DER SCHLIMMSTE MENSCH DER WELT (2021)

Natürlich ist Julie, die Haupt-figur des Films von Joachim Trier, nicht der schlimmste Mensch der Welt. Mit fast 30 Jahren sucht sie noch immer nach dem richtigen Beruf. Ein Medizinstudium hat sie abge-brochen, auch die Psychologie gefällt ihr nach kurzer Zeit nicht mehr, vielleicht ist die Fotografie ihre Zukunft. Sie beginnt eine Liaison mit dem zehn Jahre älteren Comic-Zeichner Aksel, aber es gibt Konflikte über die gemeinsame Zukunft. Bei einer Hochzeitsfeier lernt sie einen jungen Mann namens Elvind kennen, mit dem sie eine Affäre beginnt. Sie beschließt, sich von Aksel zu trennen und mit Elvind zusammen-zuziehen. Bei einem Schwangerschaftstest erfährt sie, dass sie ein Kind von Aksel erwartet. Sie verlässt Elvind, der kein Kind haben will. Es kommt zu einer Fehlgeburt. Aksel liegt inzwischen mit Krebs im Krankenhaus. Am Ende arbeitet Julie als Fotografin an einem Filmset. Sie beobachtet, wie eine Schauspielerin mit Elvind und einem Kind den Drehort verlässt. Das ist der Epilog des Films, der mit einem Prolog beginnt und zwölf Kapitel hat. Die dramaturgischen Wendungen sind oft überraschend, aber Renate Reinsve als Julie, Anders Danielsen als Aksel und Herbert Nordrum als Elvind spielen hervorragend. Bei Koch Media ist jetzt die DVD des Films erschienen. Unbedingt sehenswert. Mehr zur DVD: der_schlimmste_mensch_der_welt_dvd/

Frauen 70+

Zwanzig Frauen aus Politik und Kultur porträtiert Rita Kohlmaier in diesem Buch, die sie als cool, rebellisch und weise bezeichnet. Dies sind die französische Chansonsängerin Juliette Gréco (1927-2020), die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Charlotte Knobloch (*1932), die Richterin am US-Supreme-Court Ruth Bader Ginsburg (1933-2020), die italienische Fotojournalistin und Kulturmanagerin Letitia Battaglia (1935-2022), die Schauspielerin Jane Fonda (*1937), die Fotografin Herlinde Koelbl (*1939), die Schauspielerin Erika Pluhar (*1939), die Schriftstellerin Margaret Atwood (*1939), die Sängerin Tina Turner (*1939), die Sprecherin des US-Repräsentanten-hauses Nancy Pelosi (*1940), die Schriftstellerin und aktuelle Nobel-preisträgerin Annie Ernaux (*1940), die Modedesignerin Vivienne Westwood (*1941), die Fotografin Elfie Semotan (*1941), die Philosophin Elisabeth Badinter (*1944), die Menschenrechtsanwältin Alice Nkom (*1945), die Schauspielerin Helen Mirren (*1945), die Performance-Künstlerin Marina Abramovic (*1946), die ehemalige Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof Carla Del Ponte (*1947), die Politikerin Marianne Birthler (*1948) und die Friedens-nobelpreisträgerin Shirin Ebadi (*1947). Die jeweils sechs bis acht Seiten langen Texte sind klug formuliert. Ein Porträtfoto ist vorangestellt. Mit einem Vorwort von Iris Berben. Mehr zum Buch: frauen-70-cool-rebellisch-weise-t-9783458682301

Ruhm für eine Nacht

Mehrfach träumt die Ich-Erzählerin Zoe Beech von Scarlett Johansson, und Liza Minnelli schwebt manchmal durch den Raum. Aber das macht diesen Roman nicht zu einem Filmbuch. Es ist ein origineller Berlin-Roman, der das Tages-und Nachtleben der Stadt im Jahr 2008 schildert. Zwei junge Frauen aus New York, Zoe Beech und Hailey Mader, haben hier als Stipen-diatinnen an der Universität der Künste viel Zeit, um ihre eigenen Vorstellungen vom Leben zu realisieren. Sie finden eine gemeinsame Wohnung in der Bülowstraße, die der Krimiautorin Beatrice Becks und ihrer Mutter Janet gehören. Zoe und Hailey ziehen in die Wohnung ein und werden zu Freundinnen. Nach kurzer Zeit haben sie den Verdacht, von Beatrice und Janet beobachtet zu werden. Zoe ist noch traumatisiert vom Tod ihrer Freundin Ivy, die in New York ermordet wurde. Hailey, die sehr gut Deutsch spricht, ist die aktive Person, Zoe hält sich eher zurück. Gemeinsam veranstalten sie in ihrer Wohnung abendliche Freitagspartys, die zu einer Attraktion werden. Aber Zoe und Hailey werden zu Feindinnen. Und dann wird Hailey auf die gleiche Weise ermordet wie Ivy. Zoe steht unter Verdacht, aber es könnten auch Beatrice oder ihre Mutter gewesen sein. Die haben jedoch ein Alibi. Die Aufklärung hat eine eigene Logik. Die Autorin Calla Henkel lebt in Berlin. Ihr Roman ist zuweilen komisch, zeitweise düster und literarisch interessant. Mehr zum Buch: regal/neuheiten-2022/ruhm-fur-eine-nacht/

„Vom Paradies ein goldner Schein“

Werner Richard Heymann (1896-1961) war einer der großen deutschen Film-komponisten. Von ihm stammte die Musik u.a. zu DIE DREI VON DER TANKSTELLE (1930), DER KONGRESS TANZT (1931), EIN BLONDER TRAUM (1932). 1933 ging er ins Exil und arbeitete ab Ende der 30er Jahre bei fünf Filmen mit Ernst Lubitsch zusammen. 1951 kehrte Heymann nach Deutschland zurück, lebte und komponierte in München, heiratete die Schauspielerin Elisabeth Millberg. 1952 kam die Tochter Elisabeth zur Welt. Sie hat jetzt ein kleines, sehr lesenswertes Buch über Musik und Menschen im Hause Werner Richard Heymann publiziert. Aus der Perspektive des kleinen Mädchens, genannt „Kiki“, schildert sie Begegnungen mit Trude Hesterberg, Walter Mehring, Friedrich Hollaender, Margot Hielscher, Lilian Harvey, Hans Albers, Mischa Spoliansky, Helen Vita, Erich Wolfgang Korngold, Robert Gilbert. Die 29 kurzen Texte sind anschaulich und beweisen das gute Erinnerungsvermögen von Elisabeth Trautwein-Heymann. Eine Autobiographie von Werner Richard Heymann im Telegrammstil leitet den Band ein. Mit 25 Abbildungen. Der Titel ist eine Zeile aus dem Lied „Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder…“ aus DER KONGRESS TANZT. Mehr zum Buch: buch-vom-paradies-ein-goldner-schein.html

Das Geheimnis des dunklen Hauses

Vorspann: Der im Londoner Exil arbeitende Regisseur Leopold Welfenstein hat sich im Oktober 1937 im Schneideraum der Ealing Studios offenbar erschossen. Die Dreharbeiten zu dem Film „Das Geheimnis des dunklen Hauses“ waren noch nicht abgeschlossen. Das bisher gedrehte Material ist ver-schwunden. Rückblende: In einem großen Anwesen im schottischen Amber Hall lebt die Familie Carr: der verwitwete Vater Sebastian, seine Söhne Brendan und Phillip, seine Tochter Cathleen, sein Bruder Clarence, dessen Frau Vivian und das Hauspersonal. Die 15jährige Cathleen führt Tagebuch, und wir erfahren daraus, was sich zwischen November 1900 und August 1901 im einsam gelegenen Haus ereignet. Ihr Vater stirbt an einem Herzinfarkt in der Bibliothek, ihr Bruder Brendan wird bei einem Autounfall getötet. Ihre Tante Vivian bringt einen Sohn zur Welt. Eine Zeitungsnotiz informiert am Ende, dass in der Bibliothek von Amber Hall nachts ein Feuer ausgebrochen ist – Clarence Carr und Cathleen sind erstickt. Das war der Stoff, den Leopold Welfenstein verfilmen wollte. Weil die Erben von Amber Hall Einspruch erhoben, wurde die Handlung ins Jahr 1934 verlegt. Hat sich Welfenstein wirklich selbst erschossen? Seine Frau Elisa und seine Tochter Josephine denken, dass er ermordet wurde. Gegenwart: In dem kleinen Ort Angerrath in der Eiffel findet ein Filmfestival statt. Die Autorin Anna Bentorp wird eingeladen, in der Jury mitzuwirken. Ihr Spitzname ist „Miss Marple“. In einer Retrospektive werden die Filme von Leopold Welfenstein gezeigt. Seine Tochter Josephine ist Gast des Festivals. Man kündigt auch an, das bisher verschwundene Material des Films „Das Geheimnis des dunklen Hauses“ vorzuführen. Aber es wird gestohlen. Miss Marple ermittelt. – Der Kriminalroman von Margarete von Schwarzkopf hat eine raffinierte Dramaturgie, die Zeitebenen sind geschickt verwoben, mit dem umfangreichen Personal ist man schnell vertraut. Spannende 400 Seiten. Mehr zum Buch: das-geheimnis-des-dunklen-hauses-6503

MEINE SCHRECKLICH VERWÖHNTE FAMILIE (2022)

Der verwitwete Millionär Francis Bartek hat drei erwachsene Kinder, die von seinem Geld leben und keinen Beruf ausüben. Wie kann er ihnen beibringen, Verantwortung zu übernehmen und ihr Luxusleben einzuschränken? Er erzählt Philippe, Stella und Alexandre, dass er bankrott ist und von den Behörden gesucht wird. Das schlägt wie eine Bombe ein. Natürlich stellen sich die Drei der Herausforderung und nehmen die Dinge in die Hand. Die französische Komödie von Nicholas Cuche erzählt auf spaßige von Familie, Erziehung und Geld. Die Hauptrollen sind mit Gérard Jugnot (Vater), Artus (Philippe), Camille Lou (Stella) und Louka Meliava (Alexandre) sehr gut besetzt. Man ahnt viele Wendungen der Geschichte und freut sich, wenn sie entsprechend passieren. Bei EuroVideo sind jetzt DVD und Blu-ray des Films erschienen. Unterhaltsam. Mehr zur DVD: meine-schrecklich-verwoehnte-familie,tv-kino-film.html

Website WeimarCinema.org

Vor sechs Jahren erschien das Buch „The Promise of Cinema“, herausgegeben von Anton Kaes, Nicholas Baer und Michael Cowan bei University of California Press. Es war mein Filmbuch des Monats Mai 2016. Vor vier Jahren wurde von Tony Kaes und Cynthia Walk die Website WeimarCinema.org mit den Rubriken „Research“, „Resources“, Rediscoveries“, „Explorations“ installiert. Sie informiert über Publikationen, Konferenzen, Retrospektiven, Restaurierungen und im Netz zu sehende Filme der Weimarer Republik. Sie wurde kürzlich vollständig überarbeitet. Neu hinzugekommen ist in der Rubrik „Resources“ der Bereich „Chronik des Weimarer Films“. Sie rekapituliert Ereignisse (Firmengründungen, Kinoeröffnungen, filmpolitische Vorkommnisse, Zensurfälle), sie würdigt die wichtigsten Filme des Jahres und verweist auf „weitere Filme“ von bedeutenden Regisseuren, mit bekannten Schauspielerinnen und Schauspielern, sie kommentiert damals erschienene Filmbücher. Die Chronik basiert auf meiner „Chronik des deutschen Films“, erschienen 1995, und wurde für die Website überarbeitet und aktualisiert. Mehr zur Website: www.weimarcinema.org

Der Stoff, aus dem die Tränen sind

Das Buch von Alexandra Kleeman vermittelt eine beängstigende Vision von der Zukunft der Traumfabrik Hollywood und der Welt. Hauptfigur ist der Autor Patrick Hamlin, der die Filmrechte an seinem Roman „Elsinore Lane“ an eine Produktionsfirma verkauft hat. Der Vertrag sieht vor, dass er während der Dreharbeiten als Produktions-assistent tätig ist. Also fährt er von Boston nach Hollywood, während seine Frau und seine neunjährige Tochter Nora einen spirituellen Natur-Treat an der Ostküste absolvieren. Patrick wird der Hauptdarstellerin Cassidy Carter als Chauffeur und Betreuer zugeordnet. Die Dreharbeiten verlaufen dissonant. Der Regisseur wird kurzfristig ausgetauscht. Die Produktionsleiter Jay Arvid und Brenda Billington agieren herrschsüchtig. Waldbrände im Raum von Los Angeles zwingen die Autofahrer zu Umwegen. Und die Wasserversorgung ist weitgehend auf das teure, synthetische WAT-R umgestellt. Patrick bewältigt viele Herausforderungen, weil Cassidy sich als erstaunlich solidarisch erweist und meist nicht den Star spielt. Aber Patricks Frau macht sich zunehmend Sorgen, wenn sie mit ihm telefoniert. Es könnte zu einer Apokalypse kommen. Zwei Themen mischen sich in dem Roman auf interessante Weise: die Hierarchien in der amerikanischen Filmproduktion und die Klimaprobleme. Alexandra Kleeman hat die große Fähigkeit, Beunruhigendes subtil zu beschreiben. Das gibt dem 400-Seiten-Roman eine auch stilistisch differenzierte Dimension. Aus dem Amerikanischen von Anna-Christin Kramer und Christina Sipeer. Sehr lesenswert. Mehr zum Buch: literary-work/der-stoff-aus-dem-die-tranen-sind/

Hell’s Kitchen

Christian Zaschke, New York-Korrespondent der Süddeut-schen Zeitung, wohnt im 17. Stock eines ehemaligen Schwesternwohnheims mit Balkon und Blick auf den Hudson River. Er hat zwei Jahre lang eine wöchentliche Kolumne mit Storys aus Manhattan geschrieben. 108 Texte sind jetzt als Buch im Ullstein Verlag erschienen. Auf jeweils zwei Seiten lesen wir Zaschkes Erlebnisse im Alltagsleben der Stadt. Vor dem Hintergrund der Abwahl von Präsident Trump, der Pandemie und der unterschiedlichen Jahreszeiten gibt es Begegnungen mit den verschiedensten Menschen. Häufig kommt ein Anruf von dem befreundeten Fremdenführer V., der entweder zu einem Spaziergang in den Central Park einlädt oder zum Lunch in einem Restaurant oder zum abendlichen Treff bei Rudy’s, einer der schrottigsten Bars in New York. Seine Haare lässt Zaschke von Robert in Rafik’s Barber Shop schneiden, dessen Hände je nach Tagesform erheblich zittern. Das Ergebnis fällt entsprechend mangelhaft aus. Zaschkes Frisur verbessert sich deutlich, als Robert aus dem Shop verschwindet. Die Hausverwaltung nervt monatelang mit der Renovierung der Balkone, die nicht vorankommt. Und dann gibt es noch Heidi P. mit ihrem schottisch-philippinischen Lebensgefährten R., den Hausmeister Giovanni Colon, dem der Weg in den 17. Stock oft zu weit ist, die Physiotherapeutin K., die sich meist in San Diego aufhält, den Hausarzt Dr. M., der in der Corona-Zeit Abstriche macht, den Tischtennis-Partner Jeff, der eine Platte in seiner kleinen Wohnung aufstellt, die Isländerin, die Zaschke auf einer Fahrt in den Süden begleitet, und viele andere Personen, die nur Kurzauftritte haben. Die Pointen am Ende sind oft lustig und manchmal traurig. Ein wunderbares New York-Buch. Mehr zum Buch: hells-kitchen-9783548067193.html

Irrwisch

Vor fünf Jahren erschien der Politthriller „Maria und der Patriot“ von Hans-Werner Honert. Hauptfiguren waren Maria Schwimmer und Jack Brown, die einen Film über die Ermordung des Chefs der Treuhand Detlev Karsten Rohwedder 1991 in Düsseldorf realisieren. Marias Vaters war sein Bodyguard. Jack Brown kommt bei einem Verkehrsunfall ums Leben, Maria übersteht den Kampf um Leben und Tod. Sie vollendet den Film. Der neue Roman, „Irrwisch“, variiert den Tod von Jack Brown. Jetzt wird er bei der Premiere des Films in Toronto erschossen. Und Maria beginnt ein neues Filmprojekt über die Ermordung des ehemaligen Chefs der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen. War es wirklich die RAF, die ihn umgebracht hat? Maria geht auf Spurensuche. Sie wird unterstützt von Katja, der Tochter des geheimnisvollen Mannes Sörenson. Die zentrale Figur des Bösen heißt Maier. Maria ist schwanger von Jack und bringt zunächst ihren Sohn zur Welt (sein Name: Jack) und vollendet dann den Film, der in New York Premiere hat. Schauplätze des Romans sind u.a. New York, Nairobi, Berlin. Erzählt wird aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Lektüre ist spannend. Mehr zum Buch: www.verlagfaberundfaber.de/buch/99