Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Jahres
1964
Filmbuch des Jahres

Theodor Kotulla (Hg.)
Der Film. Manifeste, Gespräche, Dokumente
Band 2: 1945 bis heute
R. Piper & Co., München 1964
429 S. (14,80 DM)

Theodor Kotulla (Hg.):
Der Film. Manifeste, Gespräche, Dokumente.
Band 2: 1945 bis heute

31 Texte aus zehn Ländern. Autoren sind u.a. Vittorio De Sica, Luchino Visconti, Federico Fellini, Michelangelo Antonioni, François Truffaut, Chris Marker, Robert Bresson, Jean-Luc Godard, Ingmar Bergman, Luis Buñuel, Kenji Mizuguchi, Elia Kazan. Außerdem: Gespräche mit Roberto Rossellini, Luis Buñuel, Akira Kurosawa, Orson Welles, Andrej Wajda. Deutschland ist mit einem Aufsatz von Wolfgang Staudte vertreten.

Film und Filmgeschichte aus der Sicht von Regisseuren – das ist eine bestechende Idee,  und es ist erstaunlich, wie klug vor allem italienische und französische Regisseure über ihren Gegenstand schreiben.

Aus der Rezension von Manfred Delling in der Welt:

„Ein wichtigeres, interessanteres, ja, aufregenderes Buch über den Film ist nach dem Kriege in einem deutschen Verlag nicht erschienen. 31 Veröffentlichungen, vor allem natürlich aus den Cahiers du Cinéma, aus Sight and Sound und aus Bianco e Nero hat Kotulla zusammen-getragen. Denkwürdige Arbeiten befinden sich unter ihnen, die durch-aus nicht immer nur Reflexionen über bereits vollzogene Ereignisse im modernen Film waren, sondern ihrerseits eine neue Kunst provozierten; etwa Alexandre Astrucs legendäre Polemik aus dem Jahre 1948 ‚Die Geburt einer neuen Avantgarde: die Kamera als Federhalter’.

Der Einfluß, den Theoretiker wiederholt auf die Entwicklung nahmen, spiegelt sich schon in dem Eröffnungsbeitrag Cesare Zavattinis wider, des unermüdlichen spiritus rector der neorealistischen Epoche. Sein Text zeigt überdies, wie sehr dem modernen Film schon in seiner ersten Phase geistig-ethische und keineswegs formalistische Entscheidungen zugrunde lagen.

Da das Werk bedeutender Künstler nicht von der Epoche zu trennen ist, in der es entsteht, die Epoche wiederum im Werk ihrer bedeutendsten Künstler ihre Ausdruck erfährt, war es ein ausgezeichneter Gedanke des Herausgebers, allgemeine Darstellungen und Künstlerporträts einander abwechseln zu lassen. So werden zum Beispiel neben den Interpreta-tionen des Neorealismus und der Nouvelle Vague (Truffauts berühmter Beitrag in den Cahiers) Filmschöpfer wie Rossellini, Antonioni, Resnais, Bunuel, Bergman, Mizoguchi und Kurosawa vorgestellt. Am faszinierendsten ist die Selbstdarstellung, die Orson Welles in einem Gespräch mit André Bazin und zweien seiner Mitarbeiter gibt: ein brillanter Text, der wirklich einen Schlüssel zum Oeuvre dieses dynamischen Avantgardisten des modernen Films liefert.

Als dritten Komplex könnte man die Sachartikel bezeichnen, in denen beispeilsweise Godard, Colpi und der Russe Jutkevic die gewandelten Prinzipien der Montage behandeln. Zu diesem Themenkreis gehört auch die Rolle des Schauspielers im Film, seine Funktion und seine Führung, über die sich mehrere Regisseure äußern. Die unterschied-lichen Auffassungen, die hier Mizoguchi, Bergman, Antonioni, Welles und Wajda äußern, beleuchten das Problem nicht nur von verschiede-nen Standpunkten, sondern liefern zugleich interessante Hinweise auf die Regiekonzeption des betreffenden Filmemachers. So ist es auch bei anderen Themen.

Selbst derjenige Leser, der sich bisher zwar für den Film, aber nicht für Filmtheorie interessierte (und zu ihnen sollen sogar Regisseure und Kritiker gehören) kann nach der Lektüre der 428 Seiten dieses Bandes kaum noch ahnungslos darüber sein, was es mit dem modernen Film für eine tiefere Bewandtnis hat. Dieses Kompendium liefert einen wesentlichen Beitrag zur Phänomenologie des zeitgenössischen Films.“

Die Welt, 31. Oktober 1964

Band 1 ist leider nie erschienen.