100 x Österreich: Film

100 Filme, die in Österreich spielen, dort produziert wurden oder an deren Realisierung Österreicher beteiligt waren, hat Christian Reichhold für dieses Buch ausgewählt und präsen-tiert sie in alphabetischer Reihenfolge, beginnend mit 00SEX AM WOLFGANGSEE von Franz Antel, endend mit WILDE MAUS von Josef Hader. Auf jeweils zwei Seiten werden die Handlung erzählt, die Produk-tionshintergründe und die Resonanz geschildert. Die meisten Filme (17) stammen aus den vergangenen neun Jahren, die wenigsten (3) aus den 70er Jahren. Die beiden ältesten Filme sind ORLAC’S HÄNDE von Robert Wiene und DIE STADT OHNE JUDEN von Hans Karl Breslauer aus dem Jahr 1924, die jüngsten Filme sind 3 TAGE IN QUIBERON von Emily Atef, ERIK & ERIKA von Reinhold Bilgeri und MURER – ANATOMIE EINES PROZESSES von Christian Frosch aus dem Jahr 2018. Mit je fünf Filmen sind Franz Antel und Willi Forst die am stärksten berücksichtigten Regisseure, gefolgt von Michael Haneke (4). Der erfolgreichste Österreich-Film ist natürlich THE SOUND OF MUSIC, 1964 von Robert Wise in Salzburg gedreht und im Lauf der Jahre von 1,2 Milliarden Menschen gesehen. Solche Zahlen konnte nicht einmal SISSI erreichen. Dokumentarfilme hat der Autor außer Acht gelassen, aber immerhin den experimentellen Film DIE PRAXIS DER LIEBE von Valie Export ausgewählt. CASABLANCA ist dabei, weil so viele Exil-Österreicher mitgewirkt haben. Die Texte zu den einzelnen Filmen sind flott formuliert, das Wort „Streifen“ wird allerdings etwas zu häufig benutzt. In einem “Vorspann“ geht es um die österreichische Filmgeschichte, in einem „Nachspann“ um Filme, die nicht berücksichtigt wurden. Mit zahlreichen Abbildungen (Fotos, Plakaten, Programmheften) in relativ guter Qualität. Mehr zum Buch: 100-x-oesterreich/

12 TAGE (2017)

Wer in Frankreich zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesen wird, muss innerhalb von zwölf Tagen einen Gerichtstermin bekommen, bei dem juristisch entschieden wird, ob die Ein-weisung gerechtfertigt ist. Das Gesetz gibt es seit fünf Jahren. Raymond Depardon, früher als Fotograf tätig, inzwischen vor allem als Dokumentarfilm-regisseur ausgewiesen, erhielt die Erlaubnis, im Krankenhaus Le Vinatier in Lyon Anhörun-gen zu dokumentieren. Zehn sind in diesem Film mitzuerleben. Patient*in und Richter*in sitzen sich an einem Tisch gegenüber, es ist ein Anwalt dabei. Justiz und Psychiatrie erweisen sich dabei als nicht kompatibel, weil die Gesetzesvertreter nicht über die notwendigen medizinischen Kenntnisse verfügen, um die Rechtmäßigkeit der Einweisung beurteilen zu können. Der Film ist spannend, weil man auch als Zuschauer Urteile fällt und merkt, welche Rolle Sympathien oder spontane Antipathien spielen. Es gibt keinerlei Kommentar. Zwischen den Anhörungen sehen wir Momentaufnahmen aus den Anstalten. Beeindruckend! Bei Absolut Medien ist jetzt eine DVD des Films in Originalfassung mit deutschen Untertiteln erschienen. Als Geleitwort dient ein Zitat des Philosophen Michel Foucault: „Der Weg vom Menschen zum wahren Menschen führt über den Wahnsinnigen“. Mehr zur DVD: 4067/12+Tage

Ikonen des Films in „Lettre“ 123

Die Zeitschrift Lettre gehört für mich nicht zur Pflichtlektüre. Unser Freund Jochen Brunow hat mir die jüngste Ausgabe (Nr. 123) zugänglich gemacht, weil fünf Texte „Ikonen des Films“ gewidmet sind. Es beginnt mit einem Gespräch: Alain Delon erzählt Samuel Blumenfeld „Wie Helden sterben“. Die Lebens-geschichte des „Eiskalten En-gels“ liest sich spannend, weil Blumenfeld, Filmkritiker von Le Monde, gut fragt und Delon eloquent antwortet. Im zweiten Beitrag – „Verloren im Supermarkt“ – erschließt der Schriftsteller Andreas Martin Widman sehr persönlich und mit großer Kenntnis das Werk des Regisseurs Roland Klick: „Jenseits des Neuen Deutschen Films“. Ein toller Text! Im dritten Essay beschäftigt sich der Bremer Psychologe Michael Düe mit Leben und Werk von Ingmar Bergman („Bergman auf der Couch“). Er richtet den Blick auf die Theaterarbeit und interpretiert drei Filme (PERSONA, VON ANGESICHT ZU ANGE-SICHT und AUS DEM LEBEN DER MARIONETTEN) – in der Konklu-sion heißt das „Das Theater als Ehefrau, der Film als Geliebte“. Und: durch Bergmans Verzicht auf eine reale Psychotherapie blieb er Herr seiner eigenen Geschichten, er musste die Deutungshoheit nicht abgeben. Im vierten Text erzählt der italienische Schriftsteller Fabio Stassi, welche Welten sich für ihn bei der Lektüre von Frank Capras Autobiografie geöffnet haben. Der fünfte und längste Beitrag stammt von Georg Stefan Troller: „Die Comics meines Lebens“. Sie hießen Struwwelpeter, Tim & Struppi, Asterix und Fritz the Cat. Acht spannen-de Seiten mit der Schilderung persönlicher Begegnungen mit den Autoren und einer Comic-Historie, die weit über subjektive Erinnerun-gen hinausgeht. Im Literaturbereich von Lettre 123 gibt es einen beeindruckenden Text des Schriftstellers Wolf Reiser über den Roman „Alexis Sorbas“ von Nikos Kazantzakis. Danke, lieber Jochen, für die Konkretisierung des Lettre-Mythos. Mehr zur Zeitschrift: https://www.lettre.de

Carlos Thompson

Als Sohn einer deutsch-schwei-zerischen Einwanderungs-familie wurde Carlos Thompson 1923 in Argentinien geboren, drehte dort zwischen 1939 und 1953 15 Filme, wurde von Yvonne de Carlo nach Holly-wood geholt und machte in den späten 50er Jahren Karriere in der Bundesrepublik. Sein erfolg-reichster Film war DAS WIRTS-HAUS IM SPESSART (1958) an der Seite von Liselotte Pulver. Ab Mitte der 60er Jahre war er vor-wiegend als Schriftsteller tätig. Er heiratete 1957 die Schauspie-lerin Lilli Palmer, die 1986 in Los Angeles starb. Vier Jahre später nahm sich Thompson in Buenos Aires das Leben. Rainer Boller hat eine Biografie von Carlos Thompson verfasst, die kürzlich in der Verlagsallianz erschienen ist. Sie ist sehr gut recherchiert, schildert sein Leben, seine Filmarbeit und die späteren Tätigkeiten. Der Anhang enthält eine Filmografie mit Zitaten aus zeitgenössischen Kritiken. Die Abbildungen haben eine gute Qualität. Mehr zum Buch: der-edle-raeuberhauptmann/

Amateurfilm in der DDR

„Greif zur Kamera, gib der Frei-zeit einen Sinn“ ist das wohl definitive Buch zum Amateur-film in der DDR. Der Autor Ralf Forster ist Filmtechnikhisto-riker, arbeitet in verantwort-licher Stelle am Filmmuseum Potsdam und legt mit dieser Publikation seine Habilitations-schrift vor, die an der Philipps-Universität Marburg entstanden ist. Mehr als 10.00 Amateur-filme sind in der DDR entstan-den, sie spiegeln auf eigene Weise den Zustand und die Veränderungen der Gesellschaft, weil sie nicht in die staatliche Filmgesellschaft DEFA eingebunden waren, sondern eigene Weg gehen konnten. Sie zeigten Sehnsüchte und Hoffnungen, aber auch die Anpassungen an die Realität der DDR. Der Autor beschreibt die Strukturen des Amateurfilms im politischen Gefüge der DDR, die Produktions- und Freizeitpraxis des DDR-Amateurfilms, die internationalen Verbindungen und eine große Zahl ausgewählter Filme in den Genres Dokumentarfilm, Spielfilm, Film-Satire und Belehrungsfilm. Eine beigefügte DVD präsentiert 16 Filmbeispiele, die im Buch genauer analysiert werden. Mit Abbildungen in guter Qualität. Band 3 der Reihe „Film-Erbe“. Mehr zum Buch: .XDcSR-kqtW8 

Familienbilder

Der Band dokumentiert die Bei-träge zu einer Tagung, die im Mai 2016 in der Katholischen Akademie Schwerte stattgefun-den hat. Vier Texte richten ihren Blick auf einzelne Filme. Ulrike Volkmer untersucht den Film ELTERN (2013) von Robert Thalheim („Wie die Liebe zu Kindern Gestalt wird“), Peter Hasenberg befasst sich mit Struktur und Themen in Philip Grönings DIE FRAU DES POLIZISTEN (2013; „Die Familie als Liebesraum und Gewaltherd“), Reinhold Zwick reflektiert über Ruben Östlunds HÖHERE GEWALT (2014; „Schnee-balleffekt im Familienkosmos“), Markus Leniger äußert sich zu dem Film SCHWESTERN von Anne Wild (2014; „Eine Sommerkomödie über Familie, Berufung und Sehnsuchtsorte“). Von Franz Günther Weyrich stammt ein Beitrag über Familien im Kurz(spiel)film („Family Shots“). In zwei Texten geht es um Familienbilder in TV-Serien: Peter Hasen-berg untersucht die britische Serie DOWNTON ABBEY („Eine ein-fachere Welt?“), Stefan Leisten die Daily Soap GUTE ZEITEN, SCHLECHTE ZEITEN („Es bleibt doch alles in der Familie“). Stefan Ort resümiert, was Kirche und Pastoral(theologie) mit Blick auf die Familie vom Film lernen können („Überall Enge?“). Die Texte haben ein hohes Niveau. Mit Abbildungen in guter Qualität. Mehr zum Buch: familienbilder.html

Aufruf zur Solidarität

Der Sänger und Schauspieler Ernst Busch (1900-1980) hatte in den letzten Jahren der Wei-marer Republik eine große Prä-senz und engagierte sich für das proletarische Kino. Anna Weber untersucht in ihrer Master-arbeit, die an der Universität Zürich entstanden ist, in zwei Fallstudien die Filme NIE-MANDSLAND von Victor Trivas und KUHLE WAMPE ODER WEM GEHÖRT DIE WELT? von Slatan Dudow. Es geht dabei um die Filmmusik von Hanns Eisler und um Ernst Busch als Sänger und Schauspieler. In einem abschließenden Kapitel konfrontiert die Autorin die ästhetischen Ideen von Georg Lukács („NIEMANDSLAND und das mitfühlende Publikum“) mit dem filmästhetischen Konzept von Bertolt Brecht („KUHLE WAMPE und das distanzierte Publikum“). Ihr Text ist erkenntnisreich und führt zu einem sehr differenzierten Bild der Persönlichkeit von Ernst Busch. Mit kleinen Abbildungen in akzeptabler Qualität. Mehr zum Buch: weimarer-republik.html

Trans*Gender im Film

Eine Dissertation, die an der Ruhr-Universität Bochum ent-standen ist. Annette Raczuhn äußert sich darin „Zur Entste-hung von Alltagswissen über Transsex* in der filmisch-nar-rativen Inszenierung“. Drei Kapitel sind den theoretischen Zugängen zu ihrem Thema ge-widmet und der Methode ihrer Untersuchung. Im Zentrum – 180 Seiten – steht der Transsex* in der filmisch-narrativen In-szenierung. 15 Filme werden relativ kurz besprochen: GLEN OR GLENDA (1953) von Ed Wood, SOME LIKE IT HOT (1959) von Billy Wilder, ROCKY HORROR PICTURE SHOW (1975) von Jim Sherman, LA CAGE AUX FOILES (1978) von Éduard Molinaro, VICTOR/VICTORIA (1982) von Blake Edwards. TOOTSIE (1982) von Sydney Pollack, YENTL (1982) von Barbra Streisand, MRS. DOUBT-FIRE (1993) von Chris Columbus, THE ADVENTURES OF PRISCILLA, QUEEN OF THE DESERT (1994) von Stephan Elliott, CONNIE AND CARLA (2004) von Michael Lembeck, BREAKFEAST ON PLUTO (2005) von Neil Jordan, DIE PÄPSTIN (2009) von Sönke Wortmann, PEACOCK (2010) von Michael Lander, GIGOLA (2011) von Laure Charpentier, ALBERT NOBBS (2011) von Rodrigo Garcia. Sehr präzise und konkret sind die Analysen der Filme BOYS DON’T CRY (1999) von Kimberly Peirce, TRANSAMERICA (2005) von Duncan Tucker, ROMEOS (2011) von Sabine Bernardi, LAURENCE ANYEAYS (2012) von Xavier Dolan, THE DANISH GIRL (2015) von Tom Hooper und MEIN SOHN HELEN (2015) von Gregor Schnitzler. Eine Konklusion „Der Gender-Film als Filmgenre“ fasst die Ergebnisse zusammen. Im abschließenden Kapitel geht es u.a. um die Dramaturgie der Vielfalt, um Trans*Personen im Spannungsfeld von Lüge und Beichte, um die Ritualisierung der geschlechtsangleichenden Operation. Eine beeindruckende Dissertation. Ohne Abbildungen. Mehr zum Buch: trans-gender-im-film/

 

Drei Filme von Helmut Herbst

Man kann diese drei Filme durchaus als Trilogie sehen, in der aus kunsthistorischer Per-spektive der Zusammenprall von Politik und Ästhetik dargestellt wird. Helmut Herbst hat diese Verbindungen selbstverständ-lich erkannt und als Basis für die Konzeption der drei Filme genutzt. DEUTSCHLAND DADA (1969) ist ein einstündiger Essay, der in sehr spielerischer Form die Entstehung und Entwicklung des Dadaismus ab 1916 vor Augen führt. Vor allem der Beginn ist in der Montage eine Attacke auf unser Wahrnehmungsvermögen. In der Struktur wird ein lexikalisches Dada-Alphabet aufgeschlagen, beginnend mit dem Buchstaben Z: Zürich, Ort der Dada-Erfindung, gefolgt von W (für Wilhelminische Ära und Weltkrieg) und V (Cabaret Voltaire). Am Ende des Films sind wir beim Buchstaben A angekommen (Auktion dadaistischer Kunstwerke). Zu sehen sind historische Filmaufnahmen, dokumentierte Werke des Dadaismus und Interviews mit Zeitzeugen, die 1968 noch gelebt haben: beeindruckend Richard Huelsenbeck, der auf einer Wiese interviewt wurde, aber auch Raoul Hausmann und Hanna Höch. Das Bonusmaterial enthält die Gespräche mit Hausmann (111 min.) und Huelsenbeck (37 min.) als Audiodokument. JOHN HEARTFIELD, FOTOMONTEUR (1976) dokumentiert die künstlerische Arbeit des Malers und Grafikers und war damals Teil einer Würdigung, die durch eine Wanderausstellung und ein Buch ergänzt wurde. Helmut Herbst hat die Heartfield-Materialien durch spezielle Effekte „beweglich“ gemacht, vor allem die Beiträge für die legendäre Arbeiter Illustrierte Zeitung bekommen dadurch eine starke Wirkung. HAPPENING, KUNST, PROTEST 1968 (1981) wurde von Helmut Herbst für die Kölner Ausstellung „Westkunst“ realisiert und in gekürzter Form im WDR-Fernsehen gezeigt. Auch hier hat die Montage des Bildmaterials und der Interviews zu einer eigenen Form geführt, die über das Dokumentarische weit hinausgeht. Zum Bonus-Material gehören Gespräche mit Joseph Beuys, Bazon Brock, Allan Kaprow, Wolf Vostell und Al Hansen (audio). Das informative Booklet enthält den sehr lesenswerten Essay von Daniel Kothenschulte „Bewahren und Dekonstruieren“. Mehr zur DVD: Kunst–Protest-1968.html

Strawalde – Jürgen Böttcher

Dem Zeichner, Maler und Filmemacher Jürgen Bött-cher/Strawalde ist zurzeit eine Ausstellung in der Städtischen Galerie Dresden gewidmet. Der Katalog, herausgegeben im Sandstein Verlag von Gisbert Porst-mann und Carolin Quer-mann, erschließt die Vielfalt eines künstlerischen Werkes, das eine intensive Verbin-dung zwischen Film und Bildender Kunst speziell in der DDR-Zeit hergestellt hat. Texte von Matthias Flügge („Essenzen von tausend Dingen“), Carolin Quermann („Bis an die Wurzeln zurück“) und Marc Bauder („Im Moment des Augenblicks“) würdigen Böttchers/Strawaldes Arbeit. Abbildungen in sehr guter Qualität dokumentieren auf 110 Seiten die Bereiche Zeichnung, Malerei, Übermalung und Film. Grußworte von Lothar Böhme, Achim Freyer, Hubertus Giebe, Peter Graf, Peter Herrmann Ricarda Horn, Mark Lammert, Helge Leiberg, Peter Makulies, Oskar Manigk, Harald Metzkes, Michael Morgner, Marion Rasche, Christine Schlegel, Cornelia Schleime, Günter „Baby“ Sommer, Fritz Straubinger und Manfred Zoller erinnern an persönliche Begegnungen. Eine Biografie datiert die wichtigsten Lebensstationen. Der Anhang enthält eine Auflistung der Einzelausstellungen, eine Auswahl-Bibliografie und eine Titelliste der Filme. Ich schätze das Werk von Jürgen Böttcher sehr und bin von dem Katalog beeindruckt. Mehr zum Buch: Strawalde