Tagebücher von Manfred Krug 1996/97

Als 1996 sein Buch „Abgehauen“ über seinen Weggang aus DDR in den 70er Jahren erschien, wurde es sofort ein Bestseller. Der Schauspieler Manfred Krug war inzwischen in der gesamten Bundesrepublik populär, er spielte damals den Hamburger „Tatort“-Kommissar Paul Stoever und die Titelrolle in der Serie LIEBLING KREUZBERG (Drehbuch: Jurek Becker). 1996 führte Krug erneut Tagebuch, er notierte sehr persönlich Ereignisse und Erlebnisse. Die Eintragungen der ersten beiden Jahre liegen jetzt als Buch vor, das unbedingt lesenswert ist. Zu den emotionalen Höhepunkten gehören der Abschied von seinem Freund Jurek Becker, der im März 1997 gestorben ist, und der Schlaganfall, den er im Juni 1997 erlitten hat. Er führte in jenen Jahren privat ein Doppelleben, war eng mit seiner Frau Ottilie verbunden, hatte aber ein Verhältnis mit der Schauspielerin Petra Duda und wurde 60jährig Vater der gemeinsamen Tochter Marlene. Das Hin und Her zwischen diesen Personen wird originell beschrieben. Äußerst kritisch ist Krugs Perspektive auf seine damalige Fernseharbeit. Er schrieb viele Drehbücher um, fand die Ergebnisse nicht befriedigend, hatte wenig Lust an der Arbeit. Andererseits notierte er akribisch die Einschaltquoten nach der Ausstrahlung der Sendungen oder Wiederholungen. Für die Firma Telekom war er eine wichtige Werbefigur, auch hier wurde er oft zum Autor, wenn ihm die vorgegeben Texte nicht gefielen. Häufig hat er sich im Fernsehen alte DEFA-Filme angeschaut, die Kommentare zu den beteiligten Personen sind überwiegend negativ. „Jeder über 50 sollte ein Tagebuch führen, weil er dann mehr erlebt“, heißt ein Eintrag. Zwei weitere Bände sollen noch in diesem Jahr erscheinen. Mehr zum Buch: ich-sammle-mein-leben-zusammen/

Oscar-Verleihung

Heute Nacht findet in Los Angeles die 94. Oscar-Verleihung statt. Die Zeremonie wird ab 2.00 Uhr auf PRO 7 zu sehen sein. Wie immer habe ich an der Oscar-Wette teilgenommen, die von Teresa und Artur Althen organisiert wird. Hier sind meine Prognosen: THE POWER OF THE DOG (Best Picture). Jane Campion (Directing). Jessica Chastain (Actress in a Leading Role). Will Smith (Actor in a Leading Role). Ariana DeBose (Actress in a Supporting Role). Kodi Smit-Mcphee (Actor in a Supporting Role). Paul Thomas Anderson/LICORICE PIZZA (Writing, Original Screenplay). Jane Campion/THE POWER OF THE DOG (Writing, Adapted Screenplay). Greig Fraser/DUNE (Cinematography). Joe Walker/DUNE (Film Editing). Patrice Vermette, Zsuzsanna Sipos/DUNE (Production Design). Jenny Beavan/CRUELLA (Costume Design). CRUELLA (Makeup and Hairstyling). DRIVE MY CAR (International Feature Film). ENCANTO (Animated Feature Film). SUMMER OF SOUL (Documentary, Feature). Germaine Franco/ENCANTO (Music, Original Score). “No Time to Die” (Music, Original Song). WEST SIDE STORY (Sound). SHANG-CHI AND THE LEGEND OF THE TEN RINGS (Visual Effects). Ich habe bisher nur wenige dieser Filme gesehen, aber das spielt für die Prognosen ja keine Rolle. Mehr zu den Nominierungen: abc.com/shows/oscars/collection/nominees

SCHACHNOVELLE (2021)

Wien 1938. Der „Anschluss“ Österreichs an das national-sozialistische Deutschland steht kurz bevor. Der Notar Josef Bartok verfügt über die Zugangscodes zu den Reich-tümern von Klöstern im Ausland. Er wird verhaftet und in einem Hotelzimmer isoliert. Der Gestapo-Mann Franz-Josef Böhm fordert ihn dort zum Schachspiel heraus, das Bartok nur unzureichend beherrscht. Durch Zufall kommt er in den Besitz eines Buches, das ihn zu einem qualifizierten Spieler macht. Er wird spielsüchtig, um seine Einsamkeit zu überstehen. Die Verfilmung der Novelle von Stefan Zweig durch Philipp Stölzl hat große Qualitäten vor allem durch die beiden Hauptdarsteller. Oliver Masucci spielt den Anwalt Bartok, der in der Isolation langsam zu einem Gespenst abmagert. Albrecht Schuch ist als Gestapo-Chef äußerlich freundlich, aber mit Abgründen, die wir ahnen können. Im Hintergrund sieht man gelegentlich Birgit Minichmayr als Bartoks Frau Anna, die für ihn zu einer Vision wird. Es gab bereits 1960 eine Verfilmung der Schachnovelle von Gerd Oswald mit Curd Jürgens und Hans-Jörg Felmy, die relativ konventionell war. Stölzls Film macht den Stoff gegenwärtiger. Bei StucioCanal ist jetzt die DVD des Films erschienen. Unbedingt zu empfehlen. Mehr zur DVD: studiocanal.de/dvd/schachnovelle_

Bond Cars

Es gibt inzwischen 25 James Bond-Filme, der erste war DR. NO (1962), der bisher letzte NO TIME TO DIE (2021). Zu den Darstellern des Titelhelden gehörten Sean Connery, Roger Moore, Pierce Brosnan und Daniel Craig. In allen Bond-Filmen spielten Autos eine wichtige Rolle. Das Buch „Bond Cars“ von Jason Barlow öffnet dafür den Blick und macht uns mit all den Fahrzeugen vertraut, mit denen 007 selbst unterwegs war oder verfolgt wurde. Insgesamt sind es 160 Autos, die im Einsatz waren, am häufigsten stammten sie von der britischen Firma Aston Martin, aber auch BMW, Toyota und Citroen waren dabei. Es sind Fotos, Plakate, Storyboards, technische Zeichnungen und Auszüge aus den Originaldrehbüchern, die hier zu sehen sind. Zu den Personen, die im Text ausführlich zitiert werden, gehören der Produzent Michael G. Wilson, die Produzentin Barbara Broccoli, der Bond-Darsteller Daniel Craig und der Supervisor für Spezialeffekte Chris Corbould. 336 Seiten, hervorragende Druckqualität, ein herausragender Band. Mehr zum Buch: https://verlagshaus24.de/bond-cars

Labour in a Single Shot

In den Jahren 2011 bis 2014 realisierten Antje Ehmann und Harun Farocki in 15 Städten der Welt ein Workshop-Projekt, das von dem Film ARBEITER VERLASSEN DIE LUMIÈRE-FABRIK (1895) inspiriert war. Über 500 Studenten drehten kurze Videos zum Thema Arbeit, die an vielen Orten in einer Ausstellung gezeigt wurden. Roy Grundmann, Peter J. Schwartz und Gregory H. Williams haben bei Amsterdam University Press ein Buch herausgegeben, in dem das Projekt aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und gewürdigt wird. Die vier Kapitel haben die Überschriften „History“, „Poetics“, „Embodiment“ und „Networks“. Unter den elf Texten finde ich besonders die Beiträge von Peter J. Schwartz („On the Historical Metamorphoses of Psychotechnology“), Roy Grundman („One Shot, Two Mediums, Three Centuries“), Thomas Elsaesser („The Body and the Senses: Harun Farocki on Work and Play”), José Gatti („Videopoetics of Labour in a Single Shot”), Jeannie Simms („Labour, Care, and Leisure at Work and at Play”), Gregory H. Williams („Tools, Tactility, and Embodiment”), Thomas Stubblefield („Supply Chains, Logistics, and Flow”) und Gloria Sutton („The Networked Conditions of Labour in a Single Shot”) beeindruckend. Im Einleitungsbereich beschreibt Antje Ehmann die internationalen Workshops und Ausstellungen. Das Buch ist eine schöne Würdigung des Werks von Harun Farocki, der 2014 gestorben ist. Mehr zum Buch: 9789463722421/labour-in-a-single-shot

Cinema 67: Trennlinien

Trennlinien sind das Schwer-punktthema des 67. Schweizer Filmjahrbuchs. Jean Perret richtet seinen Blick auf das Verschieben, Durchleuchten und Ausweiten der Trennlinien. Mattia Lento beschreibt die italienische Diaspora und den filmischen Raum in der Schweiz. Bei Achim Hättich geht es um die Darstellung von Behinderung, bei Benjamin Eugster um soziale Trennlinien im Schweizer Spielfilm. In kürzeren Kommentaren äußern sich André Grieder zu Kontingenz und Extratram, Daniel Huber zu Begegnung und Dialog, Anne Kathrin Lombeck zu Brüchen und Brücken. Sina Früh und Andreas Bühlmann plädieren für mehr Diversität im Film. Karoline Arn und Martina Rrieder sprechen über ihre Filme JUNG UND JENISCH (2010) und UNERHÖRT JENISCH (2017). Die Filmemacher Marcel Bächtiger, Simon Guy Fässler, Frank Matter und Andreas Müller vermitteln Erfahrungen aus dem Schneideraum. Die Filmautorin Barbara Kulcsar, Andreas Furler von der Streaming-Plattform Cinefile, der Produzent Frank Matter und der Kinobetreiber Frank Braun sprechen über die Veränderungen in der Filmbranche. Ein Bildessay von Olga Titus erweitert den filmischen Blick. – Michael Koch schickt einen Brief aus Uri, wo er den Film DRII WINTER gedreht hat. Ein literarischer Beitrag stammt von Anja Nora Schuster. Doris Senn, Milos Lazovic und Noemi Daugaard berichten über die Solothurner Filmtage, die Schweizer Jugendfilmtage und das Filmfestival in Locarno. Auf 40 Seiten wird das Schweizer Filmschaffen 2020/21 dokumentiert. Viel Lesenswertes über unser Nachbarland. Mehr zum Buch: titel/715-trennlinien.html

Ästhetische Geschichtserkenntnis

Eine Dissertation, die am Karlsruher Institut für Technologie entstanden ist. Andre Bartoniczek untersucht darin die historische Erinnerung im filmischen Werk von Andres Veiel. Er klärt zunächst die Geschichts-reflexion zwischen Wissenschaft und Dichtung und widmet dann ein eigenes Kapitel der Darstellung von Geschichte im Dokumentarfilm, konkretisiert in NACHT UND NEBEL von Alain Resnais, MEIN KAMPF von Erwin Leiser, DER GEWÖHNLICHE FASCHISMUS von Michail Romm, BRUTALITÄT IN STEIN von Alexander Kluge. Ein wichtiger Aspekt ist der Durchbruch zum historischen Interviewdokumentarismus in Filmen von Erika Runge, Hans-Dieter Grabe, Eberhard Fechner, Klaus Wildenhahn und Marcel Ophüls. Biografische Geschichtserfahrungen von Andres Veiel leiten den Hauptteil ein. Im Mittelpunkt stehen zwei Filmanalysen: BLACK BOX BRD (2001) und DER KICK (2006). Im ersten Film werden die Lebensläufe des von der RAF ermordeten Sprechers der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, und des RAF-Terroristen Wolfgang Grams in Gesprächen rekonstruiert. Im zweiten Film geht es um die Ermordung des 16-jährigen Marinus Schöberl durch die beiden neonazistischen Brüder Marco und Marcel Schönfeld und ihren Freund Sebastian Fink im brandenburgischen Dorf Potzlow im Sommer 2002. Der Film basiert auf Gesprächen, die Andres Veiel und Gesine Schmidt bei einer monatelangen Recherche geführt haben. Sie wurden szenisch nachgestellt. Die unterschiedlichen ästhetischen Herangehensweisen werden vom Autor präzise beschrieben. Es gibt Hinweis auf spätere Filme von Andres Veiel und zwei Gespräche mit ihm sind im Anhang des Buches dokumentiert. Ein Basiswerk zum Dokumentarfilm und zu Andres Veiel. Mehr zum Buch: aesthetische-geschichtserkenntnis/?number=978-3-8376-6063-0

NEW YORK, NEW YORK (1977)

Das musikalische Drama von Martin Scorsese führt uns zurück ins Jahr 1945. Die USA haben Japan besiegt, der Saxophonist Jimmy Doyle ist aus der Army heimgekehrt. In einem Tanzpalast lernt er die Sängerin Francine Evans kennen. Sie werden beide Mitglieder einer Band, sie heiraten, aber ihr Musik-geschmack erweist sich als unterschiedlich. Jimmy spielt Bebop in Harlem, Francine wird zum Hollywoodstar. Jimmy übernimmt einen Nachtclub. Man trifft sich noch einmal, aber eine gemeinsame Zukunft wird es nicht geben. Robert De Niro als Jimmy und Liza Minnelli als Francine sind herausragend. Hinter der Kamera stand László Kovács, seine Bilder sind beeindruckend. Es gibt von diesem Film eine zeitgenössische Kinofassung (137 Minuten) und einen Langfassung (163 Minuten). Beide sind jetzt bei Koch Media als Blu-ray erschienen. Zum Bonusmaterial gehören Kommentare von Martin Scorsese, László Kovács und der Filmkritikerin Carrie Rickey, entfallene Szenen und alternative Enden. Mit einem informativen Booklet von Anna S. Ullmann und Daniel Wagner. Unbedingt empfehlenswert. Mehr zur Blu-ray: new_york_new_york_special_edition_2_blu_rays_dvd/

Das Konzentrationslager Ravensbrück im Film

Eine Dissertation, die an der Humboldt-Universität Berlin entstanden ist. Katja S. Baum-gärtner untersucht darin Gender, Imagination und Memorialisierung in Dokumen-tar- und Spielfilmen über das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Sie hat für diese Arbeit insgesamt 195 Kurzfilme, Wochenschauen und Langfilme ermittelt, die im Anhang aufgelistet sind. 58 Filme werden in der Studie behandelt. Drei Kapitel strukturieren das Buch: Frühe Imaginationen und Utopien – Die Figur der Ravensbrücker Zeitzeugin: Verfestigungen und Splitter – Medialisierung der Figur der Ravensbrück-Zeitzeugin als Autorität. Zu den Filmen, die ausführlicher behandelt werden, gehören DIE LETZTE ETAPPE (Polen 1948) von Wanda Jakubowska, ODETTE (Großbritannien 1950) von Herbert Wilcox, CARVE HER NAME WITH PRIDE (GB 1958) von Lewis Gilbert, VERGESST MIR MEINE TRAUDEL NICHT! (DDR 1957) von Kurt Maetzig, EINE GEFANGENE BEI STALIN UND HITLER (BRD 1968) von Paul May, FRAUEN IN RAVENSBRÜCK (DDR 1968) von Joop Huisken und Renate Drescher, THE HIDING PLACE (USA 1975) von James F. Collier, ALLES VERGESSENE SCHREIT IM TRAUM UM HILFE (BRD 1980) von Albrecht Metzger, MAT‘ MARIJA (UdSSR 1982) von Sergey Kolosov, ZASTIHLA ME NOC (CSSR 1985) von Juraj Herz. Die Beschreibungen und Analysen der Filme sind beeindruckend. Ein Basiswerk. Mit Abbildungen in guter Qualität. Mehr zum Buch: gender-imagination-und-memorialisierung/

Der geteilte Picasso

Im Museum Ludwig in Köln fand kürzlich eine Ausstellung über die unterschiedliche Rezeption von Pablo Picasso in der BRD und der DDR statt. Der von Julia Friedrich heraus-gegebene Katalog ist auch aus filmischer Perspektive sehr lesenswert. Bernard Eisenschitz informiert über den Dokumen-tarfilm PICASSO IN VALLAURIS (2020) von Peter Nestler, der im Auftrag des Museums Ludwig entstanden ist. Stefan Ripplinger erinnert an die deutsche Kunstkritik über Picasso von 1946 bis 1993. Hubert Briden verweist auf das umstrittene Bild „Guernica“ und seine bereinigte Geschichte. Georg Seeßlen befasst sich mit Picasso und der Populärkultur in der Bundesrepublik Deutschland. Hier wird auch der Film LE MYSTÈRE PICASSO von Henri George Clouzot gewürdigt. Von Günter Jordan stammt ein Beitrag über Picasso, Joris Ivens und die DDR. Iliane Thiemann äußert sich zu Brecht, Picasso und der Taube auf dem Vorhang des Berliner Ensembles. Mehrere Beiträge beschäftigen sich mit Schenkungen von Picasso-Kunstwerken von westlichen Gebern an Museen der DDR. Der Anhang enthält eine Auflistung aller Picasso-Ausstellungen von 1945 bis 1989. Dominiert wird der Katalog von Abbildungen in sehr guter Qualität. Mehr zum Buch: der-kuenstler-und-sein-bild-in-der-brd-und-der-ddr.html