Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Dezember 2016

Daniel Kothenschulte (Hg.)
Das Walt Disney Filmarchiv
Die Animationsfilme 1921-1968
Köln: Taschen 2016
620 S., 150,00 €
ISBN: 978-3-8365-5289-9

Daniel Kothenschulte (Hg.):
Das Walt Disney Filmarchiv.
Die Animationsfilme 1921-1968

Die Archiv-Bände des Taschen Verlages aus dem Filmbereich sind wahre Schatztruhen: groß und voller Überraschungen. Im vergangenen Jahr erschien das Charlie-Chaplin-Buch, in diesem Jahr werden die Animationsfilme von Walt Disney präsentiert. Als Herausgeber hat Daniel Kothenschulte, mit Disney bestens vertraut, hervorragende Arbeit geleistet. Ja, das Buch ist teuer, aber es ist seinen Preis wert. Es ist noch umfangreicher als der Chaplin-Band, wiegt über sechs Kilo – aber wir feiern bekanntlich demnächst Weihnachten…

Mickey Mouse und Donald Duck, Schneewittchen und Bambi sind keine verges­senen Filmfiguren, auch wenn sie vor mehr als sechs Jahrzehnten erstmals im Kino zu sehen waren. Walt Disney (1901-1966) ist als kreativ denkender und erfolgreich handelnder Produzent in die Filmgeschichte eingegangen. Es gibt viele Biografien über ihn, aber nur mit einem Bilderbuch kann man ihm wohl gerecht werden, wenn es um seine Arbeit und all die Innovationen geht, die ihm zu verdanken sind.

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Genau das leistet dieses Buch. In 31 Kapiteln führt es uns durch die Welt von Walt Disney. Natürlich ist jedem abendfüllenden Film ein eigenes Kapitel gewidmet, aber auch die Kurzfilme, die Experimente, die Studios, das Team sind in Bild und Text präsent. Der Herausgeber Daniel Kothenschulte hat selbst sechs Texte verfasst: über die „Silly Symphonies“, PINOCCHIO, FANTASIA, die Burbank-Studios, DUMBO und LOST TRAILS TO THE WEST. Ein Beitrag stammt von dem FAZ-Redakteur Andreas Platthaus (über LADY AND THE TRAMP, 1955, deutsch: SUSI UND STROLCH), ein anderer von der Filmkritikerin Katja Lüthge (über FUN AND FANCY FREE, 1947, mit Micky Mouse, Donald Duck und Goofy, in Deutschland erst 1992 im Fernsehen gezeigt). Die anderen Autorinnen und Autoren, alle als Disney-Experten ausgewiesen, sind Robin Allen (3 Texte), Didier Ghez (1), Mindy Johnson (2), J. B. Kaufman (2), Leonard Maltin (2), Brian Sibley (5), Dave Smith (1) und Charles Solomon (5).

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In hervorragend reproduzierten Cel-Setups sind viele Filmszenen bis ins kleinste Detail zu sehen, dazu kommen Concept Paintings der ersten Ideen und Storyboards des geplanten Verlaufs. Im jeweiligen Textteil gibt es Ausschnitte aus Protokollen der Storykonferenzen. So wird der Prozess der Entstehung der Filme vermittelt, der anders verläuft als bei einem Spielfilm. In den Bildern und Texten wird die Arbeit an einem Animationsfilm plausibel, das Zusammenspiel der Mitarbeiter (in der damaligen Zeit vorwiegend Männer) sehr anschaulich und der komplizierte Produktionsvorgang konkret gemacht. Das zu sehen und zu lesen, ist spannend als Blick hinter die Kulissen. Da es inzwischen die meisten Disney-Filme als DVD gibt, kann man mit dem Buch auch Medienpädagogik betreiben.

bambiNatürlich spielen beim Lesen und Anschauen dieses Buches auch persönliche Erinnerungen eine Rolle. BAMBI war der erste Disney-Film, den ich gesehen habe: 1950, als ich zwölf Jahre alt war. Ein Sonntagnachmittag im Lida am Breitenbachplatz in Berlin, Kindervorstellung. Als es dunkel wird, dauert es seine Zeit, bis der Film alle zum Schweigen bringt. Dann nimmt die ergreifende Geschichte vom kleinen Reh ihren Lauf. Nach vierzig Minuten wird Bambis Mutter im Schnee von Jägern erschossen. Fassungslosigkeit, Tränen. Seither weiß ich, dass es im Kino wirklich um Leben und Tod gehen kann. Und auch beim Waldbrand geht es noch einmal um Sein oder Nichtsein. Am Ende wird Bambi zum Leithirsch. Kein anderer Film hatte damals für mich eine so emotionale Bedeutung. 1951 habe ich SCHNEEWITT-CHEN UND DIE SIEBEN ZWERGE gesehen, 1952 DUMBO, DER FLIE-GENDE ELEFANT, 1953 CINDERELLA. Die Filme kamen damals zum Teil mit Verspätung nach Deutschland. FANTASIA, Ende der 50er Jahre, fand ich sehr interessant, beim DSCHUNGELBUCH, 1968, war ich, zeitbedingt, etwas distanziert. Selbstverständlich gehören viele Disney-Filme zu meiner DVD-Sammlung. Und bei unserem ersten Besuch in Kalifornien, 1980, waren wir natürlich auch in Disneyland.

Zurück zum Buch. Für seine Qualität bürgt der Herausgeber Daniel Kothenschulte. Ich schätze ihn als Filmkritiker und als Autor, weil er über eine filmhistorische Kompetenz verfügt. 2010 hat er zusammen mit dem Zeichner Robert Nippoldt im Gerstenberg Verlag das Buch „Hollywood in den 30er Jahren“ publiziert. Es war damals mein Filmbuch des Jahres (hollywood-in-den-30er-jahren/). Kothenschulte kann auf sein Filmwissen vertrauen, und seine sechs Texte sind lesenswerte Essays. Als Herausgeber hat er Mitarbeiter/innen gewonnen, die dem Buch zu seiner Stärke verhelfen.Der Bildband enthält die Texte in englischer Sprache, ein Heft mit den deutschen Übersetzungen ist beigefügt.

In der Welt hat Hanns-Georg Rodeck eine lesenswerte Rezension über das Buch geschrieben (Worin-die-wahre-Magie-des-Zauberers-bestand.html ), im Dezember-Heft von epd Film findet man einen schönen Text von Frank Arnold über das Prachtstück.