Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Jahres
1991
Filmbuch des Jahres

Michael Hanisch
Auf den Spuren der Filmgeschichte
Berliner Schauplätze
Henschel Verlag, Berlin 1991
428 S. (78 DM)
ISBN 3-362-00263-3

Michael Hanisch:
Auf den Spuren der Filmgeschichte.
Berliner Schauplätze

Spaziergänge durch Berlin in der frühen Zeit des Kinos: als die Skladanowskys ihr ›Bioskop‹ erfanden, Oskar Messter sein kleines Imperium aufbaute, Guido Seeber das Glashaus konstruierte, Paul Davidson seine Kinos vermehrte, Ernst Lubitsch Schauspieler und Regisseur wurde. Spaziergänge mit Umwegen. Genau recherchiert.

Die Konstanzer Film- und Kinohistorikerin Anne Paech hat für epd Film eine wunderbare Rezension des Buches verfasst. Ich zitiere längere Passagen:

„Es gibt in Berlin eine Vielzahl von Orten, Gebäuden, Straßen und Plätzen, an denen sich die Frühgeschichte des deutschen Films abgespielt hat. Beste Adresse für zahlreiche Filmfirmen und Ateliers war damals die Gegend um die Friedrichstraße: Schon kurz nach der Jahrhundertwende entstand hier das einstige ‚Filmviertel’. Aber auch rund um den Alexanderplatz oder außerhalb Berlins in Weißensee und Woltersdorf gibt es filmgeschichtsträchtige Orte.

Fasziniert von der Vorstellung, dass ‚nicht wenige der berühmten Stummfilme an Orten entstanden sind, an denen wir heute täglich vorbeikommen, die auf unserem ganz persönluchen Stadtplan liegen’, hat der Berliner Filmhistoriker Michael Hanisch aus alten Adressbüchern, Akten und Zeitungen Spuren der Filmgeschichte zusammengetragen, um ‚einen imaginären Berliner Kino-Stadtplan zu zeichnen’.

Ein Streifzug durch die ersten drei Jahrzehnte der Berliner Filmgeschichte führt dem Leser die zentralen Plätze und Personen dieser Zeit vor: die Filmpioniere Max und Emil Skladanowsky und Oskar Messter, Ernst Lubitsch, der ‚Junge aus der Schönhauser Allee’, die Dachstudios in der Friedrichstraße, wo Henny Porten und später Asta Nielsen ein- und ausgegangen sind, die Studios in Weißensee und die ersten Kinopaläste am Alexanderplatz und am Nollendorfplatz. Wer weiß schon, dass zum Beispiel im Dachatelier des Fotografen Wilhelm Frenz in der Schönhauser Allee 146, Ecke Kastanienallee, die Skladanowskys einst den ersten deutschen ‚Film’ gedreht haben? Das war 1892, und bis zur ersten öffentlichen Filmvorführung im ‚Wintergarten’ des Central-Hotels in der Nähe des Bahnhofs Friedrichstraße sollten noch ein paar Jahre vergeben.

Mit der Art der Darstellung beschreitet Michael Hanisch buchstäblich neue Wege. Er verlässt den kargen Weg der Aneinanderreihung nüchterner Fakten, und es gelingt ihm, ein lebendiges Zeitbild entstehen zu lassen. Interessante Begleitumstände, zum Beispiel wo die Familie Skladanowsky herkam, wo sie gelebt und gearneitet hat oder was 1895 auf dem Spielplan der 24 Berliner Theater stand, als im ‚Wintergarten’ die erste Filmvorführung stattfand; alles wird durch Fundstücke aus zeitgenössischen Berliner Zeitungen belegt. Hanisch weist zum Beispiel auf die Einwohnerfluktuation in der Anderthalb-Millionenstadt und auf wichtige entlegene kulturelle und politische Ereignisse hin. Bisweilen wagt er sich auch auf unsicheres Terrain vor, indem er sich die nach wie vor weißen Flecken der frühen Filmgeschichte qua Imagination ausmalt, auch auf die Gefahr hin, dass die Phantasie da und dort mit ihm durchgeht. (…)

Michael Hanischs Führungen durch das Film-Berlin kann man auf einem beigefügten Stadtplan von 1906 nachvollziehen. Zum Beispiel den Schulweg des jungen Ernst Lubitsch von der elterlichen Wohnung in der Schönhauser Allee 183 (das Haus steht heute noch) zum Sophien-Gymnasium in der Weinmeisterstraße. (…)

Ausführlich werden die ‚Orte der Produktion’, die Glasateliers in der Stadt mit ihren Geschichten, ihren Produzenten, Regisseuren und Stars vorgestellt. Am Rande von Berlin, im ‚Klein-Hollywood’ von Weißensee, haben Max Mack, Harry Piel, Richard Oswald, Joe May, Fritz Lang und Erich Pommer gearbeitet, hier in den Lixie-Ateliers, wurde auch der CALIGARI unter der Regie von Robert Wiene von Pommers Decla produziert. Die Deutsche Bioscop begann in der Chausseestraße 129, hier stand Asta Nielsen 1911 für ihre ersten acht deutschen Filme vor der Kamera, bis sie 1912 mit ihrem Film TOTENTANZ nach Neu-Babelsberg in die dort neu errichteten Studios umziehen konnte. Der Kameramann Guido Seeber hatte den Ort entdeckt, der im Zeichen der Ufa zum Zentrum europäischer Filmproduktion werden sollte.

Das Buch ist bei aller Leichtigkeit des Stils sorgsam ediert und mit Fotos, Faksimiles großzügig ausgestattet. Eine Fundgrube nicht nur für das film- und kinohistorisch interessiert Fachpublikum.“

Anne Paech in: epd Film, September 1992, Nr. 9