Jessica Hausner

Mit fünf exzellenten Spielfilmen in den vergangenen zwanzig Jahren gehört Jessica Hausner (*1972) zu den wichtigsten österreichischen Filmemache-rinnen. Ihr ist der zweite Band der Buchreihe „Aus der Werk-statt“ gewidmet, der gerade im Verlag Sonderzahl publiziert wurde. Laura Ettel, Jana Libnik, Kerstin Parth und Nicolas Pindeus haben ein ausführliches Gespräch mit ihr geführt, das intensive Einblicke in ihr Leben und Werk vermittelt, beginnend mit dem Regie-Studium an der Filmakademie Wien, wo sie mit knapp 20 Jahren die Aufnahme-prüfung bestand. Ihre frühen Ausbildungsfilme haben experimentellen Charakter. Der Dokumentarfilm ICH MÖCHTE SEIN MANCHMAL EIN SCHMETTERLING (1993) porträtiert eine Keyboard-Musikerin. Mit dem mittellangen Spielfilm INTER-VIEW wurde Hausner in den Nachwuchswettbewerb Cinéfondation 1999 nach Cannes eingeladen, mit ihrem Debütfilm LOVELY RITA 2001 in die dortige Reihe „Un Certain Regard“ 2001. 1999 hatte sie zusammen mit Barbara Albert, Antonin Svovoda und Martin Gschlacht die Firma coop99 gegründet. Ihre folgenden Spielfilme – HOTEL (2004), LOURDES (2009), AMOUR FOU (2014) und LITTLE JOE (2019) – sind thematisch sehr different und suchen nach neuen formalen Lösungen, die im Gespräch von ihr erklärt werden. Zwischen den Spielfilmen entstanden mehrere experimentelle Kurzfilme. Inzwischen ist Jessica Hausner Professorin an der Filmakademie Wien. Das Gespräch mit ihr hat hohes Niveau. Storyboards, Setfotos und zwei persönliche Texte ergänzen den Band. Mehr zum Buch: aus-der-werkstatt-jessica-hausner/

Wir und die Anderen

Der Band dokumentiert elf Beiträge zu einer Ringvor-lesung, die im Wintersemester 2017/18 an der Universität Klagenfurt stattgefunden hat. Fünf Texte haben mich besonders beeindruckt. Anna Schober beschreibt Bilder von Migrantinnen und Migranten, vor allem von Kindergesichtern, die im Zusammenhang mit der europäischen Flüchtlingskrise publiziert wurden, darunter Aufnahmen von Warren Richardson, Ina Fassbender, Yannis Behtrakis, Matic Zorman, Sebastiao Salgado, die erstaunliche Ähnlichkeiten aufweisen. Brigitte Hipfl analysiert den Film PARADIES LIEBE von Ulrich Seidl und richtet ihren Blick auf den Umgang mit dem Anderen im Kontext des Sextourismus von Frauen. Angela Fabris und Jörg Helbig thematisieren Begegnungen zwischen dem Menschlichen und dem Nichtmenschlichen in den Filmen FLY von Yoko Ono und CASANOVA von Federico Fellini und die unterschiedliche visuelle Darstellung der Körper. Isabell Koinig beschäftigt sich mit der Werbung beim Super Bowl LI und der 89. Oscar-Verleihung im Jahr 2017. Bei Ina Paul-Horn und Gabriele C. Pfeiffer geht es um die intermediale Inszenierung von Elfriede Jelineks „Wut“. Alle Beiträge haben ein hohes theoretisches Niveau und reflektieren visuelle Kultur zwischen Aneignung und Ausgrenzung. Mit Abbildungen in guter Qualität. Mehr zum Buch: wir-die-anderen-und-unsere-bilder/

ANTON BRUCKNER (2020)

Über den österreichischen Komponisten hat Rainer E. Moritz einen Dokumentarfilm gedreht, der das musikalische Werk erschließt und die Lebens-stationen zeigt, beginnend mit dem Geburtsort Ansfelden, gefolgt von Häusern, Schulen, Kirchen in Sankt Florian, Linz und Wien, endend in der Gruft des Stifts Sankt Florian, wo er unter der Orgel begraben liegt Die Lebensfakten werden von der Bruckner-Biografin Elisa-beth Maier und dem Museums-kurator Klaus Petermayer vermittelt. Im Mittelpunkt steht natürlich die Musik. Zu hören sind Ausschnitte aus seinen acht Sinfonien, gespielt von den Münchner Philharmonikern unter Leitung von Valery Gergiev. Andere Musik-stücke werden von Kent Nagano und Sir Simon Rattle geleitet. Der Dirigent und Organist Martin Haselböck erzählt von den Lieben und Vorbehalten Bruckners gegenüber anderen Komponisten. Es gibt keinen Off-Kommentar, sondern zahlreiche Anmerkungen der genannten Personen, die sich zu einem Bruckner-Bild zusammenfügen. Bei künftigen Konzertbesuchen wissen wir mehr über ihn. Die DVD des Films ist jetzt bei good!movies erschienen. Mehr zur DVD: Anton%20Bruckner&searchcnid=-1

Filmkind unter der UfA-Raute

Kinder spielen nicht nur in Erich Kästner-Verfilmungen eine wichtige Rolle. Sie sind (man denke an THE KID von Charlie Chaplin) Teil der inter-nationalen Filmgeschichte in vielen Genres, oft als Helfer von Erwachsenen. Jens Rübner porträtiert in seinem Buch 43 ausgewählte Kinder aus deut-schen Filmen, die zum Teil später Karriere gemacht haben. Die Texte, jeweils drei bis sieben Seiten, sind faktenreich, aber gut zu lesen, erinnern auch an relativ unbekannte Filme und politisch schwierige Zeiten. Ich nenne beispielhaft ein Dutzend Namen und ihre Rollen: Helga Anders, 14jährig, Brigitte Schilling in MAX, DER TASCHENDIEB (1962) mit Heinz Rühmann, Curt Bois, achtjährig, Willy in KLEBOLIN KLEBT ALLES (1909), Elfie Fliegert, sechsjährig, Besatzerkind in TOXI (1952), Oliver Grimm, siebenjährig, Pflegekind Ulli in WENN DER VATER MIT DEM SOHNE (1955) mit Heinz Rühmann, Hardy Krüger, 14jährig, Lehrling „Bäumchen“ in JUNGE ADLER (1944), Inge Landgut, neunjährig, Pony Hütchen in EMIL UND DIE DETEKTIVE und Elsie Beckmann in M (1931), Hans-Albrecht Löhr, neunjährig, der „kleine Dienstag“ in EMIL UND DIE DETEKTIVE (1931), Marion Michael, 15jährig, Liane in LIANE, DAS MÄDCHEN AUS DEM URWALD (1956), Lutz Moik, 13jährig, Lutz in MEINE HERREN SÖHNE (1944), Gunnar Möller, 13jährig, Wilhelm Panse in KOPF HOCH, JOHANNES! (1941), Loni Nest, fünfjährig, kleines Mädchen in DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM (1920) mit Paul Wegener, Romy Schneider, 14jährig, Evchen Forster in WENN DER WEISSE FLIEDER WIEDER BLÜHT (1952). Lesenswert. Mit vielen Abbildungen in guter Qualität. Coverabbildung: Ausschnitt aus dem Plakat DER HUNDEFÄNGER VON WIEN (1936). Mehr zum Buch: Filmkind-unter-der-UfA-Raute::7669.html

Vor zehn Jahren hat Knut Elstermann das Buch „Früher war ich Filmkind“ über die DEFA und ihre jüngsten Darsteller publiziert. Noch immer sehr lesenswert. /buecher/frueher-war-ich-filmkind/

Stefan Aust

Heute feiert der Journalist Stefan Aust seinen 75. Geburtstag. In seiner Autobiografie, die gerade im Piper Verlag erschienen ist, nimmt er uns mit auf eine Zeitreise durch sein Leben. Sie beginnt an der Elbe, blickt zurück auf die Großeltern und Eltern. Als Sohn eines Landwirts wird Aust in Stade geboren, wächst mit vier Geschwistern auf einem Bauernhof auf, besucht das Gymnasium in Stade, macht erste journalistische Erfahrungen bei der Schülerzeitung, beginnt ein BWL-Studium, das er schnell abbricht, um bei der Zeitschrift konkret und den St. Pauli Nachrichten als Redakteur zu arbeiten. 1970 wird er Mitarbeiter des NDR. 14 Jahre arbeitet er für das Fernsehmagazin Panorama. 1988 übernimmt er die Leitung des Spiegel-TV-Magazins, von 1994 bis 2008 ist er Chefredakteur des Spiegels (Print). Seit 2013 ist er Herausgeber der Tageszeitung Die Welt, einige Jahre war er dort auch Chefredakteur. Dies sind die Eckdaten eines Lebens, das vom Journalismus dominiert wird und von Aust mit beeindruckender Genauigkeit erzählt wird. Natürlich spielen die politischen Größen – Helmut Kohl, Helmut Schmidt, Gerhard Schröder – eine große Rolle, Mauerbau und Mauerfall sind wichtige Ereignisse, aber auch internationale Schauplätze – Washington, Moskau – waren sein Aktionsfeld. Interessant: die Zusammenarbeit mit Rudolf Augstein, Alexander Kluge, Bernd Eichinger. Die RAF-Geschichte hat ihn über Jahrzehnte begleitet, sein Buch „Der Baader-Meinhof-Komplex“ gilt als Standardwerk und wurde zur Basis der Verfilmung. Auf 640 Seiten lässt sich viel erzählen, und als Journalist verfügt Aust über die Fähigkeit, spannend zu schreiben. Es gibt komische Momente und traurige Augenblicke. Das Privatleben ist weitgehend ausgeklammert. Es ist ein norddeutscher Tonfall, der dieser Autobiografie ihren Klang gibt. Ich habe sie mit großem Interesse gelesen. Mehr zum Buch: zeitreise-isbn-978-3-492-07007-2

Rahmensprenger

Eine Dissertation, die an der Ludwig-Maximilians-Univer-sität München entstanden ist. Eva-Kristin Winter untersucht darin mediale (Ent-)Rahmun-gen in den historischen Filmen von Peter Watkins. Der briti-sche Autor und Regisseur (*1935) wurde Mitte der 1960er Jahre bekannt mit dem mittellangen Spielfilm THE WAR GAME, der einen hypothetischen nuklearen Angriff auf Großbritannien in der Zeit des Kalten Krieges zeigt, mit einem „Oscar“ ausgezeichnet wurde und nicht im britischen Fernsehen ausgestrahlt werden durfte. Watkins hat bisher nur zwölf Filme realisieren können, die relativ unbekannt geblieben sind. Eva-Kristin Winter richtet ihren analytischen Blick auf drei Werke von Watkins: die norwegisch-schwedische Miniserie EDVARD MUNCH (1974), den biografischen Film THE FREETHINKER (1994) über den schwedischen Dichter August Strindberg und den historischen Film LA COMMUNE (PARIS, 1871) (2000). Aus drei Perspektiven werden die Filme betrachtet: DAS WORT („Am Anfang war das Wort“), DAS BILD („Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte.“), DIE INTERAKTION („All the world’s a stage…“). Die Rahmungen („frames“) spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Der Text hat ein hohes theoretisches Niveau und ist die erste deutschsprachige Analyse der Filme von Peter Watkins. Natürlich werden auch die Produktionsbedingungen beschrieben. Der Anhang enthält eine umfangreiche Bibliografie und Abbildungen in akzeptabler Qualität. Mehr zum Buch: buch/rahmensprenger

Kino unter Druck

Die Filmwissenschaftlerin Lisa Gotto und der Filmemacher Dominik Graf haben über mehrere Jahre die Filmkultur hinter dem Eisernen Vorhang erforscht, in Polen, der ČSSR, Ungarn. In einem Dialog lassen sie uns zunächst teilhaben, welche Entdeckungen für sie damit verbunden waren und wie diese sich von der deutschen Filmtechnokratie und Förder-geldbürokratie unterscheiden. 14 einzelnen Filmen sind kurze Essays gewidmet. Gotto schreibt über EIN SACK VOLLER FLÖHE und VON ETWAS ANDEREM von Věra Chytilová, DAS MÄDCHEN und TAGEBUCH FÜR MEINE KINDER von Márta Mészáros, PROVINZSCHAUSPIELE-RIN und EINE ALLEINSTEHENDE FRAU von Agnieszka Holland, VIELLEICHT MORGEN und SOMMER DER LEIDENSCHAFT von Judit Elek, Graf über LOTNA, DAS MASSAKER VON KATYN und DER KALMUS von Andrzej Wajda, DER FÜNFTE REITER IST DIE ANGST und eine DERRICK-Folge von Zbyněk Brynych, ILLUMINATION von Krzysztof Zanussi. Graf erinnert an das ungarische Kino vor fünfzig Jahren und gratuliert Andrzej Wajda zum achtzigsten Geburtstag, Die Texte sind konkret und anschaulich, man bekommt Lust, einzelne Filme wiederzusehen. Mit Abbildungen in guter Qualität. Mehr zum Buch: 479-kino-unter-druck.html

EIN BLICK – UND DIE LIEBE BRICHT AUS (1986)

Vor zwei Tagen ist Jutta Brück-ner achtzig Jahre alt geworden. Seit fast fünfzig Jahren ist sie als Autorin und Regisseurin aktiv. Ihre Filme sind eigenwillig, experimentell und reflexiv. Ich schätze besonders HUNGER-JAHRE (1980), HITLER-KANTATE (2005) und EIN BLICK – UND DIE LIEBE BRICHT AUS (1986). Zu ihrem Geburtstag hat Absolut Medien jetzt die DVD der digital restaurierten Fassung ediert. Der Film erzählt die Erfahrun-gen von sieben Frauen in Lateinamerika: einer Braut, einer Ehefrau, einer Rivalin, einer Verlassenen, einer Verlobten, einer Missbrauchten, einer Entschlossenen. Ihre Erfahrungen sind sehr unterschiedlich, wir erleben Liebeskummer und Eifersucht, Hass und Unterwerfung, Sehnsucht und Ausbeutung. Die Bilder (Kamera: Marcelo Camorino) sind subjektiv und beobachtend, ein sparsamer Off-Kommentar führt uns durch den Film, die Musik von Brynmor Jones ist tangodominiert. Produziert von Joachim von Vietinghoff, der im Mai achtzig Jahre alt geworden ist. Die DVD ist für Jutta und Joachim ein schönes Geburtstagsgeschenk. Unbedingt sehenswert. Zum Bonus-Material gehört Jutta Brückners Film KOLOSSALE LIEBE (1984) über Rahel Varnhagen. Mehr zur DVD: +UND+DIE+LIEBE+BRICHT+AUS

Ein Tribut an Romy Schneider

Simpler lassen sich Bücher kaum machen. Als Autor bedient man sich bei Wikipedia und zitiert seine Protagonistin. Als Verlag verschafft man sich die Rechte an Abbildungen. Das Ergebnis nennt sich „Ein Tribut an Romy Schneider“. 80 Seiten, 40 Abbildungen, erschienen im Verlag 27 Amigos, zu beziehen über Amazon. Der Text ist an Bescheidenheit kaum zu unterbieten, die Fotos sind weitgehend bekannt. Man muss schon ein großer Romy Schneider-Fan sein, um dieses Buch zu mögen. Der Autor Frank Müller hat in den letzten Monaten 40 kleine Bände publiziert, sie handeln u.a. von Queen Elisabeth, Freddy Mercury, Borussia Dortmund, Pablo Picasso, Chanel, Herbert Grönemeyer, Annalena Baerbock und Alexei Nawalny. Sein Kollege Tim Koch bringt es auf 85 Titel, zuletzt erschien von ihm: Die Fußball-EM 2021. Fließbandproduktionen einer kleinen Buchfabrik. Mehr zum Buch: ein-tribut-an-romy-schneider.htm

Cruella

Vor sechzig Jahren gab es die erste Verfilmung des Romans „101 Dalmatiner“ von Dodie Smith als Animationsfilm des Disney-Studios. Vor 25 Jahren spielte Glenn Close in einem Remake die Rolle der Cruella De Vil. Und jetzt ist Emma Stone die Hauptdarstellerin in dem Film CRUELLA von Craig Gillespie, der die Geschichte das Mädchens Estella erzählt, die Modedesignerin werden möchte, in die Londoner Welt der Reichen vordringt und zur rachsüchtigen Cruella wird. Der Film ist im Kino und als Streaming zu sehen. Bei Ravensburger ist der Roman zum Film erschienen. Leider ist er genauso misslungen wie der Film. Die Figuren sind Karikaturen, aber man kann nicht wirklich über sie lachen. Cruella bringt (wie im Film) ihre Gegenspielerin Baroness Von Hellman (im Film: Emma Thompson) zu Fall und denkt am Ende über eine Fortsetzung nach. Man muss Schlimmes befürchten. Mehr zum Buch: artikeldetails/ID149294198.html