Moving Memories

Eine Dissertation, die an der Universität Köln entstanden ist. Rebecca Großmann untersucht darin „Erinnerungsfilme in der Trans-Nationalisierung der Erinnerungskultur in Deutschland und Polen“. Drei Filme stehen im Mittelpunkt ihrer Arbeit: UNSERE MÜTTER, UNSERE VÄTER (2013) von Philipp Kadelbach, WARSCHAU ’44 (2014) von Jan Komasa und UNSER LETZTER SOMMER (2015) von Michal Rogalski. Auch auf andere Filme wird Bezug genommen, zum Beispiel IDA (2013) von Pawel Pawlikowski, DIE VERLORENE ZEIT (2011) von Anna Justice und POKLOSIE (2012) von Wladislaw Pasikowski. Der Blick der Autorin richtet sich zunächst auf die Produktionskontexte, dann auf die Narrationskontexte und schließlich auf die Rezeptionskontexte. Die Recherchen waren intensiv, die Resultate der Analysen sind aufschlussreich, die Nachwirkungen der Filme klingen ermutigend. Die Lektüre des Buches ist spannend. Coverabbildung: Filmplakat zu WARSCHAU ’44 am PAST-Gebäude in Warschau. Mehr zum Buch: 56612/moving-memories

Assoziative Filmsprache

Wie erzählt man Unsagbares in Bild und Ton? Magdalena Kauz und Barbara Weibel formulieren kreative Ideen und praktische Anleitungen als Antworten auf diese Frage. 12 Kapitel strukturieren das Buch, von A bis L: A. Der Sprung ins Unsagbare. B. Sequenzarten: erzählend, begrifflich, assoziativ. C. Symbolbild und assoziative Sequenz. D. Abstraktes konkretisieren. E. Unsagbares interpretieren. F. Innenleben visualisieren. G. Stimmung komponieren. H: Wahrnehmung von Bewegtbild. I. Off-Kommentar. J. Ton und Farbe. K. Kreative Methoden. L. Dramaturgie und Best Of. – Spielfilm, Dokumentarfilm, aber auch Journalismus, PR und Werbung werden berücksichtigt. Mit 125 Abbildungen in sehr guter Qualität, die zum Teil tabellarisch kommentiert sind (Sequenz, Wirkung, Handwerk). Kluges Vorwort von Hans Beller. Das Buch könnte man zur Pflichtlektüre an Filmhochschulen machen. Mehr zum Buch: halem-verlag.de/assoziative-filmsprache/

ELMER GANTRY (1960)

Als scheinheiliger Sekten-prediger macht Elmer Gantry in der Prohibitionszeit gute Umsätze. Zusammen mit der Missionarin Sarah Falconer ist er im Mittleren Westen der USA sehr erfolgreich. Bis eine frühere Geliebte ihn mit kompromittierenden Fotos erpresst. Zwar ist Sarah bereit, das geforderte Geld zu bezahlen, aber die Fotos gelangen in die Presse, und damit ist die Karriere von Elmer Gantry zu Ende. Der Film von Richard Brooks nach dem Roman von Sinclair Lewis vermittelt ein kritisches Zeitbild. Burt Lancaster und Jean Simmons sind in den Hauptrollen überragend. Lancaster gewann 1961 den Oscar als bester Hauptdarsteller. Hinter der Kamera stand John Alton, die Musik stammt von André Previn. In der deutschen Fassung sind die Stimmen von Wolfgang Lukschy (für Lancaster) und Gertrud Kückelmann (für Simmons) zu hören. Bei Koch Media sind jetzt DVD und Blu-ray des Films erschienen. Unbedingt zu empfehlen. Mehr zur DVD: dvd/details/view/film/elmer_gantry_dvd/

Zombies in der Kirche

Eine Dissertation, die am Institut für katholische Theologie der Universität Hildesheim entstanden ist. Daniel Hercenberger untersucht darin das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung in THE WALKING DEAD und FEAR THE WALKING DEAD. Ausgangspunkt ist die Kirchen-krise und die Desakralisierung sakraler Räume. Der Zombie wird als kulturpluralistisches Konglomerat definiert und als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen betrachtet. Eine theologische Reflexion der Eigenschaften des Zombies schließt sich an. Eine Analyse der beiden Serien THE WALKING DEAD (USA, seit 2010) und FEAR THE WALKING DEAD (USA, seit 2015) bildet den Mittelpunkt der Publikation. Ereignisse und Personen werden detailliert interpretiert, speziell die Glaubenskrise von Father Gabriel in THE WALKING DEAD und die Identitätskrise von Nicholas Clark in FEAR THE WALKING DEAD. Die Erforschung des Walking-Dead-Universums von Daniel Hercenberger ist beeindruckend. Mit Abbildungen in akzeptabler Qualität. Mehr zum Buch: zombies-in-der-kirche/?number=978-3-8376-5969-6

Die Schönheit des Himmels

Als ihre Mutter, Romy Schneider, starb, war Sarah Biasini vier Jahre alt. Seither sind 39 Jahre vergangen. 2018 wurde ihre Tochter Anna geboren. An sie ist das Buch adressiert, in dem Sarah Biasini viel über ihr eigenes Leben, ihren Vater Daniel Biasini, ihre Mutter, ihre Schwiegereltern erzählt. Der erste Satz lautet: „In drei Wochen wirst du auf die Welt kommen.“ Und am Ende heißt es „Das Leben und der Tod haben mich geprägt. Mein Überleben nach dem Tod meiner Lieben. Deine Geburt, mit der auch ich wiedergeboren wurde. Jetzt gilt es nur noch zu leben, mein Schatz.“ (S.188). Sarah Biasini ist Schauspielerin, ausgebildet in Los Angeles, lebt inzwischen in Paris, ist mit dem Theaterregisseur Gil Lefeuvre verheiratet. In ihrem Buch spielt Romy Schneider eher eine Nebenrolle. Es gibt Begegnungen mit dem Regisseur Claude Sautet. Die Schändung des Grabes ihrer Mutter führt zu öffentlichen Auftritten. Der Film 3 TAGE IN QUIBERON gefällt ihr überhaupt nicht. Die Rettungssanitäter haben sie damals, 1982, von der aufgebahrten Mutter abgeschirmt. „Wie eine riesige Spinne.“ Einerseits ist das Buch ein Stück Trauerarbeit, andererseits klingt es hoffnungsvoll. Es gibt eine große Nähe zur Autorin. Lesenswert. Mehr zum Buch: die-schoenheit-des-himmels/978-3-552-07261-9/

Geleitet von Vertrauen?

Eine Dissertation, die an der Ludwig-Maximilians-Univer-sität München entstanden ist. Nina Elvira Steindl erforscht darin „Determinanten und Konsequenzen des Vertrauens von JournalistInnen in Deutschland“. Wie weit kann man den unterschiedlichen Medien in unserem Land vertrauen? Was sind – abgesehen von Presse-konferenzen und Interviews – die Quellen für Nachrichten, Kommentare und Berichte der Presse, des Rundfunks, des Fernsehens und des Internets? Wie nahe an der Politik und der Wirtschaft sind Journalistinnen und Journalisten, die professionell darüber schreiben oder sprechen? Sind pauschale Vorwürfe wie „Lügenpresse“ oder „Staatsmedien“ angebracht? Die Autorin hat durch umfangreiche und differenzierte Befragungen ermittelt, dass man der Berichterstattung in Deutschland überwiegend vertrauen kann. Dies betrifft die seriöse Presse wie auch die öffentlich-rechtlichen Medien. Natürlich haben die Boulevardzeitungen ihre eigenen Spielregeln. 45 Tabellen fundieren die Arbeit von Nina Elvira Steindl, die sich vornehmlich auf die Politikberichterstattung bezieht. Mit der Frankfurter Allgemeinen oder der Süddeutschen Zeitung ist man ohnehin auf der sicheren Seite. Mehr zum Buch: geleitet-von-vertrauen/

Ein alter Mann wird älter

Günther Rühle ist jetzt 97 Jahre alt. Er war von 1960 bis 1985 Redakteur und Theaterkritiker im Feuilleton der FAZ, von 1985 bis 1990 Intendant des Schauspiels der Städtischen Bühnen in Frankfurt Main, hat die Dokumentationen „Theater für die Republik. 1917-1933“ und „Zeit und Theater. 1913-1945“ publiziert und die „Berliner Briefe“ von Alfred Kerr entdeckt und ediert. In einem „merkwürdigen Tagebuch“ vom Oktober 2020 bis April 2021 beschreibt er die Einschränkungen des Alters, vor allem seine Sehverluste, und erinnert sich assoziativ an die verschiedenen Phasen seines Lebens. Er erzählt Träume, bedauert, dass er den dritten Dokumentationsband nicht mehr vollenden kann, und fragt sich, ob der Wechsel vom Kritiker zum Intendanten vernünftig war. Einen Ruf auf die Professur für Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin 1977 hat er abgelehnt; davon hat damals Henning Rischbieter profitiert. Die Lektüre der 200 Seiten ist sehr spannend, weil g.r. nicht im Selbstmitleid versinkt, sondern sich mit seinen Gedanken in der Vergangenheit und der realen Gegenwart verortet. Eine spezielle Form der Autobiografie. Sehr lesenswert. Mehr zum Buch: 502-ein-alter-mann-wird-aelter.html

ROSAS HOCHZEIT (2020)

Schauplatz: Valencia in Spanien. Rosa ist 44 Jahre alt, arbeitet als Kostümbildnerin und kümmert sich um vieles: sie hilft ihrem Bruder und ihrer Schwester, sorgt für ihren Vater, der sich als Witwer einsam fühlt, und für ihre Nichten, die das ausnutzen, pflegt die Katze ihrer Freundin, wenn die in Urlaub fährt, und gießt die Blumen ihrer Nachbarin, wenn die nicht zuhause ist. Rosas Leben ist hektisch, und dann will ihr Vater plötzlich bei ihr einziehen. Rosa flieht aus der Stadt, macht Urlaub am Meer und möchte ein anderes Leben führen. Sie verkündet ihre Heiratsabsicht. Aber wer ist der Partner? Die Aufregung in der Familie ist groß. Da meldet sich ihre Tochter Lidia aus Manchester – sie will mit ihren Zwillingen nach Spanien zurückkommen und bei ihrer Mutter wohnen. Rosa verzichtet auf ihre Hochzeit. Der Film von Icíar Bollain porträtiert sehr radikal eine Frau, die um ihre Selbstbestimmung kämpft. Es gibt traurige und komische Momente, die Darstellerin der Rosa, Candela Pena, hat viel zu leisten und tut dies mit großer Energie. Ein anstrengender, aber sehenswerter Film. Bei good!movies ist gerade die DVD erschienen. Mehr zur DVD: rosas-hochzeit.html

Das Audioviduum

Eine Dissertation, die an der Ruhr-Universität Bochum entstanden ist. Julia Eckel entwickelt darin eine „Theorie-geschichte des Menschenmotivs in audiovisuellen Medien“. Ihre Textualisierungen beziehen sich auf den Stummfilm, das Radio und den Tonfilm. Die stumm-filmtheoretischen Überlegungen gelten dem Körper. Es geht um die Kinodebatte als Stimmen-debatte und als Körperdebatte. Der Filmschauspieler, das Fehlen der dritten Dimension und die Produktivität der Großaufnahme sind wichtige Faktoren. Gefühle entstehen durch Gesten, der Mensch wird sichtbar. Die radiotheoretischen Überlegungen konzentrieren sich auf die Stimme. Der Rundfunk funktioniert als unsichtbares Sprachrohr. Akustische Gestalten sind Ansager, Sportsprecher, Reporter, Moderatoren. Die Stimme hat eine körperlose Wesenheit. Zur Emergenz des Audioviduums im Tonfilm gehören Körper und Stimme. Synchronität, Asynchronität und Kontrapunktik sind im internationalen Zusammenhang zu sehen. Sprechfilm und Tonfilm unterscheiden sich. Großen Raum in der Dissertation beanspruchen zunächst die Kontextualisierungen, speziell die Verortung des Menschenmotivs in der Medientheorie. Die wissenschaftliche Absicherung wird durch 340 Quellenverweise erreicht. Das theoretische Niveau des Textes ist hoch. Mehr zum Buch: 978-3-8376-5320-5/das-audioviduum/

Was wir filmten

Der Band dokumentiert Referate und Gespräche des Internatio-nalen Frauen* Film Fests Dortmund+Köln vom September 2020. Es geht um Filme von ostdeutschen Regisseurinnen nach 1990. Therese Koppe vermittelt Gedanken zu Filmen von Helke Misselwitz nach 1990. Hilde Hoffmann äußert sich zu dem Film BERLIN – PRENZLAUER BERG von Petra Tschörtner. Angelika Nguyen kommentiert ihren Film BRUDERLAND IST ABGEBRANNT. „Neugier und wie man eine Form finden kann“ ist der Titel eines Gesprächs zwischen Tamara Trampe und Johanna-Yasirra Kuhls, das als Protokoll zu lesen ist. Und wir verneigen uns vor Tamara Trampe, die vor einer Woche gestorben ist. Grit Lemke äußert sich zu ihrem Film GUNDERMANN REVIER. Cornelia Klauß richtet ihren Blick auf Ost/West-Korrespondenzen der Super-8-Filmerinnen. Kerstin Honeit verweigert sich als Videokünstlerin allen Zuschreibungen und vermittelt eine „biografisch-filmische Perspektive aus der Drinnen-draußen Stadt“. Ines Johnson-Spain reflektiert über ihren Film BECOMING BLACK. Madeleine Bernstorff erinnert an die Produktion des Films BERLIN, BAHNHOF FRIEDRICHSTRASSE von Konstanze Binder, Lilly Grote, Ulrike Herdin und Julia Kunert. „Wie wir erinnern“ haben sich 15 Frauen aus Ost und West in einer Diskussion gefragt: Tina Bara, Stefanie Görtz, Annekatrin Hendel, Hilde Hoffmann, Kerstin Honeit, Ines Johnson-Spain, Cornelia Klauß, Johanna-Yasirra Kluhs, Grit Lemke, Maja Nagel, Phuong Thanh Ngyen, Phuong Thuy Nguyen, Betty Schiel und Maxa Zoller. Das 30-Seiten-Protokoll ist eine spannende Lektüre, das ganze Buch höchst lesenswert. Coverfoto: HERZSPRUNG (1992). Mehr zum Buch: bertz-fischer.de/waswirfilmten