Andreas Dresen

Vor sieben Jahren erschien das erste Andreas Dresen-Porträt von Hans-Dieter Schütt. Auf dem Titelbild machte der Regisseur damals ein ernstes Gesicht: dresen/. Jetzt, beim zweiten Porträt, lacht er. Denn inzwischen hat er drei neue, erfolgreiche Filme gedreht: die Romanverfilmung ALS WIR TRÄUMTEN (2015), den Kinderfilm TIM THALER ODER DAS VERKAUFTE LACHEN (2017) und den biografischen Musikfilm GUNDERMANN (2018). Er gehört inzwischen zu den bekanntesten deutschen Filmregisseuren. Hans-Dieter Schütt hat sein Buch vollständig überarbeitet und neue Gespräche geführt. Das erste beschäftigt sich mit der Corona-Krise und Kollektivität, Gundermann und Geschichtsbildern, Hollywood und Ukulele, Filmkarriere und Verbrüderung in der Arbeit, das sechste handelt von Träumen und dem Nachbau der Welt, Untoten aus dem Osten und dem Richteramt, Glücks Spiel und Lebensrezepturen. Dazwischen erfahren wir viel über Fehlbesetzungen und Spielleitung, Lebenszeit am Schneidetisch, Kunst und Handwerk, Kindheit, Jugend, erste Theatererfahrung, Armee und Angst, Grundlagenstudium und Ideale, reale Verluste und das Rüstzeug fürs Leben – meist verbunden mit konkreten Erzählungen von der Filmarbeit. Das Gedicht des Vaters Adolf „Für den kleinen Andreas“ am Anfang, der Reisebericht von Tokio nach Tblissi über Moskau in der Mitte des Bandes und die sehr persönlichen „Nach-Sätze“ von Laila Stieler und Wolfgang Kohlhaase wurden in die Neuausgabe übernommen. Über das erneuerte Porträt kann Andreas glücklich sein. Mehr zum Buch: andreas-dresen-2.html

DER LETZTE MANN (1924)

Der Film von F. W. Murnau mit Emil Jannings als Hotelportier, der zum Toilettenmann degra-diert wird, gehört zum Kanon der deutschen Filmgeschichte. Die Murnau-Stiftung hat nach einer erneuten Restaurierung den Film auf DVD und Blu-ray ediert. Natürlich ist es span-nend, ihn immer mal wieder zu sehen und die herausragende Arbeit des Kameramannes Karl Freund zu bewundern. Um einen Eindruck von der dama-ligen Rezeption zu erhalten, lohnt es sich, die Kritik von Siegfried Kracauer zu lesen, die im Januar 1925 in der Frankfurter Zeitung erschienen ist: material/626951. Im Mai 2019 hat Andreas Dresen den Film in der Reihe „Carte Blanche“ im Deutschen Filmmuseum präsentiert. Hier ist sein Kommentar: 36049/video/1573169 . Zum Bonusmaterial der DVD gehören ein „Making of“-Film von Luciano Berriatúa (40 min.) und ein informatives Booklet. Mehr zur DVD: -3&tag=googhydr08-21

Barbara Albert

„Aus der Werkstatt“ heißt eine neue Buchreihe der Filmakade-mie Wien, herausgegeben von Kerstin Parth und Claudia Walkensteiner-Preschl, publi-ziert vom Sonderzahl Verlag. Band 1 ist der österreichischen Filmemacherin Barbara Albert gewidmet. Ihr bekanntester Film ist NORDRAND (1999), der bei den Filmfestspielen in Venedig uraufgeführt wurde. In einem 80seitigen Werkstattgespräch mit Albert Meisl, Kerstin Parth und David Bohun gibt sie Auskunft über die Entstehung ihrer bisher zwölf kurzen und fünf langen Filmen, über die Inspi-rationen, die Arbeit am Drehbuch, das Casting, die Zusammenarbeit im Team, die Resonanz. 1999 hat sie zusammen mit Martin Gschlacht, Jessica Hausner und Antonin Svoboda die Produktionsgesellschaft „coop99“ gegründet. Ihr bisher letzter Film war LICHT (2017), das Porträt der blinden Pianistin Maria Theresia Paradis, einer Zeitgenossin Mozarts. Das Gespräch ist außerordentlich aufschlussreich und macht neugierig auf einige Filme von Barbara Albert, die ich bisher nicht kenne. Zu den Materialien des Bandes gehört ein sehr persönlicher Text von ihr aus der österreichischen Zeitschrift Fleisch: „35 Jahre – die Mitte oder erst der Anfang?“ (2005). Mehr zum Buch: aus-der-werkstatt-barbara-albert/

Capucine

Eigentlich hieß sie Germaine Lefebvre. Ihre erste Karriere machte sie als Mannequin für Hubert de Givenchy in Paris. Aber ihr Ehrgeiz war, ein Film-star zu werden. Sie lernte Englisch und reiste nach Holly-wood. Der Produzent Charles Feldman nahm sie unter seine Fittiche, verschaffte ihr einen Vertrag bei Columbia und empfahl ihr das Pseudonym Capucine, das sie durch ihre zweite Karriere begleitete. Ihre große Zeit waren die 1960er Jahre, ihre bekanntesten Filme sind NORTH TO ALASKA (1960) von Henry Hathaway mit John Wayne als Partner, THE PINK PANTHER (1963) von Blake Edwards mit David Niven und Peter Sellers, WHAT’S NEW PUSSYCAT? (1965) von Clive Donner mit Peter O’Toole, Romy Schneider und Woody Allen, THE HONEY POT (1967) von Joseph Mankiewicz mit Rex Harrison und Susan Hayward. Federico Fellini holte sie 1969 für seinen Film SATYRICON nach Rom, Philippe de Broca für L’INCORRIGIBLE 1975 nach Paris, Blake Edwards für TRAIL OF THE PINK PANTHER 1982 und für CURSE OF THE PINK PANTHER 1983 nach einmal nach London. Seit 1969 wohnte sie in Lausanne. Sie litt unter bipolaren Störungen. Am 17. März 1990 sprang sie aus dem achten Stock in den Tod. Sie war 62 Jahre alt. Der Schweizer Autor Blaise Hofmann hat sich auf eine intensive Spurensuche nach Capucine begeben und erzählt ihre Lebens-geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven. Sein Text ist weit von einer traditionellen Biografie entfernt, er zwingt den Leser zur Mitarbeit, was die Lektüre zusätzlich spannend macht. Aus dem Französischen von Barbara Traber. Ohne Abbildungen. Mehr zum Buch: capucine-blaise-hofmanm

„Hamster im hinteren Stromgebiet“ von Joachim Meyerhoff

Dies ist der fünfte autobiogra-fische Roman des Schauspielers Joachim Meyerhoff. Er konfron-tiert uns mit dem Schlaganfall, den er im Dezember 2018 in Wien erlitten hat. Während JM seiner älteren Tochter bei ihrer Hausarbeit über Bipolarität hilft, wird ihm übel, seine linke Seite erlahmt, der Notarzt wird verständigt, es dauert lange, bis der Krankenwagen kommt und ihn auf Umwegen in eine Klink am Stadtrand bringt, wo er auf der Intensivstation behandelt wird. Wir sind neun Tage mit ihm im Krankenhaus, nehmen an Untersuchungen und Therapien teil, beobachten aus der Perspektive von JM die anderen sechs Patienten, die hinter Vorhängen, die oft geöffnet werden, sehr individuell mit ihren Erkrankungen umgehen, freuen uns mit ihm, wenn seine beiden Töchter und die neue Lebensgefährtin Sophie zu Besuch kommen. Die medizinischen Informationen sind präzise, es bleibt viel Zeit für Gedanken, Assoziationen, Erinnerungen. Ausführlich werden Reisen in früheren Jahren beschrieben. Mit seinem Bruder in die Berge von Norwegen, mit Sophie nach Senegal, mit der Familie nach Mallorca, mit einem Freund nach Anatolien. Es gibt dramatische und sehr komische Momente. 300 Seiten, ein paar Erinnerungen sind sehr weit hergeholt, aber auch der fünfte Roman von JM ist unbedingt lesenswert. Mehr zum Buch: hamster-im-hinteren-stromgebiet-9783462000245

Kino in 30 Sekunden

Der Sprint durch die Filmge-schichte erfolgt in sieben Kapiteln auf 160 Seiten: Die Anfänge, Genres, Regisseure, Stars, Bewegungen, Film-industrie, Abseits der Multi-plexe. Es gibt jeweils einen Text, der in 30 Sekunden zu lesen sein soll, einen 3-Sekunden-Trailer, zwei 3-Sekunden-Biografien und eine 3-Minuten-Fortsetzung. Auf der linken Seite stehen die Texte, auf der rechten findet man Abbildungen. Zu jedem Kapitel gehört ein Profil, dort werden porträtiert: D. W. Griffith, Wes Craven, Alfred Hitchcock, Marlene Dietrich, Quentin Tarantino, George Lucas und Maya Deren. Jedes Kapitel beginnt mit einem Glossar. Herausgegeben von der britischen Filmhistorikerin Pamela Hutchinson, die kürzlich in der Reihe „BFI Film Classics“ ein interessantes Buch über DIE BÜCHSE DER PANDORA publiziert hat. Textbeiträge stammen von Nikki Baughan, Anton Bitel, Phil Hoad, Chistina Newland und Kelli Weston. Gut geeignet für Menschen, die noch wenig von der Filmgeschichte wissen. Mit 7,95 € sehr preiswert. Mehr zum Buch: kino-in-30-sekunden/

VERBOTENE LIEBE (1990)

Helmut Dziuba (1933-2012) hat für die DEFA vor allem Kinder- und Jugendfilme gedreht. VER-BOTENE LIEBE entstand in der Vorwendezeit. Er erzählt die Liebesgeschichte zwischen dem 18jährigen Georg und der 13jährigen Barbara, die zu einer Gerichtsverhandlung wegen Kindesmissbrauch führt. Die Eltern von Georg und Barbara sind verfeindet, in der Schule wird der Fall heftig diskutiert. Viele Mitschüler solidarisieren sich mit Georg und Barbara, auch die Lehrerin Laube, während der Direktor Strenge für angebracht hält. Das abschließende Gerichtsurteil wird am Ende ausgespart, aber wir erfahren, dass Georg und Barbara später geheiratet haben. Hervorragend gespielt von Julia Brendler (Barbara), Hans-Peter Dahm (Georg), Gudrun Ritter (Lehrerin Laube), Heide Kipp und Peter Sodann (Barbaras Eltern), Karin Gregorek und Rolf Dietrich (Georgs Eltern). Helmut Bergmann stand hinter der Kamera, Monika Schindler war für den Schnitt verantwortlich. Die DVD ist jetzt bei Absolut Medien erschienen. Unbedingt zu empfehlen. Bonusfilm: BANALE TAGE (1991) von Peter Welz – die Geschichte einer Freundschaft im Ost-Berlin der 70er Jahre. Mit einem Audiokommentar des Regisseurs im Gespräch mit Ralf Schenk. Mehr zur DVD: 7050/Verbotene+Liebe

Architekturen in Fotografie und Film

In der Architektur spielen Modelle geplanter Gebäude und Räume eine große Rolle. Sie sollen eine Vorstellung von der späteren Realität vermitteln. Der von Kirsten Wagner und Marie-Christin Kajewski herausge-gebene Band dokumentiert die Beiträge des Bielefelder Fotosymposiums „Modelle und Modellierungen von Räumen und Lebenswelten in Fotografie und Film“ 2019. Elf Texte sind zu lesen. Kirsten Wagner erzählt einleitende Fallgeschichten („Ein Modell ist ein Modell ist eine Fotografie“). Davide Deriu reflektiert über Architekturmodelle und das Realismusproblem („Mind the Gulliver Gap“). Sarine Waltenspül vermittelt eine Geschichte des Blicks im Modell. Inaki Bergera befasst sich mit der spanischen Moderne. Ralf Liptau beschäftigt sich mit der Analogfotografie im modernen Entwurfsprozess. Marie-Christin Kajewski äußert sich zu Fotomontagen als Verfahren zur Visualisierung eines suggerierten Wird-Zustands. Bei Lutz Robbers geht es speziell um Ludwig Mies van der Rohes Umgang mit Bildern. Ein Bogen wird zu Eisensteins „Glasshouse-Projekt“ (1926-29) geschlagen. Cora Waschke beschreibt das „Modell Glashochhaus“ an Beispielen von van der Rohe und Gropius. Matthias Noell und Anna Zika richten ihren Blick auf Wohnungen und Einrichtungen in den 20er und 30er Jahren. Annette Tietenberg würdigt den Interieurfotografen Robert Haas („Die sprechende Leere des Raumes“). Lohnende Lektüre vor allem für Architektur-Interessierte. Mit Abbildungen in guter Qualität. Mehr zum Buch: titelnummer=101639&verlag=4

Ulrich Seidl

Er gilt als provokantester Filmemacher Österreichs. Ulrich Seidl (*1952) realisiert seit vierzig Jahren Dokumentar- und Spielfilme, in denen gesell-schaftliche Konflikte themati-siert werden. Ihm ist das neueste Heft der Film-Konzepte gewidmet. Die Nr. 59. Die Herausgeberin Corina Erk unternimmt in ihrem einleiten-den 20-Seiten-Essay eine sehr informative Werksichtung: „Faction, Tableaus, Voyeuris-mus“. Bei Sandra Kristin Knacke geht es um Wirklichkeit und Interpretation in Seidls BILDER EINER AUSSTELLUNG (1996) und DER BUSENFREUND (1997). Jörn Glasenapp beschäftigt sich mit dem Dokumentarfilm MODELS (1998): „Die Welt der Mode ist nicht schön“. Fatima Naqvi erlebt aus der Perspektive einer Zuschauerin ein „Fremdschämen“ bei den Filmen JESUS, DU WEISST (2003), IMPORT EXPORT (2007) und PARADIES: HOFFNUNG (2013). Der Co-Herausgeber Brad Prager richtet seinen Blick auf Inszenierung und Bildkomposition in PARADIES: LIEBE (2012): „Real oder realistisch?“. Claudia Lillge beschreibt Sonne, Sand und Großwildjagd in SAFARI (2016): „Out of Austria“. Alle Texte haben ein hohes Niveau. Mit Abbildungen in guter Qualität. Coverfoto: PARADIES: LIEBE. Mehr zum Buch: ISBN=9783967074253#.X3iZWzsgBW8

Eingeschlossene Räume

Eine Dissertation, die an der Universität Zürich entstanden ist. Nepomuk Zettl erforscht darin das Motiv der Box im Film. 112 Titel werden im Anhang aufgelistet, die im Buch eine Rolle spielen. Drei Teile strukturieren den Text: I. Die Box als Dispositiv. II. Räumli-che Relationen eingeschlossener Räume. III: Raum-zeitliche Relationen eingeschlossener Räume. Es gibt verheißungs-volle Zwischenüberschriften: „Magische Kästen“, „Die Büchse der Pandora“, „Rahmen und Schachtelungen“, „Erinnerungs-kisten und eingeschlossenes Wissen“, „Resonanzräume und Inversion“. Dies sind zwanzig Filme, die ausführlicher behandelt werden: ILLUSIONS FANTASMAGORIQUES (1898) von Georges Méliès, THE X-RAY FIENS (1897) von G. A. Smith, DIE BÜCHSE DER PANDORA (1929) von G. W. Pabst, ROPE (1948) von Alfred Hitchcock, MON ONCLE (1958) von Jacques Tati, THE LIFE AQUATIC WITH STEVE ZISSOU (2004) und MOONRISE KINGDOM (2012) von Wes Anderson, THEY LIVE BY NIGHT (1948) von Nicholas Ray, THE GLASS EYE (1957) von Alfred Hitchcock (TV), CITIZEN KANE (1941) von Orson Welles, SYNECDOCHE, NEW YORK (2008) von Charlie Kaufman, BARTON FINK (1991) von Joel und Ethan Coen, SE7EN (1995) von David Fincher, KISS ME DEADLY (1955) von Robert Aldrich, INTERSTELLAR (2014) von Christopher Nolan, TOUTE LA MÉMOIRE DU MONDE (1956) von Alain Resnais, OBLOMOK IMPERII (1929) von Friedrich Ermler, MUSIC BOX (1989) von Costa-Gavras, MULHOLLAND DRIVE (2001) von David Lynch, THE LIMITS OF CONTROL (2009) von Jim Jarmusch. Die Beschreibungen einzelner Szenen, in den Boxen eine zentrale Rolle spielen, sind sehr präzise, die einschlägige wissenschaftliche Literatur wird mit zahlreichen Quellenverweisen einbezogen. Das Buch enthüllt viele Geheimnisse. Mit kleinen Abbildungen in guter Qualität. Mehr zum Buch: eingeschlossene-raeume/?number=978-3-8376-4895-9