IN DEN UFFIZIEN (2021)

Dokumentarfilm ist ein ideales Medium, um ein Museum zu erkunden. Das weiß man spätestens seit Frederick Wisemans NATIONAL GALLERY, der uns drei Stunden durch das Londoner Museum führt und die dort geleistete Arbeit zeigt. Mit 100 Minuten ist der Film IN DEN UFFIZIEN von Corinna Belz und Enrique Sanchez Lansch deutlich kürzer, aber in der Beobachtung ähnlich intensiv. Seit sieben Jahren leitet Eike Schmidt das Museum in Florenz. Er ist einer der Protagonisten des Films. Wunderbar, wie er das passende Grün für die Wand sucht, an der Tizians „Venus von Urbino“ die Besucher beeindrucken soll. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses haben eine große Präsenz, etwa der Leiter der Bibliothek oder eine Kunstpädagogin, die junge Menschen durch die Säle führt. Herausragend ist die Kameraführung bei der Betrachtung ausgewählter Gemälde. Johann Feindt und Thomas Riedelsheimer zeigen mit großer Sensibilität zunächst das Ganze und widmen sich dann Details, die man selbst kaum wahrnehmen würde. Im Kino, auf der großen Leinwand, hat das natürlich noch eine stärkere Wirkung als beim Anschauen einer DVD. Aber das schmälert die Qualität des Films nicht, der jetzt auch als DVD und Blu-ray verfügbar ist. Das Booklet enthält ein informatives Gespräch mit Belz und Sanchez Lansch. Mehr zur DVD: dvd-bluray,de,10,207570,in-den-uffizien,tv-kino-film.html

Grace Kelly und Diana Spencer

Sie waren zwei außergewöhn-liche Frauen. Als sie sich zum ersten Mal begegnen, ist Grace Kelly 51 Jahre alt und Diana Spencer gerade 19. Sie treffen sich am 9. März 1981 bei einem Spendengala-Abend zugunsten des Royal Opera Houses in der Londoner Goldsmiths‘ Hall und haben engen Kontakt. Vierein-halb Monate später heiraten Prince Charles und Lady Diana in der Londoner St Paul’s Cathedral. Grace Kelly gehört zu den Hochzeitsgästen. In einer Doppelbiografie erzählt Thilo Wydra das Leben der beiden Frauen: ihre Kindheit und Jugend, die Jahre der Erfüllung, die kurze Zeit, in der sie sich nahestehen, und ihren dramatischen Tod, in beiden Fällen nach einem Autounfall. Grace Kelly stirbt am 14. September 1982 in Monaco, Diana Spencer am 31. August in Paris. Wydra ist ein hervorragender biografischer Autor, bestens vertraut mit filmischer Dramaturgie und der Neugier seiner Leserinnen und Leser. Wunderbar: die 60 Seiten über Grace Kelly, Hitchcock und Hollywood. Natürlich fördert auch sein Blick ins Innere des Buckingham Palace viel zutage. 306 Quellenbelege beweisen die Sorgfalt seiner Recherchen. Am Ende gibt es biografische Zeittafeln und eine Grace Kelly-Filmografie. Unbedingt lesenswert. Mehr zum Buch: Grace-Kelly-und-Diana-Spencer/Thilo-Wydra/Heyne/e540752.rhd

Erinnerung und Imagination im Spielfilm

Eine Dissertation, die an der Filmuniversität Babelsberg ‚Konrad Wolf‘ entstanden ist. Maike Sarah Reinerth untersucht darin Erinnerung und Imagination im Spielfilm. Sie informiert zunächst über den Umgang mit Imagination und Erinnerung in den Film- und Medienwissenschaften, beschreibt den Wandel der Imaginationsdarstellungen durch Bedingungen der Produktion und Rezeption und entwirft eine Analyseheuristik. Konkrete Filmanalysen erfolgen für drei Epochen, den frühen Film (1895-1920), unterteilt ins Attraktionskino und das frühe narrative Kino, das Autor:innenkino der Nachkriegszeit 1955-1975 und das Kino der Jahrtausendwende 1995-2015. Es geht jeweils um die Prototypik des Erinnerns, die Subjektivität, die Zeit und die historische Kontextualisierung. Beispiele aus der Phase des frühen Films sind SANTA CLAUS (1898) von George A. Smith, JACK AND THE BEANSTALK (1902) und LIFE OF AN AMERICAM FIREMAN (1903) von Edwin S. Porter, HISTORIE D’UN CRIME (1901) von Ferdinand Zecca, LE JUIF ERRANT (1902) von Georges Méliès, JUST A SHABBY DOLL (1913, Regie unbekannt), THE PASSAGER-BY (1912) von Oscar Apfel, THE BIRTH OF A NATION (1915) von David W. Griffith und KNIGHT OF THE TRAIL (1915) von William S. Hart. Filmbeispiele für die zweite Epoche sind HIROSHIMA MON AMOUR (1959) von Alain Resnais, JONAS (1957) von Ottomar Domnik und THE PAWNBROKER (1964) von Sidney Lumet. Als Filmbeispiele für die jüngste Phase dienen ETERNAL SUNSHINE OF THE SPOTLESS MIND (2004) von Michael Gondry, LE SCAPHANDRE ET LE PAPILLON (2007) von Julian Schnabel und INCEPTION (2010) von Christopher Nolan. Die Analysen bewegen sich auf hohem Niveau. Die Qualität der Abbildungen ist unterschiedlich. Die Coverabbildung ist inspiriert von einem Filmstill aus HIROSHIMA MON AMOUR. Mehr zum Buch: erinnerung_und_imagination_im_spielfilm-1

Werner Herzog-Ausstellung

Heute wird im Museum für Film und Fernsehen die Werner Herzog-Ausstellung eröffnet. 2010 hat die Deutsche Kinema-thek das Produktionsarchiv von Herzog übernommen. So kann sie für die neue Ausstellung aus dem Vollen schöpfen: Drehbücher, Requisiten, Werkfotos und vieles andere. Über 70 Filme hat Herzog bisher realisiert. Im September feiert er seinen 80. Geburtstag. Zur Eröffnung kommt er natürlich nicht. Es sprechen der Künstlerische Direktor Rainer Rother, die Künstlerin Klara Hobza, der Filmemacher Pepe Danquart und die Kuratorin Kristina Jaspers. Der Katalog zur Ausstellung ist im Verlag Könemann erschienen. Die Ausstellung ist bis zum 27. März 2023 zu sehen. Sie wurde vom Hauptstadtkulturfonds gefördert. Mehr zur Ausstellung: besuch/ausstellungen/werner-herzog

Elisabeth Bergner

Über die Schauspielerin Elisabeth Bergner, geboren 1897 in Drohobycz/Galzien, gestorben 1986 in London, ist viel bekannt. 1978 veröffentlichte sie ihre „unordentlichen Erinnerungen“ unter dem Titel „Bewundert viel und viel gescholten“. Klaus Völker publizierte 1990 das Buch „Elisabeth Bergner – Das Leben einer Schauspielerin“, Margret Heymann 2008 die Biografie „Elisabeth Bergner – Mehr als eine Schauspielerin“. Die Kunsthistorikerin Renate Berger hat jetzt ein neues Porträt aus heutiger Perspektive erarbeitet, Untertitel: „Ein Leben zwischen Selbstbehauptung und MeToo“. Schwerpunkt ihres Textes sind die 1910er und 20er Jahre: die Ausbildung von EB zur Schauspielerin in Wien, die ersten Rollen in Innsbruck, die Erfolge in Zürich, die kurzfristige Enttäuschung in Berlin, die Flucht nach Wien, der Durchbruch in Berlin 1923. Dabei entfernt sich die Autorin immer wieder von ihrer Protagonistin, schildert sehr ausführlich die Situationen der Theaterwelt und widmet dem Leben anderer Personen viel Raum. Das betrifft speziell den Grafiker und Bildhauer Wilhelm Lehmbruck, dessen Liebe von Elisabeth Bergner nicht erwidert wurde. Auch der Erzähler und Lyriker Albert Ehrenstein („Xaverl“), der sie gefördert hat, die Autoren Karl Kraus, Arthur Schnitzler und Frank Wedekind werden detaillierter ins Spiel gebracht als notwendig. Informativer sind die Passagen über ihre Freundinnen Emmy Hennings und Viola Bosshardt und ihre Kollegin Tilla Durrieux. Natürlich sind die erfolgreichen Jahre in Berlin, die schwierige Zeit des Exils und die Rolle des Regisseurs und Lebensgefährten Paul Czinner einfühlsam und genau beschrieben. 338 Fußnoten verweisen auf die Quellen. Mit Abbildungen in guter Qualität. Mehr zum Buch: die-schauspielerin-elisabeth-bergner.html

BATANG WEST SIDE (2001)

Der philippinische Regisseur Lav Diaz (*1958) ist vielfach ausgezeichnet worden und für die Länge seiner Filme bekannt. A LULLABAY TO THE SORROWFUL MYSTERY lief 2016 im Wettbewerb der Berlinale und dauerte 480 Minuten. Daran gemessen ist BATANG WEST SIDE mit 290 Minuten relativ kurz. Schauplätze des Films sind New York und New Jersey, wo der Regisseur in den 1990er Jahren gelebt hat. Ein Polizist, der aus den Philippinen stammt, untersucht den Mord an einem Jugendlichen. Die Designerdroge „Shabu“ spielt eine wichtige Rolle. Die beteiligten Personen sind sehr verschwiegen. Man kann sich nur schwer ein genaues Bild machen, aber aus den Widersprüchen entstehen Erkenntnisse. Nach fast fünf Stunden hat man viel gesehen und gelernt. Die DVD des Films ist jetzt in der Edition Filmmuseum erschienen, verantwortet vom Österreichischen Filmmuseum. Mit einem Booklet, das einen Text des Regisseurs über die ästhetische Herausforderung des Films enthält. Mehr zur DVD: product_info.php/info/p206_Batang-West-Side.html

Die Flapper – Rebellinnen der wilden Zwanziger

Vor hundert Jahren haben zahlreiche junge Frauen gegen die gesellschaftlichen Konventionen Widerstand geleistet. Kurze Röcke, kurze Haare, Zigaretten, hochprozen-tiger Alkohol und Jazz gehörten zu den Insignien ihrer Rebellion. Judith Mackrell erzählt in ihrem Buch die Lebensgeschichten von sechs „Flappers“. Dies sind die britische Schauspielerin und Schriftstellerin Diana Cooper (1892-1986), die polnische Malerin Tamara de Lempicka (1898-1980), die britische Publizistin und Verlegerin Nancy Cunard (1896-1965), die US-amerikanische Schauspielerin Tallulah Bankhead (1902-1968), die US-amerikanische Autorin Zelda Fitzgerald (1900-1948) und die US-amerikanische Tänzerin Josephine Baker (1906-1975). Diane Cooper war die älteste von ihnen, Josephine Baker die jüngste. Zelda Fitzgerald starb im Alter von 48 Jahren, Diane Cooper wurde 94. Das Leben der sechs Frauen verlief höchst unterschiedlich, Judith Mackrell ist tief in ihre Biografien eingedrungen, man erfährt viel Neues, die Lektüre ist spannend. Mit einem 16-Seiten-Abbildungsteil. Mehr zum Buch: judith-mackrell-die-flapper-t-9783458642909

Faszination Marilyn Monroe

Zu Marilyn Monroe ist auch aus heutiger Sicht noch viel zu sagen. Der italienische Autor Massimiliano Capella erzählt uns ihr Leben, richtet den Blick auf den Modestil ihrer Epoche und zeigt, wie sie ihn persönlich beeinflusst hat. Modeschöpfer jener Jahre waren Charles James, Pierre Cardin, Christian Dior, Giovanni Battista Giorgini, Roberto Capucci und viele andere. Capella informiert über sie. Und die Mode zitiert Marilyn bis in die Gegenwart: Marlene Stewart, Bob Mackie, Versace, Dolce & Gabbana, Zuhair Murad, Adam Selman, Max Mara, Dries Van Noten, Alberta Ferretti, Moschino. Nicht zu reden vom Einfluss auf die Barbie-Puppen. Abbildungen funktionieren als konkrete Belege. Der Reichtum der Bilder ist groß. Zitate von Marilyn sind eingefügt: „Ich will nicht reich sein, ich möchte geliebt werden.“ Oder „Ich war blond, aber auf meine eigene Art und Weise.“ Oder „Sind sie eng genug? … Noch enger! Noch enger!“ Unter den aktuellen Publikationen zu MM ist diese die originellste. Mehr zum Buch: faszination-marilyn-monroe-hardcover-bebildert-978395913794/

Das dritte Leben der Agnès Varda

Agnès Varda (1928-2019) war Fotografin, Filmemacherin und Bildende Künstlerin. Das silent green widmete ihr kürzlich eine Ausstellung, verbunden mit einer Filmreihe im Arsenal. Der Katalog (dreisprachig), heraus-gegeben von Dominique Bluher und Julia Fabry bei Spector Books, ist eine beeindruckende Würdigung ihres künstlerischen Werkes. Zu sehen sind unendlich viele Abbildungen, oft in Variationen, vor allem Porträts und Selbstporträts. Erstmals wird eine Serie von 23 Deutschland-Fotografien publiziert, die Varda 1960 in Dinkelsbühl aufgenommen hat. Wunderbar: Eine Filmhütte: Das Zelt von Vogelfrei, bestehend aus ausrangierten Kopien ihrer Filme. Sprechblasen kommentieren im O-Ton den Blick der Künstlerin auf ihr Werk. „Träumereien“ heißt ein schöner Text von Dominique Bluher über Vardas Kunst, „Agnès war da“ eine sehr informative Einführung von Julia Fabry in die Ausstellung. Von Philippe Piguet stammt ein Interview mit Agnès Varda über ihre Beziehung zur zeitgenössischen Kunst. Eine herausragende Publikation. Mehr zum Buch: das-dritte-leben-der-agnes-varda-the-third-life-of-agnes-varda-0

Aggregatzustände bewegter Bilder

Volker Pantenburg ist seit einem Jahr Professor für Filmwissenschaft an der Universität Zürich. Sein Buch „Aggregatzustände bewegter Bilder“ enthält 17 Texte aus den vergangenen zwölf Jahren, vier davon sind erstmals in deutscher Sprache zu lesen. Thematisch geht es um die Mobilität der bewegten Bilder, die sich längst aus dem Kino befreit haben und eine wichtige Funktion im Museum haben. „Welche Effekte haben die räumlichen Anordnungen und Dispositive auf unsere Wahrnehmung bewegter Bilder? Wie modulieren sie die Aufmerksamkeit der Besucherinnen und Besucher?“ (S. 13). Die ersten drei Texte befassen sich mit Ökonomien von Aufmerksamkeit und Erfahrung. Zehn Texte sind individuellen Persönlichkeiten gewidmet: Yvonne Rainers filmischer Erzählforschung, den Räume von Sharon Lockhart, der polnischen Trilogie von Yael Bartana, Matthias Müllers Werkgruppe „While You Were Out“, Maya Schweizers Geschichtsforschung, Sandra Gibsons ABC der Projektion, Hannes Böcks Film FÜNF SKULPTUREN, Gerard Byrnes Film- und Videoarbeit, Jean-Luc Godard imaginärem Museum und den Filmen von Robert Beaver, die in Wien gezeigt wurden. In vier Texten geht es schließlich um kuratorische Fragen, um die Aggregatzustände bewegter Bilder, um Kino und zeitgenössische Kunst, um Film ohne Film und um den kuratorischen Imperativ. Das theoretische Niveau ist hoch. Abbildungen konkretisieren Beschreibungen. Sehr lesenswert. Mehr zum Buch: aggregatzustaende-bewegter-bilder.html?lid=1