Neujahrswunsch

Filmbuch des Jahres

Es hat eine Logik, am Ende dieses Corona-Jahres ein Buch auszuzeichnen, in dem das Virus zum Thema gemacht wurde. Elisabeth Bronfens Publikation „Angesteckt. Zeitgemäßes zu Pandemie und Kultur“, erschienen im Zürcher Echtzeit Verlag, war mein „Filmbuch des Monats Oktober“ und ist so aktuell geblieben, wie man es befürchtet hat. Die Autorin hat mit großer Genauig-keit Filme und Bücher be-schrieben, in denen Viren eine entscheidende Rolle spielen. Ihre Verbindung des Fiktiven mit heutigen Erfahrungen und Fakten zu Covid-19, der Vergangenheit mit der Gegenwart ist beeindruckend. Der Erkenntnisreichtum bleibt so groß, dass er von keinem anderen Buch in diesem Jahr erreicht wird. Mehr zum Buch: filmbuecher/angesteckt/

Günther Anders

Günther Anders (1902-1992) war ein deutsch-österreichi-scher Philosoph, Dichter und Schriftsteller. Als sein Haupt-werk gilt die zweibändige Publi-kation „Die Antiquiertheit des Menschen“ (1956/1980). In zahlreichen Texten hat er sich über die Jahrzehnte mit den Themen Kunst und Film be-schäftigt. Sie sind jetzt erstmals, herausgegeben von Reinhard Ellensohn und Kerstin Putz, in einem Band publiziert, der im Verlag C. H. Beck erschienen ist. 15 Texte widmen sich spe-ziell dem Thema Film, sie stammen aus den Jahren 1925 bis 1954 und beschäftigen sich sehr reflexiv mit dem Absoluten Film, der Tonfilmphilosophie, Spuk im Film, der Filmdramatik, Eisensteins Filmphilosophie, dem plastischen Film, dem Kriminalfilm, Charlie Chaplin und dem 3-D-Film. In einem Rundfunkgespräch mit Herbert Ihering geht es um das Dramatische im Film (1932). Drei Texte stammen aus der Exilzeit in Hollywood 1939-43, als sich Anders dort um eine Beschäftigung bemühte. Aber: „Filmphilosophie reimt sich nicht auf Hollywood“. Auch die Schriften zur Bildenden Kunst sind interessant. Zum Beispiel: das „Louvretagebuch“ (1927/28), der Radiodialog mit Arnold Zweig über Freiheit in der Kunst (1933), die Künstlerporträts für den Rundfunk (1953-56), die Italien-Tagebücher (1954 und 56). Unbedingt lesenswert: das Nachwort des Herausgeberduos. Ein Buch für stille Stunden und Zeit zum Nachdenken. Mehr zum Buch: product/29929927

35 Millimeter

Seit sieben Jahren gibt es das Retro-Magazin 35 Millimeter. In den ersten sechs Jahren erschien es alle zwei Monate, seit diesem Jahr wird es vierteljährlich publiziert. Die Zeitschrift widmet sich der Filmgeschichte von 1895 bis 1965. Jedes Heft hat einen Schwerpunkt. In der gerade erschienenen Nummer 40 ist dies das Studio Warner Bros. Auf sechs Seiten porträtiert Berward Knappik den Regisseur Raoul Walsh: „Ein Regisseur für jedes Genre“. Marco Koch erinnert an die Filme DOCTOR X (1932) und MYSTERY OF THE WAX MUSEUM (1933): „Warner Horror in Technicolor“. Prof. Dr. Tonio Klein befasst sich mit Michael Curtiz („Ein Typ, der Filme macht“), setzt mit dem zweiten Teil seinen Bette Davis-Text fort („Sternchen, Schauspielerin – und Star?“), mit dem vierten Teil seinen William Powell-Text („Die frühen Jahre“) und verweist auf den Anti-Nazi-Film BLACK LEGION (1937). Lars Johansen richtet seinen Blick auf die Animationsfilme von Warner Bros.: „Mit dem Hammer auf den Kopf“. Matthias Merkelbach beschäftigt sich mit dem Film Noir bei Warner Bros. („The Big Sleep“). Bei Robert Zion geht es um die Noir-Western THE SEARCHERS und CHEYENNE AUTUMN von John Ford. Clemens G. Williges (Chefredakteur der Zeitschrift) schließt die 34seitige Titelstory mit seinem Text über Boris Karloff ab: „Jenseits der Monster“. Auf zwölf Seiten werden Blu-rays und DVDs rezensiert. Weitere Beiträge sind dem Regisseur Irving Lerner, dem österreichischen Film EIN TOLLES FRÜCHTCHEN und dem japanischen Film NACKTE JUGEND von Nagisa Oshima gewidmet. Von Robert Zion stammt ein Nachruf auf Rhonda Fleming. Fortgesetzt werden Texte über Federico Fellini (von Manuel Föhl) und Antonin Artaud (von Christoph Seelinger). Eine Hommage von Stefan Vockrodt gilt der Schauspielerin Helen Holmes. Es gibt mehrere Kolumnen und eine Vorschau auf das Heft 41 mit der Titelstory über Bette Davis. Die Texte des Magazins haben hohes Niveau, die Abbildungen (Fotos und Plakate) sehr gute Qualität. Ein Jahres-Abo kostet 28 €. Mehr zur Zeitschrift: https://35mm-retrofilmmagazin.de

CHICAGO (1931)

Heinrich Hauser (1901-1955) war ein deutscher Schriftsteller, Fotograf und Weltenbummler. 1931 hat er ein Buch über Chi-cago geschrieben und einen Film über die damals zweitgrößte Stadt der USA gedreht: WELTSTADT IN FLEGEL-JAHREN. „Dies ist die schönste Stadt der Welt: technischer Traum als Aluminium, Glas, Stahl, Zement und künstlichen Sonnen, fremdartig wie ein anderer Stern“, heißt seine Impression. Es gibt in den Bildern des 65-Minuten-Films natürlich auch einen Underground, denn Chicago war als Gangsterzentrum Schauplatz vieler Kriminalfilme. Die Annäherung an die Stadt geschieht langsam, mit Ellipsen, es dauert eine Weile, bis man im Zentrum angekommen ist. Menschen stehen im Mittelpunkt: Passanten, spielende Kinder, Pendler auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz. Wir hören sie nicht reden, denn es handelt sich um einen späten Stummfilm. Es gibt originelle Schnittfolgen. „Der Weg der Tiere“ heißt ein kurzes Kapitel. Eine Schafsherde ist zu sehen, die orientierungslos erscheint. Dann der Zwischentitel „40 Minuten später“, und es kommen Konservendosen auf einem Förderband. Förderbänder symbolisieren auch die Fabriken von Henry Ford, und der Zwischentitel fragt „Wo ist der Mensch?“. CHICAGO gehört zu den Stadtfilmen, die Walter Ruttmann mit BERLIN – DIE SINFONIE DER GROSSSTADT 1927 initiiert hat. Hausers Film wurde nur kurzfristig im Kino gezeigt und geriet dann in Vergessenheit. Wilfried Reichart und Hans Ulrich Werner haben ihn für den WDR Ende der 90er Jahre zu einem eigenen Film umgearbeitet. Jetzt ist die ursprüngliche Fassung in digital restaurierter Form bei Absolut Medien als DVD und Blu-ray erschienen. Mit einer neu komponierten Musik von Andy Miles. Alternativ kann man den Ton der Reichart/Werner-Fassung hören. Ein Booklet gibt es in digitaler Form. Mehr zur DVD: 281931%2C+Blu-ray%29

Frohe Weihnachten!

Ein herzlicher Weihnachtsgruß

vom Berliner Kurfürstendamm

Hans Helmut Prinzler + Antje Goldau

Das Fernsehballett

Emöke Pöstenyi, eine herausra-gende Tänzerin und Choreogra-fin, geboren in Ungarn, ausge-bildet in der DDR, hatte ihre ersten Erfolge Anfang der 60er Jahre im Friedrichstadt-Palast und gründete zusammen mit Günter Jänzlau 1963 das Fern-sehballett, für das sie fast vierzig Jahre verantwortlich war. Mein Leben mit dem Tanz ist der Untertitel ihrer Autobiografie, die kürzlich im Verlag Bild und Heimat erschienen ist. Auf unterhaltsame Weise erzählt Emöke ihre Lebensgeschichte, die auf der Bühne und auf dem Bildschirm in ungeahnte Höhen führte. Sie war mit ihrem Ballett zu Gast bei Rudi Carrell, Frank Elstner, Thomas Gottschalk, Dieter Thomas Heck und Carmen Nebel. „Ein Kessel Buntes“ war ohne ihre Truppe nicht denkbar. In der Nachwendezeit musste sie einen Überlebenskampf führen, als das Ballett aufgelöst werden sollte. 2002 setzte sie sich zur Ruhe. Sie lebt mit ihrem Mann, dem Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, in der Nähe von Bad Saarow. Wir haben sie dort mehrfach besucht und fühlen uns mit beiden befreundet. Ihre Autobiografie finde ich höchst lesenswert. Mehr zum Buch: 9783959582513-das-fernsehballett

„Ada“ von Christian Berkel

Vor zwei Jahren hat der Schau-spieler Christian Berkel seinen ersten Roman publiziert: „Der Apfelbaum“, die autobiografisch basierte Geschichte seiner Eltern Sala und Otto, deren Weg sich 1938 trennen, weil Sala jüdischer Herkunft ist, untertaucht und nach Kriegs-ende in neues Leben in Buenos Aires beginnen will. Sie kehrt 1950 nach Berlin zurück und es gibt ein Happyend für Sala und Otto. Jetzt ist Berkels zweiter Roman erschienen: „Ada“. Wieder spielen Sala und Otto eine zentrale Rolle, aber ihre Tochter Ada ist eine fiktive Figur, aus deren Perspektive der Autor die Geschichte erzählt. Sie kehrt 1954 mit ihrer Mutter aus Argentinien nach Deutschland zurück, lernt erstmals ihren Vater Otto kennen und sehnt sich nach einem Leben in Unabhängigkeit. Ihre Reise führt sie von Berlin nach Paris und schließlich nach Woodstock, zu einem Konzert, das unvergessen bleibt. Der Protagonistin Ada ist man auf 400 Seiten so nahe, wie es nur irgend geht. Es ist erstaunlich, wie präzise Berkel die Gefühlswelt des Mädchens beschreibt. Man taucht mit ihr tief in die sich verändernde Welt der 60er und 70er Jahre ein. Unbedingt lesenswert. Mehr zum Buch: ada-9783550200465.html

Filmkalender 2021 (Geschenk 13)

Der Filmkalender aus dem Schüren Verlag begleitet mich auch 2021 durch das Jahr. Er informiert an jedem Tag, welche Künstler aus der Film- und Fernsehwelt geboren wurden oder gestorben sind. Wenn es sich um runde Daten handelt, sind sie fett gedruckt. So wird am 14. Januar Faye Dunaway 80 Jahre alt, und am 13. März Wolfgang Kohlhaase 90. Zu feiern ist der 100. Geburtstag von Ken Adam (5. Februar), Giulietta Masina (22. Februar), Simone Signoret (25 März), Dirk Bogarde (28. März), Peter Ustinov (16. April), Satyajit Ray (2. Mai), Louis Jourdan (19. Juni), Jane Russell (21. Juni), Chris Marker (29. Juli), Esther Williams (8. August), Miklós Jancsó (27. September), Deborah Kerr (30. September), Yves Montand (13. Oktober), Charles Bronson (3. November), George Roy Hill (20. Dezember). Ein starker Jahrgang. 13 Texte sind speziellen Ereignissen gewidmet: 40 Jahre CHRISTIANE F. – Erinnerungen an Drogen und Sucht im Film, 40 Jahre Polizeifilm – DIRTY HARRY und FRENCH CONNECTION, 40 Jahre MTV, 30 Jahre New Black Cinema, 30 Jahre feministisches Road Movie (THELMA AND LOUISE), Wolfgang Petersen (14. März, 80. Geburtstag), Robert Zemecki (14. Mai, 70. Geburtstag), Mark Wahlberg (5. Juni, 50. Geburtstag), Stellan Skarsgard (30. Juni, 70. Geburtstag), Natalie Portman (9. Juni, 40. Geburtstag), Charlotte Gainsbourg (21. Juli, 50. Geburtstag), Moritz Bleibtreu (13. August, 50. Geburtstag), Shailene Woodley (15. November 30. Geburtstag). Die Texte stammen von Daniel Bickermann, Nils Bothmann, Maxi Braun, Werner Busch, Robert Cherkowski, Thorsten Hanisch, Alexander Scholz und Andrea Sczuka. Der Anhang enthält ein Adressenverzeichnis wichtiger Institutionen und eine Übersicht über internationale Festivals. Coverfoto: Natalie Portman. Ein kleines Büchlein zum Verschenken an Filmfans. Mehr zum Kalender: filmkalender-2021.html

Romy & Alain

Zwei Lebensgeschichten erzählt Thilo Wydra in seinem Buch, das drei Teile hat: Kindheit und Jugend, die sehr unterschied-lich verliefen, Liebe, die fünf Jahre dauerte, Freundschaft, die sie bis zu Romys Lebens-ende verband. Es ist viel über die Beziehung zwischen Romy Schneider (1938-1982) und Alain Delon (*1935) bekannt, aber Wydra ist ein so guter biografischer Erzähler, dass man sein neues Buch mit großem Interesse liest und natürlich auch Dinge erfährt, die man noch nicht wusste. Dabei geht es nicht um Intimitäten, sondern um die Hintergründe der teilweise gemeinsamen Arbeit, beginnend mit dem Film CHRISTINE (1958), der in Paris gedreht wurde und das Leben von Romy nach drei SISSI-Filmen radikal veränderte. Delons Karriere nimmt mit dem Film NUR DIE SONNE WAR ZEUGE (1960) Fahrt auf. 1961 spielen Romy & Alain in dem Theaterstück „Schade, dass sie eine Hure ist“, inszeniert von Luchino Visconti, die Hauptrollen. 1968, fünf Jahre nach der Trennung, sind sie die Hauptdarsteller in dem Kultfilm DER SWIMMINGPOOL von Jacques Deray, vier Jahre später in dem Trotzki-Film DAS MÄDCHEN UND DER MÖRDER von Joseph Losey. Wydra hat für das Buch mit vielen Zeitzeugen gesprochen, die ihre persönliche Sicht auf Romy und Alain erzählen, darunter sind Mario Adorf, Senta Berger, Jane Birkin, Jean-Claude Carrière, Volker Schlöndorff, Georg Stefan Troller und Michael Verhoeven. Der Text ist mit großer Empathie geschrieben, die Abbildungen haben eine gute Qualität. Wer sich für das Leben und die Arbeit ungewöhnlicher Schauspieler*innen interessiert, ist mit dem Buch reich beschenkt. Mehr zum Buch: Thilo-Wydra/Heyne/e440733.rhd