DER SCHNEELEOPARD (2021)

Der Schneeleopard gehört zu den seltensten Tieren der Welt. Er lebt in einer fast menschen-leeren Gegend in Tibet und gilt als eher scheu. Der Fotograf Vincent Munier hat ihn in der Wildnis beobachtet und ein Buch darüber publiziert. Es war das erfolgreichste französisch-sprachige Buch des Jahres 2019. Der Text stammt von dem Schriftsteller Sylvan Tesson und schildert die Atmosphäre im Himalaya auf über 4.000 Meter Höhe meditativ, weit entfernt von der Realität zuhause. Die Dokumentaristin Marie Amiguet hat mit der Kamera die beiden Männer bei ihrer Arbeit begleitet, und daraus ist ein beeindruckender Film entstanden, der im Kino zu sehen war und jetzt auf DVD erschienen ist. Man sieht die Natur, die Höhen und tiefen Schluchten, auch einige Bewohner, hört dazu den Kommentar von Tesson, und gelegentlich ist auch ein Schneeleopard im Bild, der seiner Wege geht. Bedrohlich wirkt er nicht. Auf der Tonebene gibt es die Musik von Warren Ellis mit einem Song von Nick Cave. Sie passt sich den ruhigen Bildern an. Ein Expeditionsfilm der ganz eigenen Art. Sehr sehenswert. Mehr zur DVD: dvd-blu-ray/id/der-schneeleopard-1/

Die Berlinerin

100 Frauen, die Geschichte machten, porträtiert das Geschichtsmagazin B HISTORY in seinem neuesten Heft. Auf dem Cov er sind Tabea Blumenschein, Elly Beinhorn, Hildegard Knef und Marlene Dietrich abgebildet. Drei Kapitel strukturieren das Heft: 1. Selbst ist die Frau. 2. Für eine bessere Welt. 3. Im Namen der Kunst. Im ersten Kapitel sind acht Schauspielerinnen platziert, die „mit Sex-Appeal Stars wurden“: Lilian Harvey, Tilla Durieux, Margo Lion, Fern Andra, Pola Negri, Henny Porten, Dita Parlo und Marlene Dietrich. Die Fotos sind hier groß, die Texte kurz. Für eine bessere Welt wollte aus dem Filmbereich offenbar niemand sorgen. Im Namen der Kunst werden 14 Frauen mit filmischem Background gewürdigt, es sind vorwiegend Schauspielerinnen: Edith Hancke, Brigitte Mira, Evelyn Künneke, Inge Meysel, Hildegard Knef, die Kostümbildnerin Moidele Bickel, Leni Riefenstahl, die Silhouetten-Zeichnerin Lotte Reiniger, Ingeborg Keller, Lotte Lenya, Jutta Lampe, Valeska Gert, Anita Berber und Tabea Blumenschein. Der Text zu Tabea Blumenschein stammt von Ulrike Ottinger. Die Mehrzahl der Porträts haben Michael Brettin und Ida Luise Krenzlin verfasst. Das Vorwort von Brettin endet mit der schönen Pointe: „Das Geschichtsmagazin sollte dieses Mal eigentlich nicht B HISTORY heißen, sondern B HERSTORY.“ Mehr zum Heft: https://www.berliner-zeitung.de/b-history

1939. Exil der Frauen

Unda Hörner hat bereits Bücher über Frauen in den Jahren 1919 und 1929 publiziert. Jetzt unternimmt sie eine Zeitreise durch das Jahr 1939. Im Mittel-punkt ihrer Monatschroniken stehen die Schriftstellerinnen Simone de Beauvoir, Else Lasker-Schüler, Erika Mann, Annemarie Schwarzenbach und Virginia Woolf, die Journa-listinnen Milena Jesenská und Dorothy Thompson, die Philosophin Hannah Arendt, die Psychoanalytikerin Anna Freud, die Fotografin Gisèle Freund, die Kunstmäzenin Peggy Guggenheim, die Malerin Frida Kahlo, die Musikerin Luise Mendelsohn, die Schauspielerin Helene Weigel. Was haben sie damals erlebt? Wen haben sie getroffen? Wie haben sie auf die politische Situation reagiert? Die Quellen der Autorin sind Tagebücher, Biografien, Briefe. Die Erzählweise ist sehr anschaulich. Natürlich sind auch Männer präsent. Und einzelne Auftritte haben Asta Nielsen, Leni Riefenstahl, Lale Andersen, Marlene Dietrich und Zarah Leander. Ein höchst lesenswertes Buch über ein Schicksalsjahr, gesehen aus weiblicher Perspektive. Mehr zum Buch: ebersbach-simon.de/buecher/1939-exil-der-frauen

Die Haut des Anderen

Eine Graphic Novel aus der Filmwelt, geschrieben von Serge Le Tendre, gezeichnet von Gaël Séjourné. New York im Dezember 1941. Harvey Meulen und Ross Manson schreiben und komponieren gemeinsam Musicals. Sie sind in die gleiche Frau verliebt, Edith. Als der Krieg ausbricht, meldet sich Harvey freiwillig zur Luftwaffe. Drei Jahre später stürzt er über Italien ab. Der Pilot Jason rettet ihm das Leben, aber Harvey hat auf der einen Hälfte seines Gesichts die Haut verloren. Nach der Rückkehr in die USA erfährt Harvey aus der Zeitschrift Variety, dass sein Freund Ross ihr Musical erfolgreich auf die Bühne gebracht hat und nach Hollywood übergesiedelt ist. Aber Harveys Name taucht nirgends auf. Es beginnt ein Rachefeldzug, bei dem Harvey unter dem Namen Ference De Nostromo Rollen in Horrorfilmen spielt. Jason ist Chirurg und organisiert eine Hauttransplantation. Jason und Harvey sehen sich jetzt sehr ähnlich. Der Kampf gegen die Filmgesellschaft von Ross nimmt absurde Formen an. Und auch Edith, inzwischen mit Ross verheiratet, kommt wieder ins Spiel. Am Ende singt Frank Sinatra ein Lied von Harvey im Radio. Jason und Harvey hören es auf einer malerischen Terrasse am Rande der Mojawe-Wüste. – Es gibt viele spannende Momente in der Geschichte, manche dramaturgischen Wendungen wirken etwas konstruiert. Die Zeichnungen sind exzellent. 110 Seiten im Großformat. Mehr zum Buch: splitter-verlag.de/haut-des-anderen.html

Das Virus im Netz medialer Diskurse

Die mediale Resonanz auf die Corona-Pandemie war enorm. In dem Buch „Das Virus im Netz medialer Diskurse“, her-ausgegeben von Angela Krewani und Peter Zimmermann, wird eine Zwischenbilanz gezogen. Sieben Teile strukturieren den Band: 1. Krisenberichterstat-tung in Fernsehen und Presse. 2. Pandemie und Fernseh-unterhaltung: zwischen Ablenkung und Therapie. 3. Die Pandemie im Internet und den Social Media: zwischen (Des)Information, Prävention und Überlebenshilfe. 4. Datenpolitiken und Verschwörungsideologien. 5. Gesellschaftliche Auswirkungen und Visualisierungen der Pandemie. 6. Pandemiefilme und Computerfilme. Fünf Texte haben mir besonders gut gefallen. Joan Kristin Bleicher beschreibt die Veränderungen in der Fernsehunterhaltung: „Fun, Facts, Viren“. Gabriele Dietze beschäftigt sich mit Corona-Miniserien: „Quarantäne als Therapie“. Bei Anne Ulrich geht es um televisuelle Geisterspiele ohne Studiopublikum. Tobias Helbig richtet seinen Blick auf den Epidemiefilm als Wissen-schaftsthriller und Allegorie: „Darkness and Decay and the Red Death held illimitable dominion over all“. Drehli Robnik befasst sich mit dem Spielfilm als Pandemie-Panorama mehrdeutiger Reproduktion. Zu seinen Filmbeispielen gehören THE CURED (2017) von David Freyne, 93 DAYS (2016) von Steve Gukas, CONTAGION (2011) von Steven Soderbergh, VIRAL (2016) von Henry Jost und Ariel Schulman, VIRUS (2019) von Aashiq Abu und LITTLE JOE (2019) von Jessica Hausner. Dreißig Autorinnen und Autoren haben an dem Band mitgearbeitet. Er hat große Qualitäten. Mehr zum Buch: book/10.1007/978-3-658-36312-3

Ulrich Gregor 90

Heute feiert der Filmhistoriker und Kinomacher Ulrich Gregor seinen 90. Geburtstag. Dazu gratuliere ich ihm herzlich. Wir kennen uns seit den frühen 1960er Jahren, als wir im Doktorandenseminar des Instituts für Publizistik der Freien Universität saßen. Promoviert haben wir beide nicht. Seine Texte in der ZeitschriftFilmkritik, zu deren Initiatoren er gehörte, haben mich sehr beeindruckt, die „Geschichte des Films“, die er 1962 zusammen mit Enno Patalas publiziert hat, war lange ein Basiswerk für mich. Mit der Gründung der „Freunde der Deutschen Kinemathek“ 1963 und den Vorführungen in der Akademie der Künste wurde die internationale Filmkunst in Berlin präsent. Zu den Filmen erschienen Begleithefte, die Ulrich Gregor mit seiner Frau Erika redaktionell verantwortete. Die 99 Hefte der Reihe „Kinemathek“ stehen bei mir im Regal. Die Eröffnung des Kinos „Arsenal“ in der Welserstraße im Januar 1970 und die Gründung des Internationalen Forums des jungen Films als Sektion der Berlinale 1971 sind vor allem ihm zu verdanken. 1984 gehörte er zu den ersten Mitgliedern der Sektion „Film- und Medienkunst“ der Akademie der Künste. Über das Kinoleben von Ulrich und Erika Gregor gibt es inzwischen den schönen Film KOMM MIT MIR IN DAS CINEMA von Alice Agneskirchner, der bei der letzten Berlinale uraufgeführt wurde. Der Geburtstag wird heute im Arsenal am Potsdamer Platz gefeiert. Happy Birthday, Ulrich Gregor! (Foto: Inge Zimmermann).

„O-zapft is!“

Morgen wird in München das 187. Oktoberfest eröffnet. Um 12 Uhr mittags zapft Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter im Schottenhamel-Festzelt das Fass an und bemüht sich dabei um möglichst wenige Schläge. Dann fließt das erste Bier. Das erste Maß erhält Bayern Ministerpräsident Söder. Stephanie Großmann hat einen Band mit Texten über das Oktoberfest aus literatur-, kultur- und mediensemiotischer Perspektive herausgegeben. Je fünfmal geht es um literarische und filmische Konzeptionen, zweimal um die internationale Sichtweise. Bei der Literatur haben mir besonders die Beiträge von Günter Koch über Karl Valentins Schriften zum Oktoberfest und von Martin Henning über das Oktoberfest als Identitätsraum im Regionalkrimi gefallen. Johanna und Magdalena Zorn beschreiben Herbert Achternbuschs filmischen Eingriff in das Oktoberfest in BIERKAMPF (1977). Bei Jan-Oliver Decker geht es um das Oktoberfest als Raum männlicher Machtkonsolidierung im Lederhosenfilm, speziell in OKTOBERFEST! DA KANN MAN FEST… (1974). Miriam Frank befasst sich mit dem Modell der rauschhaften Wiesn in (fernseh-)dokumentarischen Texten. Dennis Gräf und Thomas Stegmaier verweisen auf die Konstruktion des Oktoberfests im Münchner Tatort. Jan-Oliver Decker und Stefanie Großmann analysieren die sechsteiligen Fernsehserie OKTOBERFEST 1900 (2020). Hans J. Wulff beschreibt die internationalen Bedeutungshorizonte gelebter Feste. Sophie Picard, Paula Wojcik und Sina Zarrieß informieren über die Twitterisierung einer kulturellen Ikone. Alle Texte erfüllen hohe theoretische Ansprüche. Mit Abbildungen in sehr guter Qualität. Man wünscht dem Oktoberfest mehr Besucher als auf dem Coverfoto zu sehen sind. Mehr zum Buch: programm/titel/708-o-zapft-is.html

John Badham

John Badham (*1939) ist als Regisseur mit den Filmen SATURDAY NIGHT FEVER (1977), DRACULA (1979) und WAR GAMES (1983) inter-national bekannt geworden. Die Zahl seiner Kino- und Fern-sehfilme geht auf die fünfzig zu. Es gab bisher keine Publikation über ihn. Jetzt ist im Fenomena Filmbuch Verlag ein 450-Seiten-Band erschienen, den Michael Flintrop herausgegeben hat. Zwölf Essays sind verschiedenen Aspekten gewidmet, beginnend mit einer generellen Würdigung von Marcus Stiglegger. Sascha Westphal befasst sich mit dem Auteur Badham, Michael Flintrop mit der Badham Company, Wieland Schwanebeck mit der Männlichkeit im Werk von Badham, Nils Bothmann mit den unterschiedlichen Genres, Ivo Ritzer mit der Medienreflexivität, Oliver Nöding mit der Überwachungstechnologie, Willem Strank mit Generationskonflikten & Familienkonstellationen, Andreas Rauscher mit den cineludischen Spielen der WAR GAMES, Stefan Borsos mit den Fernseharbeiten, Heiko Nemitz mit Badhams Besson-Remake POINT OF NO RETURN, Ingo Knott mit Badhams Technik-Trilogie. Jeder Kino- und Fernsehfilm wird ausführlich kommentiert. 45 Autorinnen und Autoren haben Texte geliefert, die sachkundig formuliert und gut zu lesen sind. Das Vorwort stammt von John Badham. Band 1 der neuen Buchreihe „Directors“, die Michael Flintrop herausgibt. Der nächste Band ist Bruce Beresford gewidmet. Ich bin gespannt. Mehr zum Buch: s574723231.online.de/index.html

Schimanski machen

Horst Schimanski war als Tatort-Kommissar in Duisburg von 1981 bis 1991 insgesamt 29mal zu sehen. 1997 bekam er eine eigene Reihe mit 17 Folgen bis 2013. Götz George wurde in Jeans und Feldjacke zu einer Kultfigur. Das Buch von Gabriele Mehling, Axel Block, Michael Hild und Bernd Schwamm informiert über die Erfindung und Etablierung der Figur. Es ist klassische Oral History der deutschen Fernsehgeschichte. Im Mittelpunkt stehen neun Interviews von Gabriele Mehling mit unmittelbar Beteiligten: den Drehbuchautoren Bernd Schwamm, Martin Gies und Horst Vocks, den Regisseuren Hajo Gies, Peter Adam und Dominik Graf, der Regisseurin Ilse Hofmann, dem Produzenten Günter Rohrbach und dem Kameramann Axel Block. Fast alle kannten sich vom Studium an der HFF in München. Ihre Erinnerungen sind präzise und vermitteln erstaunliche Details aus den 70er und 80er Jahre. Von Michael Hild stammen Anmerkungen zur Genese des neuen Tatort-Kommissars und exemplarische Analysen des Tatort vor und mit Schimanski. Axel Block vergleicht aus der Perspektive des Kameramannes den FEINKOSTHÄNDLER (1978) mit Inspektor Haferkamp (Hansjörg Felmy) und DUISBURG-RUHRORT (1981), den ersten Schimanski-Tatort. Bernd Schwamm erinnert an die ursprünglichen Ansprüche an die Figur: „Ich hätte mehr um ‚unseren‘ Schimanski kämpfen müssen.“ (S. 432). Der Anhang enthält Daten zu den Schimanskis bis ZAHN UM ZAHN (1985), der zuerst im Kino gezeigt wurde, und biografische Informationen zu den erwähnten Personen. Die Abbildungen haben akzeptable Qualität. Das Buch ist Basis-Literatur zur deutschen Fernsehgeschichte. Mehr zum Buch: Details.aspx?ISBN=9783967076394#.YxCr_C-21Hc

FREIBAD

Der Film von Doris Dörrie ist zurzeit im Kino zu sehen, die Kritiken sind zwiespältig, ich habe ihn noch nicht gesehen, aber die Graphic Novel gelesen, die im Jaja-Verlag erschienen ist. Paulina Stulin hat das Drehbuch von Doris Dörrie, Karin Kaci und Madeleine Fricke auf originelle Weise zu einer Bildgeschichte gemacht. Im Freibad Melusine treffen sich sehr unterschiedliche Frauen und geraten schnell in Streit. Die Hauptfiguren sind Eva, einstmals ein Schlagerstar und Feministin, die gegen ihr Alter ankämpft, ihre Freundin Gabi, verheiratete Lehrerin mit einem kleinen Hund, die junge Türkin Yasemin, die im neuen Burkini badet, ihre Mutter, die das nicht gern sieht, die Bademeisterin Steffi, die von den Frauen zunehmend genervt ist und schließlich kündigt, der Wurstverkäufer Kim und die Besitzerin des Bades, Rocky. Es beginnt mit einem Polizeieinsatz, für den sich niemand verantwortlich fühlt, und endet mit der Umstellung von Kalbswürstchen auf vegane Wurst. Für heftige Konflikte sorgt der Nachfolger von Steffi: Nils, ein Mann aus Berlin. So ist das Freibad eigentlich ein Kampfplatz, auf dem ein Clash der Kulturen, der Geschlechter und der Generationen stattfindet. Nur nachts wird es friedlich. Auf den fast 300 Seiten gibt es zwar Redundanzen, aber die sind zu ertragen. Den Film mit Andrea Sawatzki (Eva), Maria Happel (Gabi), Nilam Farooq (Yasemin), Lisa Wagner(Rocky) und Samuel Schneider (Nils) werde ich mir demnächst im Kino ansehen. Mehr zum Buch: www.jajaverlag.com/freibad/