Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
April 2020

Barbara Beuys
Asta Nielsen
Filmgenie und Neue Frau
Berlin, Insel Verlag 2020
448 S., 25,00 €
ISBN: 978-3-458-17841-5

Barbara Beuys:
Asta Nielsen.
Filmgenie und Neue Frau

Sie war eine „moderne“ Schauspielerin mit ausdrucksstarkem Gesicht und filmischer Körpersprache. An die siebzig Filme hat die Dänin zwischen 1911 und 1932 in Deutschland gedreht, vor allem Melo-dramen und Komödien. Die Biografie von Barbara Beuys, erschienen im Insel Verlag, heißt im Untertitel „Filmgenie und Neue Frau“.

Geboren 1881 in Kopenhagen, wuchs Asta Nielsen in ärmlichen Ver-hältnissen im schwedischen Malmö auf. Ihr Vater starb, als sie 14 Jahre alt war. Ihre Mutter erzog sie streng, sie hatte eine vier Jahre ältere Schwester. Schon früh wollte sie Schauspielerin werden, nahm Unter-richt, kam mit 18 ans Kongelige Teater in Kopenhagen und musste zwei Jahre später eine Auszeit nehmen, weil sie eine uneheliche Tochter zur Welt brachte, was sie weitgehend geheim hielt. Sie kehrte auf die Bühne zurück, bekam größere Rollen, lernte den Regisseur Urban Gad kennen und drehte 1910 ihren ersten Film ABGRÜNDE. Der inter-nationale Erfolg dieses Films brachte sie nach Deutschland, wo sie – mit einer dreijährigen Unterbrechung während des Ersten Weltkriegs – zu einem großen Star der 10er und 20er Jahre wurde.

Die Biografie von Barbara Beuys erzählt Asta Nielsens Lebens-geschichte chronologisch in 43 Kapiteln. Die Autorin hat dafür zahl-reiche neue Quellen ausgewertet, die sie in Dänemark, Deutschland und Schweden entdeckt hat. Oft gibt es Differenzen zwischen Nielsens gedruckten autobiografischen Äußerungen (etwa in den verschiedenen Fassungen von „Die schweigende Muse“) und Beschreibungen in Briefen an ihre Freunde und ihre Schwester. Sie hat über Jahrzehnte fleißig korrespondiert, die meisten Briefe sind offenbar erhalten.

Für die Darstellung der Filmarbeit nutzt die Autorin vorwiegend zeitgenössisches Pressematerial, vor allem Zitate aus Kritiken der 10er und 20er Jahre. So schreibt Willy Haas über ihren HAMLET-Film 1921: „Es wäre lächerlich von ‚guten Momenten’ zu sprechen – wo jede Sekunde meisterhaft ist.“ Hans Siemsen 1923 über die Schlussszenen in ihren Filmen: „Diese Szenen sind mir die unvergesslichsten unter all den unvergesslichen Leistungen der ersten und größten unter allen lebenden Kinoschauspielerinnen.“ Béla Balázs über DER ABSTURZ 1923: „Senkt die Fahnen vor ihr, denn sie ist unvergleichlich und unerreicht. Senkt die Fahnen vor ihr, denn durch ihre Kunst wird selbst der Absturz des alternden Weibes zum steilen Aufstieg der Künstlerin.“ Und in seinem Buch „Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films“ (1924) heißt es: „Wenn man schon verzweifeln möchte an der Berufenheit des Films, eine eigene, wirkliche Kunst zu werden, die würdig ist, dass sie eine zehnte Muse auf dem Olymp vertritt… wenn man wenn man zu zweifeln anfängt, dass ist es doch nur die Asta Nielsen, die einem Glauben und Überzeugung wiedergibt.“ Herbert Ihering über DIE FREUDLOSE GASSE 1925: „Die leuchtende Ausdruckskraft ihres Antlitzes, ihres Körpers, der Zauber, mit dem sie Liebesszenen spielt, mit dem sie ein Bukett trägt, mit dem sie von der Dame plötzlich ins italienische Volkskind umschlägt – unvergleich-lich.“ Siegfried Kracauer empört sich 1931 in einem Artikel in der Frankfurter Zeitung: „Die Filmbranche hat es fertig gebracht, eine Darstellerin vom Range Asta Nielsens beiseite zu schaffen.“ 1932 drehte sie ihren letzten Film: UNMÖGLICH LIEBE.

Asta Nielsen war eine selbstbewusste Darstellerin, die viele Rollen-angebote abgelehnt hat, die sich gern mit Regisseuren stritt, wenn sie mit ihren Anweisungen nicht einverstanden war. Bekannt ist ihr Konflikt mit Ernst Lubitsch über die Zusammenarbeit bei dem Film RAUSCH (1919), der in der Zeitschrift Lichtbild-Bühne ausgetragen wurde und in der Biografie mit Zitaten dokumentiert wird.

Von den Nazis ließ sie sich nicht vereinnahmen, sie traf Hitler und Goebbels, spielte Theater, verließ aber Deutschland 1937 und lebte fortan vorwiegend in Kopenhagen. In den frühen 50er Jahren war eine Rückkehr auf deutsche Bühnen geplant, die aber aus gesundheitlichen Gründen scheiterte. Ein Sehnsuchtsort war für sie ihr Haus auf der Insel Hiddensee, das sie 1929 erworben hatte. Es ist noch heute ein Erinnerungsort.

Ehepartner und Lebensgefährten spielten eine große Rolle bei Asta Nielsen. Sie werden von Barbara Beuys angemessen ins Spiel gebracht, prononcierter als in Nielsens Erinnerungsbüchern: der Autor und Regisseur Urban Gad, der Produzent Ferdinand („Freddy“) Wingaardh, der Schauspieler Gregori Chmara, der Musiker Rudolf Mendler. 1970 heiratete sie den Kunsthändler Christian Theede. Die späte Beziehung wird mit großer Empathie beschrieben, erstmals gibt es Zitate aus Briefen, die sie sich geschrieben haben.

Zu den engen Freunden, mit denen sie jahrzehntelang korrespondierte, gehörten der Schriftsteller und Kabarettist Joachim Ringelnatz und seine Frau Leonharda, genannt „Muschelkalk“, die Schriftsteller Heinrich Rumpff, Karl Kinndt, Wolfgang Goetz und seine Frau Elisabeth, die Schauspielerin Clara Pontoppidan. Die Auswertung der Korrespondenz prägt vor allem die zweite Hälfte der Biografie, die viele Informationen über Reisen, Krankheiten und persönliche Ereignisse enthält. Auch materielle Armut spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle.

Barbara Beuys (*1943) ist Historikerin und Schriftstellerin mit großer Erfahrung im Verfassung von Biografien. In den letzten Jahren publi-zierte sie Bücher über die Universalgelehrte Hildegard von Bingen, die Malerin Helene Schjerfbeck, die Künstlerin und Forscherin Maria Sibylla Merian und Preußens erste Königin Sophie Charlotte. Sie kann hervorragend recherchieren und verhält sich natürlich loyal gegenüber ihren Protagonistinnen. Wer viel über Asta Nielsen wissen will, findet in dieser Biografie mehr Informationen als irgendwo sonst.

Es gibt in der Mitte des Buches einen schmalen Bildteil. Wer mehr Bilder aus dem Leben und den Filmen von Asta Nilsen sehen möchte, sollte unbedingt die Bildbiographie aus dem Regal holen, die Renate Seydel und Allan Hagedorff 1981 im Henschelverlag publiziert haben. Es ist eine optische Schatzkiste. Mit Auszügen aus der Autobiografie von Asta Nielsen.

In dem Buch „Deutsche Augen-blicke“, 1996 herausgegeben von Peter Buchka, steht ein schöner Text von Hans Schif-ferle über den Film TOTEN-TANZ (1912) von Urban Gad. Ich zitiere einen Auszug: „Ein Film über Hoffnung und Verzweiflung. Wie Asta Nielsen spielt, mit und auf ihrem Körper, davon handelt Gads Film. Wie Emotionen aufblitzen in den Rundungen des Körpers, in der sparsa-men Mimik; wie Kunst und Natur eins werden in der Magie des Körperlichen, in der Sinnlichkeit des Kinos. Die bekleidete Nielsen, meint Béla Bálazs, sei von einer geradezu obszönen Nacktheit. Und dann die Augen von Asta Nielsen, die Fenster des Kinos sind, wie wir sie sonst nur finden bei Conrad Veidt und Barbara Steele.“ Das Coverfoto stammt aus dem TOTENTANZ.

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