkreten Erfahrungen eine Selbstreflexion ergibt, die nie bei irgendwelchen dürren, akademischen Begriffen landet. Es ist einfach spannend, den beiden zuzuhören. Murch spricht nicht aus der Perspektive des verkannten Kreativen, der gegen die gängige Version von Film als dem Werk eines einsamen Visionärs protestiert. Solche Vorurteile werden von den beiden en passant erledigt. Da ist immer wieder eine Erinnerung daran, was im Kino passiert, was wir so selbstverständlich voraussetzen, daß wir es meist nur unbewußt wahrnehmen, und da ist bei aller handwerklichen Kompetenz das ungläubige Staunen, daß am Ende ‚eine herrliche, geheimnisvolle, mächtige, zusammenhängende, zwei Stunden lange Vision‘ herauskommt. ‚Wir neigen dazu‘, sagt Murch nüchtern, ‚dieses Wunder zu akzeptieren, weil wir mittendrin stecken.‘

Diese beiden Männer vom Jahrgang 1943 haben mehr als nur wechselseitigen Respekt für ihre Arbeit. Sie tauschen sich aus, sie führen einen Dialog, der diesen Namen verdient. Und das ganze Gegrübel über Kunst und Kino ist ihnen fremd, weil Ondaatje vor allem wissen möchte, warum Murch tut, was er tut, wie sich analytische Intelligenz und Intuition dabei verbinden. Daß Murchs Einfall im Paten genial ist, nur das Kreischen der Hochbahn in die Stille dringen zu lassen, bevor Michael Corleone den Polizisten und den Drogenboß erschießt; daß oft eine simple technische Lösung das Geheimnis einer überwältigenden ästhetischen Wirkung ist, ohne diese auf jene zu reduzieren – wer wollte da noch wie ein beflissener Grenzbeamter prüfen, ob es sich um Kunst oder Handwerk handelt?

Ondaatje zitiert W. H. Auden: ‚Aber man weiß nicht, was man weiß, bevor man es geschrieben hat‘, und Murch zitiert Wallace Stevens: ‚Ein Gedicht handelt nicht von etwas, es ist etwas.‘ Damit ist eigentlich alles gesagt. Man muß nur noch die Großzügigkeit hervorheben, mit der sich Ondaatje zum Lernenden macht, und die Souveränität und Bescheiden-heit, mit der Murch über seine Arbeit spricht. ‚Die Kunst des Film-schnitts‘ ist ein wunderbares Buch. In seiner Klarheit, in seiner Klugheit und in seiner Leidenschaft für die kleinen Dinge, die große Filme hervorbringen. Und es schafft, was man von jedem guten Film-buch erwartet: Daß man Lust bekommt, all die Filme wiederzusehen, von denen die Rede ist.“

Peter Körte in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 13. März 2005