Grundlagen der Kinobeschallung

Wenn wir an das Kino denken – und das war in den Zeiten der Corona-Krise, als sie nicht spielen durften, sehr oft das Fall – dann geht es nicht nur um die Bilder auf der Leinwand, son-dern auch um den Ton, der sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert hat. Digitalisierung, immersive Formate wie Dolby Atmos, leistungsfähigere Laut-sprecher und spezielle Ideen bei der Tonmischung wirken sich dabei aus. Der Audiotechniker Carsten Peter hat jetzt im Schüren Verlag ein interessantes Buch über Kinobeschallung publiziert, das nicht nur für Fachleute lesenswert ist. In 12 Kapiteln informiert er über elektroakustische und kinospezifische Grundlagen, die Signalkette im Kino „A-Chain“ und „B- Chain“, Akustik im Kino, Lautsprecher für den Kinosaal, Simulation als Planungshilfe, Frontlautsprecher, Subwoofer, Surrounds, Verstärker, digitale Signal-Prozesse, Tonformate, Inbetriebnahme und Einmessung. Der Text ist relativ verständlich auch für Laien, zahlreiche grafische und fotografische Abbildungen unterstützen die Anschaulichkeit. Das Buch sensibilisiert für die Tonebene im Kino. Coverfoto: Cinedom Köln, Saal 4. Mehr zum Buch: grundlagen-der-kinobeschallung.html

Isabella Rossellini und ihre Hühner

Wenn Hühner lesen könnten, würden sie bei der Lektüre dieses Buches sicherlich auch mal lachen, aber sie wären vor allem beeindruckt, von der Zuneigung der Schauspielerin Isabella Rossellini und von ihrem Wissen über Verhaltens-weisen und die Vielfalt der Arten. Aus einer Scheune auf Long Island hat sie einen Bauernhof gemacht und lebt dort – wenn sie nicht gerade in der Welt unterwegs ist – mit ihren Hühnern, die natürlich viel Auslauf haben und nicht geschlachtet werden. Ihr Buch erschien erstmals vor drei Jahren, jetzt ist bei Schirmer/Mosel eine verkleinerte, aber erweiterte Ausgabe herausgekommen, die unbedingt zu empfehlen ist, wenn man nicht nur an Eiern und Hähnchenkeulen interessiert ist. Die Informationen des Textes sind reich, die Zeichnungen der Autorin haben große Qualitäten, die Fotografien von Patrice Casanova vermitteln einen Eindruck von der Realität des Bauernhofes und den Bewohnern: Isabella Rossellini und ihren weit über hundert Hühnern. Mehr zum Buch: 39&products_id=860

Frederic, der Zahlenprinz

Oliver Sechting ist Sozialpäda-goge, Autor und Filmemacher. Er leidet unter Zwangsstörun-gen, hat dies in dem Film WIE ICH LERNTE DIE ZAHLEN ZU LIEBEN (2014) und in seiner Autobiografie „Der Zahlendieb“ (2017) thematisiert. Jetzt ist im riva Verlag sein Kinderbuch „Frederic, der Zahlenprinz“ erschienen. Es erzählt in Texten und Bildern die Geschichte des Prinzen Frederic, der nach dem Tod seiner Oma die Freude am Spielen verliert und stattdessen mit dem Zählen beginnt. Kurzfristig glücklich macht ihn nur die Zahl Zwölf. Aber das Zählen macht müde, führt zu Kopfschmerzen und Einsamkeit. Nach vielen Wochen offenbart er seine Ängste dem König, seinem Vater. Der engagiert die Dorfälteste Florina, die den Prinzen über einen längeren Zeitraum therapiert. Am Ende gewinnt Frederic im Bogenschützenturnier den ersten Preis. Ein wunderbares Kinderbuch mit Zeichnungen von Eva Hidalgo. Mehr zum Buch: 20149-frederic-der-zahlenprinz/

FIVE GRAVES TO KAIRO (1943)

Kriegsfilm, Spionagefilm, Melo-dram – und Satire auf den deut-schen Militarismus. Nordafrika im Sommer 1942. Die deutsche und die britische Armee liefern sich harte Gefechte, Tobruk ist gefallen, Feldmarschall Erwin Rommel und sein Afrikacorps treiben die Briten in Richtung Kairo. Der Film beginnt mit Bildern eines Panzerwagens in der Wüste, oben hängt ein toter Soldat, auch der Fahrer lebt nicht mehr, ein dritter Mann kann sich retten und findet Unterschlupf in einem schäbigen Hotel an der lybisch-ägyptischen Grenze, „Empress of Britain“. Der Besitzer Farid und das französische Hausmädchen Mouche nehmen den englischen Korporal John Bramble nur ungern auf, denn sie rechnen in jedem Moment mit der Ankunft der Deutschen. Verkleidet als Hausdiener wird er ins Personal integriert. Dann trifft Rommel mit seinem Leutnant Schwegler und einem verbündeten italienische General ein. Das Hotel wird zum Schauplatz komplizierter Verknüpfungen, denn Mouche möchte von Rommel die Freilassung ihres Bruders erwirken, der in Deutschland in einem Konzentrationslager gefangen gehalten wird. Die fünf Gräber bis Kairo sind Verstecke für deutsches Kriegsmaterial. Der Film von Billy Wilder hat große Qualitäten. Dazu gehört das Darstellerensemble: Franchot Tone als Bramble, Anne Baxter als Mouche, Erich von Stroheim als Erwin Rommel, Akim Tamiroff als Hotelbesitzer Farid und Peter van Eyck als Leutnant Schwenger. Auch die Kameraführung von John F. Seitz und die Musik von Miklós Rósza sind beeindruckend. Bei Koch Media sind jetzt DVD und Blu-ray des Films erschienen. Sehr zu empfehlen. Mehr zur DVD: five_graves_to_cairo_dvd/

DIE SEHNSUCHT DER SCHWESTERN GUSMAO (2019)

Rio de Janeiro in den 50er Jah-ren. Die beiden Schwestern Euridice und Guida leben in einem konservativen Eltern-haus. Sie haben große Träume von ihrer Zukunft. Euridice will Konzertpianistin werden, Guida möchte vor allem von zuhause weg. Mit einem Matrosen ver-lässt sie Rio. Als sie allein und schwanger zurückkehrt, wirft ihr Vater sie raus und verhindert ein Wiedersehen mit der Schwester Euridice. Beide leben die nächsten Jahre getrennt in Rio und versuchen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Das ist schwierig in einer patriarchalischen Gesellschaft. Der Film von Karim Ainouz erzählt die Geschichte der Protagonistinnen malerisch und mit großer Empathie. Die beiden Hauptdarstellerinnen Carol Duarte (Euridice) und Julia Stockler (Guida) sind herausragend, die Kameraführung von Hélène Louvart ist beeindruckend. Nach einem Roman von Martha Batalha. Bei good!movies ist jetzt die DVD des Films erschienen. Zu empfehlen, auch wenn man zurzeit mit dem Staat Brasilien nichts zu tun haben möchte. Mit einem informativen Booklet. Mehr zur DVD: die-sehnsucht-der-schwestern-gusm-o.html

Chantal Akermans Verschwinden

Chantal Akerman (1950-2015) war eine herausragende belgi-sche Filmemacherin, die dokumentarisch, fiktiv und experimentell vor allem Frauen porträtiert hat, die ihren eigenen Lebensweg gegangen sind. Tine Rahel Völcker begibt sich auf eine Spurensuche in die kleine polnische Stadt Tarnów, wo 1928 Chantal Akermans Mutter geboren wurde. Sie forscht dort nach Relikten der jüdischen Vergangenheit und trifft Menschen, die davon viel, wenig oder gar nichts wissen. Ihre Begegnungen verbindet sie im Text mit Reflexionen zu sechs Filmen von Chantal Akerman: SAUTE MA VILLE (1968), NEWS FROM HOME (1976), LES RENDEZ-VOUS D’ANNA (1978), D’EST (1993), DE L’AUTRE CôTÉ (2002) und LÀ-BAS (2006). Sie schaut sich diese Filme, die sie im Gepäck mitgenommen hat, vor Ort an. Ihre Beschreibungen sind sehr präzise, es gibt erstaunliche Verknüpfungen mit den persönlichen Erlebnissen in Tarnów, aber auch unüberbrückbare Entfernungen. Am Ende steigt Tine Rahel Völcker in einen Zug nach Paris. 150 Seiten, lesenswert, mit Abbildungen. Mehr zum Buch: chantal-akermans-verschwinden

Berlin in 100 Kapiteln

Kein Filmbuch, aber eine origi-nelle Publikation über die Stadt, in der wir leben. Der Kolumnist Harald Martenstein, geboren in Mainz, und der Chefredakteur des Tagesspiegel, Lorenz Maroldt, geboren in Köln, sind mit Berlin eng verbunden und machen sich Gedanken über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der deutschen Haupt-stadt. Warum funktioniert hier vieles nicht so gut wie in München, Hamburg oder Recklinghausen? Diese Stadt scheint ins Scheitern regelrecht verliebt zu sein. Zunächst erzählen die beiden Autoren, wie und warum sie nach Berlin gekommen sind. Dann erstellen sie eine Kurzfassung der Berliner Mängelliste. Es folgt eine Beschreibung der jüngeren Berliner Skandale, die meist mit Bürgschaften verbunden waren. Der Versuch eines Psychogramms der Berlinbewohner mit Twitter-Zitaten der Berliner Polizei aus dem Jahreswechsel von 2019 auf 2020 hat teilweise die Form von Gedichten. „Der Kampf um die Stadt“ ist die Suche nach bezahlbaren Wohnungen. Natürlich ist ein Kapitel der Geschichte des Airports BER gewidmet. Charakterisiert werden die zwölf Bezirke. Zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit dem Auto und mit öffentlichen Verkehrsmitteln kann man sich durch die Stadt bewegen, aber das ist gar nicht so leicht. In der Kriminalität ist Berlin eine Metropole von Weltrang. Für den Umgang mit der Verwaltung ist eine kurze Gebrauchsanleitung hilfreich. Kann man einen „Mentalitätswechsel“ in der politischen Leitung erkennen? Wer weiß etwas über die Zukunft der Stadt? Und am Ende, im 13. Kapitel, fragen sich die beiden Autoren, ob sie alles richtig gemacht haben. Aus meiner Sicht ist das weitgehend der Fall, denn sie sind Profis, bestens informiert und ihre Geschichten sind auch dann noch glaubhaft, wenn sie wie absoluter Wahnsinn klingen. Und trotzdem lebe ich gern in dieser Stadt. Mehr zum Buch: 9783550200106.html

Der narrative Ausdruck des Grauens

Richard Holzinger Reiter unter-nimmt in dieser Publikation eine filmanalytische Aufarbeitung des „Atrocity-Films“, also der dokumentarischen Aufnahmen, die von den Alliierten 1945 in den Konzentrations-, Arbeits- und Vernichtungslagern des nationalsozialistischen Deutschlands hergestellt wurden. Der Schlüsselfilm, GERMAN CONCENTRATION CAMPS FACTUAL SURVEY, der 1945 von Sidney Bernstein produziert wurde, konnte erst 2014 im Imperial War Museum vervollständigt und veröffentlicht werden, weil es Konflikte unter den Allierten gab. Bekannt ist der Atrocity-Film DIE TODESMÜHLEN von Hanuš Burger unter Aufsicht von Billy Wilder. Er wird auch vom Autor mit dem von ihm ausgewählten Film analytisch verglichen. Wichtige Aspekte des Textes sind: das Archivbild als Grundstruktur, die Frage nach der Authentizität, die versteckte Macht und die Manipulation, zwei Standbildanalysen, die Montage und die Entwicklung der Bildstruktur, die Erweiterung durch das Audiomaterial, das Gedächtnis und seine Formen. Den Abschluss bildet eines detaillierte Filmanalyse der Dokumentation GERMAN CONCENTRATION CAMPS FACTUAL SURVEY, die auch kritische Elemente enthält. Keine Abbildungen. Mehr zum Buch: der-narrative-ausdruck-des-grauens.html

Von Propaganda bis Poesie

Eine Dissertation, die an der Ludwig-Maximilians-Univer-sität München entstanden ist. Henriette Reisner untersucht darin den frühen sowjetischen Animationsfilm im Spiegel politischer und ästhetischer Debatten. Es geht zunächst um frühe Techniken, animierte Agitation und Avantgarde, Kinderfilm und Puppentrickfilm in den 20ern. Dann spielen internationale Korrelationen und Einflüsse in den 30ern eine Rolle: „Wir brauchen eine sowjetische Micky Maus!“. Und es erfolgt eine (Re-)Animation des Märchens. Ein umfangreiches Schlusskapitel informiert über Leningrad als „Exzentropolis“ und den Animationsfilm in Georgien. Insgesamt 68 Filme aus den 1920er und 30er Jahren werden mit beeindruckender Genauigkeit besprochen. Natürlich ist in den 30er Jahren auch die Filmmusik wichtig. Sie wird anschaulich charakterisiert. Die Autorin hat auch die internationale Literatur zum Thema aufgearbeitet, 16 Seiten umfasst die Bibliografie. Also: ein Basiswerk zum frühen sowjetischen Animationsfilm. Mit 190 kleinen Abbildungen in guter Qualität. Mehr zum Buch: von-propaganda-bis-poesie

Zwei Filme von Wim Wenders

DER STAND DER DINGE, realisiert 1981 in Portugal, ist eine Reflexion über das Filme-machen und die Finanzierung von Projekten. Der Regisseur Friedrich Munro (Patrick Bau-chau) dreht einen Science-Fiction-Film. Als die Zahlungen des Produzenten Gordon aus Hollywood ausbleiben und das Filmmaterial zu Ende geht, bricht das Team auseinander. Der Kameramann Joe Corby (gespielt von Samuel Fuller) fliegt nach L.A., und auch Munro macht sich auf den Weg dorthin. Er findet Gordon (Allen Garfield), der sich in einem Wohnwagen versteckt hält, weil er von seinen Kreditgebern gesucht wird. Das Ende ist dramatisch. Der Schwarzweißfilm (Kamera: Henri Alekan) nach einem Drehbuch von Robert Kramer ist ein Resultat der Erfahrungen von Wim Wenders in den USA, der dort sein Hammett-Projekt unterbrechen musste, weil sein Produzent Francis Ford Coppola in finanzielle Schwierigkeiten war. Das Filmemachen zu Beginn der 80er Jahre konnte zu existentiellen Krisen führen. Wenders wurde für den Film beim Festival in Venedig 1982 mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Die DVD des digital restaurierten Films ist jetzt bei StudioCanal erschienen. Zu den Extras gehört ein Audiokommentar von Wenders. Mehr zur DVD: stand_der_dinge-digital_remastered

LISBON STORY, gedreht 1994, ist fast so etwas wie die Fortset-zung vom STAND DER DINGE. Der Toningenieur Phillip Winter (Rüdiger Vogeler) fährt nach Lissabon, weil sein Freund, der Regisseur Friedrich Munroe (Patrick Bauchau) bei seinem Stummfilm-Projekt in Schwierigkeiten geraten ist. Da Munroe zunächst nicht aufzu-finden ist, erkundet Winter die Stadt, verliebt sich in die Sängerin einer portugiesischen Musikgruppe (Teresa Salgueiro) und kann Munroe am Ende auch helfen. Eine schöne Hommage an Lissabon und an das Kino. Einen Gastauftritt hat der Regisseur Manoel de Oliveira. Schöne Musik (von der Gruppe Madredeus und Jürgen Knieper), starke Bilder (Kamera: Lisa Rinzler). Die DVD des digital restaurierten Films ist jetzt bei StudioCanal erschienen. Zu den Extras gehören ein Audiokommentar von Wenders und ein Booklet. Mehr zur DVD : lisbon_story-special_edition-digital_remastered_