Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Februar 2019

Die Drehbücher
Michael Haneke
Hoffmann und Campe, Hamburg 2018
1.328 S., 54 €
ISBN 978-3-455-00438-0

Michael Haneke:
Die Drehbücher

Er ist einer der großen Autorenfilmer des Europäischen Kinos, hat seit 1989 elf Spielfilme realisiert, zu denen er das Drehbuch jeweils selbst geschrieben hat. Michael Haneke (*1943 in München) lebt und arbeitet in Wien, seine Filme sind oft österreichisch-französisch-deutsche Koproduktionen, sie wurden vielfach aus­gezeichnet. In einem Sammelband sind jetzt bei Hoffmann und Campe 13 Drehbücher in einem voluminösen Buch erschienen.

Niemand wird dieses Buch wie einen Roman in einem Zug durchlesen, das wäre zwar interessant, ist aber bei 1.328 Seiten eher unwahrscheinlich. Ich habe zunächst die Drehbücher meiner drei Lieblingsfilme von Michael Haneke gelesen:

1. DAS WEISSE BAND – EINE DEUTSCHE KINDERGESCHICHTE (2009), der mysteriöse Vorfälle in dem fiktiven Dorf Eichwalde in Norddeutsch­land erzählt und schon im Drehbuch einen Sog ausübt, weil alle Figuren in traumatische Beziehungen verstrickt sind. Natürlich sieht man in der Erinnerung an den Film Burghardt Klaußner als Pfarrer, Steffi Kühnert als seine Frau Anna, Ulrich Tukur als Baron, Ursina Lardi als Baronin, Christian Friedel als Lehrer agieren und hört die Stimme von Ernst Jacobi als Erzähler, aber das Gedruckte entwickelt eine eigene Spannung, die Lektüre lohnt sich.

2. AMOUR (2012), das Drama eines Ehepaares in Paris. Die Frau, Anne, erleidet einen Schlaganfall, der Mann, Georges, kümmert sich um sie, die Tochter, Eva, lebt in London und möchte die Mutter in ein Pflegeheim einweisen. Der Zustand von Anne verschlimmert sich. Am Ende erstickt George seine Frau mit einem Kopfkissen. Erzählt wird das Geschehen in einer Rückblende. Wieder sind die Hauptdarsteller in unserem Köpfen präsent – Jean-Luis Trintignant als George, Emma-nuelle Riva als Anne, Isabelle Huppert als Eva -, aber auch der pure Text ist in den Dialogen und Szenenbeschreibungen sehr interessant zu lesen.

3. DIE KLAVIERSPIELERIN (2001) erzählt vom schwierigen Zusammenleben einer Klavierlehrerin mit ihrer Mutter, das sie einem ihrer Schüler offenbart. Das Drehbuch basiert auf einem Roman von Elfriede Jelinek. Es wäre interessant, die Differenzen zwischen Filmskript und Vorlage zu ermitteln. In Erinnerung geblieben sind mir vor allem Isabelle Huppert (Lehrerin) und Annie Girardot (Mutter). Wieder finde ich die Lektüre des Drehbuchs lohnend.

Gelesen habe ich auch „Flashmob“, ein Drehbuch, das nicht realisiert wurde, weil die Handlung zu großen Teilen in den USA spielt und es offenbar vor allem Besetzungsschwierigkeiten gab. Kitty, eine 30jährige, relativ dicke Verkäuferin in einem Supermarkt in Europa (wahrscheinlich in Wien) fliegt nach Amerika, um dort ihren Lover Will zu besuchen. Sie gerät auf seiner Farm in einer Kleinstadt in viele Konfliktzonen und fliegt nach 14 Tagen überraschend wieder nach Hause. Die Verbindung zu Will bleibt per Skype bestehen, aber auch in Kittys Heimat gibt es Schwierigkeiten und Streitfälle. Zentrales Thema des Drehbuches sind mediale Vermittlungen, die optisch eindrucksvoll beschrieben werden.

Die anderen im Buch abgedruckten Drehbücher sind: DER SIEBENTE KONTINENT (1989), BENNY’S VIDEO (1992), 71 FRAGMENTE EINER CHONOLOGIE DES ZUFALLS (1994), FUNNY GAMES (1997), CODE: UNBEKANNT (2000), WOLFZEIT (2003), CACHÉ (2005) und HAPPY END (2017) sowie DER KOPF DES MOHREN (1995 inszeniert von Paulus Manker).

In einem Interview hat Philipp Stadelmaier Michael Haneke gefragt: „Ist das Drehbuchschreiben, verglichen mit dem Drehen und der Postproduktion, der Teil des Schaffensprozesses, der für Sie besonders wichtig ist?“ Die Antwort: „Es ist der wichtigste. Wenn Sie ein schlechtes Drehbuch haben, können Sie keinen guten Film machen. Ich denke, der angenehmste Prozess beim Filmemachen ist die Postproduktion, so man einigermaßen vernünftig gedreht hat, der stressigste ist sicher der Dreh, und das Schreiben ist manchmal stressig und manchmal nicht. Das hängt davon ab, wie gut es einem von der Hand geht. Manchmal geht es einfacher, manchmal zieht es sich und man denkt, das schaff’ ich nie. Aber wenn das Buch gut ist und Sie richtig besetzt haben, müssen Sie ziemlich dämlich sein, um den Film zu verhauen.“ (Süddeutsche Zeitung, 18.1.2019).

Es gibt im Buch kein Vor- oder Nachwort, keinen Haneke-Kommentar. Der Purismus dieser Drehbuchedition entspricht dem Bild, das wir uns von Michael Haneke machen. Der Anhang mit Besetzung, Stab und Produktion enthält keine Angaben zur Länge der Filme, zum Produktionsjahr und zur Uraufführung. Aber diese Daten sind natürlich im Netz verfügbar.

Die Drehbücher zu DIE KLAVIERSPIELERIN, DAS WEISSE BAND und AMOUR wurden bereits separat veröffentlicht, aber es ist ein großer Gewinn, jetzt alle Drehbücher von Michael Haneke in einem Band zu besitzen, den man zur Hand nehmen wird, wenn man sich einen Film auf DVD angeschaut hat.

Noch ein kurzer Hinweis auf drei Publikationen über Michael Haneke: Daniela Sannwald (Hg.): Michael Haneke. München 2011 (Film-Konzepte 21). – Christian Wessely, Franz Grabner, Gerhard Larcher (Hg.): Michael Haneke und seine Filme. Eine Pathologie der Konsumgesellschaft. Marburg: Schüren 2012 (3., verbesserte Auflage). – Susanne Kaul, Jean-Pierre Palmier: Michael Haneke. Einführung in seine Filme und Filmästhetik. Paderborn: Wilhelm Fink 2018.

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