MORITURI (1965)

Eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg. Britische Geheimdienstler erpressen den deutschen Pazifisten Robert Crain, der in Indien lebt, als SS-Offizier an Bord eines Frachters zu gehen, der Gummi von Japan nach Deutschland transportiert. Der Frachter ist mit explosivem Sprengstoff ausgestattet, falls die Alliierten ihn enttarnen. Der Kapitän steht auf Distanz zu den Nazis. Die Konflikte an Bord nehmen existentielle Formen an. Regie führte bei der amerikanischen Produktion Bernhard Wicki, seine Hauptdarsteller waren Marlon Brando (Robert Crain) und Yul Bynner (Kapitän Müller). In Nebenrollen sind Trevor Howard, Martin Benrath und Hans Christian Blech zu sehen. Hinter der Kamera stand Conrad L. Hall. Die formalen Qualitäten des Schwarzweiß-Films sind außerordentlich, die Darsteller herausragend. Bei Koch Media ist jetzt eine Blu-ray des digitalisierten Films erschienen, die ich sehr empfehlen kann. Mehr zur Blu-ray: morituri_blu_ray/

GREEN BOOK (2018)

Ein Feel-Good-Movie, das in diesem Jahr drei Oscars ge-wonnen hat: als bester Film, für das beste Originaldrehbuch und den besten Nebendarsteller. Die Geschichte spielt Anfang der 60er Jahre und beginnt in New York: der Türsteher Tony „Lip“ Vallelonga wird arbeitslos, weil sein Club Copacabana renoviert werden muss. Er bewirbt sich bei dem afro-amerikanischen Pianisten Dr. Don Shirley als Chauffeur für eine zweimonatige Tournee durch die Südstaaten. Zwei sehr unterschiedliche Männer machen sich auf eine gemeinsame Reise. Tony hat als Reiselektüre das „Green Book“ dabei, das darüber informiert, welche Unterkünfte, Restaurants und Tankstellen im Süden schwarze Kunden akzeptieren. Zunehmend wird er zum Leibwächter von Don, der in verschiedenen Orten angegriffen wird. Zwischen den beiden Männern entsteht eine spürbare Freundschaft. Am Ende kehren sie nach vielen dramatischen Ereignissen zu Weihnachten nach New York zurück. Natürlich gibt es komische und emotional berührende Situationen. Die größte Stärke des Films sind die beiden Hauptdarsteller: Viggo Mortensen als Tony und Mahershala Ali als Don. Ihr Zusammenspiel ist grandios. Bei Entertainment One ist jetzt eine DVD des Films erschienen, die jedem zu empfehlen ist, der den Film noch nicht gesehen hat. Mehr zur DVD: home/EN/green-book/

Todesbegegnungen im Film

Eine Dissertation, die an der Freien Universität Berlin im Bereich Filmwissenschaft entstanden ist. Laura Räuber untersucht darin „Zuschauer-rezeption zwischen Zeichen und Körper“. Sie beschäftigt sich zunächst mit der Macht der Bilder, mit der „(Nicht-)Dar-stellbarkeit des Phänomens Tod“. Gedankenreich sind ihre Ausführungen zu Transi, Toten-tänzen und Zombies im Film, zum Tod als Skelett im Anima-tionsfilm. Sie fragt in einem langen Kapitel nach dem Reali-tätsbezug der Fotografie zum Tod und verweist in diesem Zusammenhang auf die Bildfolgen von Duane Michals. Beeindruckend sind ihre Entdeckungen der Todessymbole in den Filmen von Ingmar Bergman. Ihr Zwischenresümee trägt den Titel „Der Film ist ein Totentanz“. Der zweite Schwerpunkt sind „Erfah-rungspotentiale des gewaltsamen Todes“ mit drei Unterkapiteln: „Vom Bild zum Körper“, „Sadismus, Masochismus und Empathie im Film“ und „Tötungen im postklassischen und New Extremety Kino“. Die Filmanalysen (zum Beispiel von THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE, HOSTEL, CONAN THE BARBARIAN, RAMBO oder AMERICAN HISTORY X) wirken sehr konkret. Die Filmografie am Ende des Bandes nennt 89 Titel, 45 davon werden nur erwähnt und nicht ausführlich behandelt.  Mit Abbildungen in guter Qualität. Mehr zum Buch: 978-3-8376-4829-4 / Interessant ist zum Vergleich die Dissertation von Johannes Wende, mein Filmbuch des Monats Juni 2014: der-tod-im-spielfilm/. Sie kommt in der Bibliografie des neuen Buches nicht vor.

Ikonologie der „Volksgemeinschaft“

Eine Dissertation, die an der Freien Universität Berlin ent-standen ist. Antonia Schmid untersucht darin ‚Deutsche’ und das ‚Jüdische’ im Film der Berliner Republik aus den vergangenen 15 Jahren. Es sind insbesondere sieben Kinofilme (ANONYMA – EINE FRAU IN BERLIN von Max Färberböck, JUD SÜSS – FILM OHNE GEWISSEN von Oskar Roehler, LACONIA von Uwe Janson, NAPOLA – ELITE FÜR DEN FÜHRER von Dennis Gansel, UNTER BAUERN – RETTER IN DER NACHT von Ludi Boeken, DER UNTERGANG von Oliver Hirschbiegel, DER VORLESER von Stephen Daldry) und sieben Fernsehfilme (DRESDEN von Roland Suso Richter, DIE FLUCHT von Kai Wessel, DIE GUSTLOFF von Joseph Vielsmaier, KRUPP – EINE DEUTSCHE FAMILIE von Carlo Rola, NACHT ÜBER BERLIN von Friedemann Fromm, ROMMEL von Niki Stein, UNSERE MÜTTER, UNSERE VÄTER von Philipp Kadelbach), die von der Autorin ideologiekritisch analysiert werden. Welches Geschichtsbild vermitteln die genannten Filme? Wie wird „das Deutsche“ und „das Jüdische“ in den verschiedensten Motiven gezeigt? Auch slawophobe und antikommunistische Ideologeme werden zur Sprache gebracht. Die vermittelten Erkenntnisse wirken überzeugend und weisen auf viele Defizite hin. Mit zahlreichen kleinen Abbildungen in guter Qualität. Mehr zum Buch: volksgemeinschaft.html

Musik im frühen deutschen Stummfilm

Eine überarbeitete Fassung der Magisterarbeit von Carolin Beinroth, die an der Justus-Liebig-Universität Gießen entstanden ist. Die Autorin hat die zeitgenössische Rezeption der musikalischen Begleitung von Stummfilmen in ausgewähl-ten Fachzeitschriften der Jahre 1907 bis 1925 untersucht. Ihr Ausgangspunkt ist die Stumm-filmmusik in den USA, im dorti-gen Wanderkino, Vaudeville-Theater, im Nickelodeon mit den Ausprägungen der Ballyhoo Music, der Illustrated Songs und der musikalischen Begleitung der Filme. Ein kurzer historischer Exkurs gilt der Musik zu lebenden Bildern in Deutschland. Größeren Raum nimmt die Instrumentation im deutschen Stummfilmkino ein (mecha-nische Instrumente, Grammophon und Phonograph, Klavier und Harmonium, kleines Ensemble und Orchester, Orgel). Die Filmfach-presse hat die Bemühungen der Kinos um eine adäquate Stummfilm-musik intensiv unterstützt. Es gab für die Beteiligten Filmmusikwett-bewerbe und Fortbildungsangebote. Ein eigenes Kapitel ist dem Kampf der Musiker gegen den Tonfilm gewidmet. Der Text ist verständlich geschrieben und enthält viele detaillierte Informationen. Die Abbildungen zeigen vor allem Anzeigen aus der Fachpresse. Mehr zum Buch: product=39769

Kultivierungsforschung

Die Medien – und vor allem das Fernsehen – beeinflussen die Wahrnehmung der sozialen Realität durch die Rezipienten. Dabei verschwimmen die Unter-schiede zwischen fiktionalen und nichtfiktionalen Inhalten. Christine E. Meltzer untersucht in ihrem Buch die Geschichte der Kultivierungsforschung, die in den 1960er Jahren von George Gerbner und einem Forscherteam entwickelt wurde. Sie informiert über Entstehungs-geschichte, Forschungslogik und methodische Zugänge. Bei den empirischen Befunden geht es zunächst um die genrespezifische Kultivierung, dann um die Kultivierung von Moralvorstellungen, Geschlechtsrollen und politischen Einstellungen. Zu den intervenieren-den Variablen gehören die Eigenschaften der Rezipienten, die Eigenschaften der Fernsehbotschaft und die Interaktion dazwischen. Natürlich hat sich die Forschung im Zeitalter des Internets stark verändert. In einem letzten Kapitel kommentiert die Autorin die „Top Ten“ der Forschungsliteratur. In kleinen Kästen werden Begriffe geklärt, Akteure porträtiert, Modelle gezeigt und Verfahren geschildert. Der Text ist verständlich geschrieben und hat einen hohen Informationswert. Mehr zum Buch: product=36365

DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM (1975)

Thema des Films sind Rufmord und Hetzkampagnen. Katharina Blum verliebt sich auf einer Kar-nevalsfeier in den attraktiven, aber kriminell aktiven Ludwig Götten. Sie verbringen eine Nacht in Katharinas Wohnung, Götten verschwindet. Am Morgen wird Katharinas Wohnung von der Polizei gestürmt, weil Götten verdächtigt wird, einen Mord begangen zu haben. Katharina wird verhört, die ZEITUNG (gemeint ist natürlich BILD) berichtet, dass Götten der Täter sei und Katharina Mittäterin. Die Konflikte eskalieren. Der Film, den Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta nach der Erzählung von Heinrich Böll geschrieben und inszeniert haben, ist ein Zeitbild der BRD in den 70er Jahren. Seine größte Stärke sind die Darsteller*innen: Angela Winkler als Katharina Blum, Mario Adorf als Kommissar Beizmenne, Dieter Laser als Reporter Werner Tötges, Jürgen Prochnow als Ludwig Götten, in Nebenrollen Hannelore Hoger, Heinz Bennent, Rolf Becker. Hinter der Kamera stand Jost Vacano. Bei StudioCanal ist jetzt eine digital restaurierte Fassung des Films auf DVD erschienen. Zu den Extras gehören ein Booklet, Erinnerungen von Margarethe von Trotta, Volker Schlöndorff und Eberhard Junkersdorf und eine Episode aus DEUTSCHLAND IM HERBST. Mehr zur DVD: digital_remastered

EX LIBRIS (2017)

Der amerikanische Dokumen-tarist Frederick Wiseman ist inzwischen 89 Jahre alt. Sein jüngster Film, MONROVIA, INDIANA, war im vergangenen Jahr beim Hamburger Filmfest zu sehen. EX LIBRIS lief 2017 in Venedig, kam 2018 auch bei uns in die Kinos und ist jetzt als DVD bei good!movies/kool film distribution erschienen. Er dauert 197 Minuten, und man langweilt sich keinen Augen-blick. Wir werden in dem Film mit der komplexen Arbeit der „New York Public Library“ vertraut gemacht, einer der größten Bibliotheken der Welt, deren imposantes Hauptgebäude in der Fifth Avenue steht und deren 92 Zweigstellen sich über die Stadt verteilen. Die Aktivitäten der Institution sind vielfältig: Vorträge, Konzerte, Lesungen, Ausleihe von Büchern und Medien, Bildungsarbeit mit Kindern, Berufsberatung. All dies geschieht in einer privat-öffentlichen Partnerschaft, die – wie in den USA üblich – das Einwerben von Sponsorengeldern erfordert. Wir nehmen an Gremiensitzungen teil, beobachten Menschen bei der Arbeit, beim Nachdenken, bei Interaktionen. Wiseman verzichtet wie immer auf einen Off-Kommentar, erst im Nachspann sehen wir, dass es in der Tat Patti Smith und Elvis Costello waren, die im Haus ihre Auftritte hatten. Ein grandioser Film des von mir sehr verehrten Frederick Wiseman. Mehr zur DVD: ex-libris.html

Nicolas Winding Refn

Der dänische Autor, Regisseur und Produzent, Sohn eines Regisseurs und einer Kamera-frau, inzwischen 48 Jahre alt, hatte Erfolge und Misserfolge, seinen internationalen Durch-bruch erlebte er 2011 mit dem Neo-Noir-Drama DRIVE. Neun Beiträge erschließen im neuen Heft der Film-Konzepte sein bisheriges Werk. Jörg von Brincken äußert sich als Her-ausgeber in seinem Vorwort zum „filmischen Fetischismus“ von Nicolas Winding Refn. Jakob Larisch richtet seinen Blick auf Gewaltdarstellung und Exzess in den Filmen von NWR. Bei Sofia Glasl geht es um Farbe und Geschwin-digkeit („Monochrome Zeitlupe“), bei Ivo Ritzer um den Drive der Darstellung. Lucas Curstädt befasst sich mit dem bisher letzten Kinofilm, THE NEON DEMON (2016). Susanne Kappesser entdeckt „marginalisierte Männlichkeiten“ in PUSHER, PUSHER II, BRONSON und ONLY GOD FORGIVES. Lioba Schlösser reflektiert über NWRs subversiv queere Körperkonzepte. Marcel Schellong denkt über NWRs Meditationen über die Erfahrung von Kontingenz und Kontingenz-bewältigung nach. Marcus Stiglegger äußert sich zu den mythischen Strukturen in den Filmen von NWR. Die Texte haben ein hohes theoretisches Niveau. Mit Abbildungen und Biografie. Coverfoto: THE NEON DEMON. Nr. 54 der Film-Konzepte. Mehr zum Heft: ISBN=9783869168050#.XRuMR-n-BW8 

Klassiker des ungarischen Films

Band 3 der „Klassiker des ost-europäischen Films“. 25 unga-rische Filme werden vorgestellt, beginnend mit TIEFLAND (1920) von Béla Balogh, endend mit SAULS SOHN (2015) von László Nemes. Auf jeweils acht bis neun Seiten werden zu jedem Film die Handlung skizziert, gesellschaftliche, politische, filmhistorische oder andere wichtige Hintergründe ver-mittelt. Die Autorinnen und Autoren stammen vorwiegend aus Ungarn. Die Texte sind in der Regel konkret formuliert, informativ und machen Lust auf die Besichtigung der Filme. Nur die Hälfte der Filme ist mir bekannt, ich habe sie zum Teil vor langer Zeit gesehen. Dazu gehören u.a. IRGENDWO IN EUROPA (1947) von Géza Radványi, KARUSSELL (1955) von Zoltán Fábri, VATER (1966) von István Szábo, LIEBE (1970) von Károly Makk, AMERIKANISCHE ANSICHTEN (1975) von Gábor Bódy, TAGEBUCH FÜR MEINE KINDER (1982) von Márta Mészáros, MEIN 20. JAHRHUNDERT (1988) von Ildikó Enyedi und SATANSTANGO (1994) von Béla Tarr. Auch wenn ich politisch zurzeit zu Ungarn eine größere Distanz habe – die Filmkultur dieses Landes ist davon nicht betroffen, und ich fand es wunderbar, dass Ildikó Enyedi für ihren Film KÖRPER UND SEELE 2017 mit dem „Goldenen Bären“ ausgezeichnet wurde. – Keine Abbildungen. Coverfoto: GESUNDE EROTIK (1985) von Péter Timár. Mehr zum Buch: klassiker-des-ungarischen-films.html