Filme von Eduard Schreiber

Er gehört – im Gegensatz zu Jürgen Böttcher, Thomas Heise, Winfried und Barbara Junge oder Volker Koepp – zu den eher weniger bekannten Doku-mentaristen der DEFA. Eduard Schreiber (*1939) hat in Leipzig Literaturwissenschaft studiert und kam als Autodidakt zur DEFA. Er ist kein Beobachter, sondern Essayist. Er interessiert sich vor allem für künstlerische und soziale Themen. Sieben Filme von Eduard Schreiber, alle fürs Kino produziert, kann man auf einer DVD sehen, die jetzt von Absolut Medien ediert wurde. ABHÄNGIG (1983) konfrontiert uns mit Alkoholsüchtigen auf der Neptun Werft, die psychisch und medizinisch behandelt werden. Ein Berater ist die zentrale Figur des Films (23 min.) In RADNÓTI (1984) begleiten wir den ungarischen Dichter auf dem Weg zu seiner Ermordung nahe der österreichischen Grenze 1944 (16 min.). WISSEN SIE NICHT, WO HERR KISCH IST? (1985) dokumentiert die Suche nach den Orten, an denen der Reporter Egon Erwin Kisch in Prag gelebt und gearbeitet hat (20 min.). Abendfüllend ist der Film THE TIME IS NOW (1987). Fünf Porträts sind hier auf interessante Weise miteinander verbunden. Wir erfahren viel über das Leben einer Übersetzerin, eines Toxikologen, eines evangelischen Pfarrers, eines Generalmajors der NVA und eines von seiner Arbeit besessenen Steinmetzes. RÜCKFÄLLIG (1988) thematisiert noch einmal den Alkoholismus in der DDR. Wir erleben vier Abhängige in ihrer Sucht (32 min.). SPUREN (1989) dokumentiert den Abriss der Reste der ehemaligen Reichskanzlei, verbindet historisches Schwarzweiß-Filmmaterial mit aktuellen Farbaufnahmen und verknüpft so Vergangenheit und Gegenwart (21 min.). ÖSTLICHE LANDSCHAFT (1991) zeigt historische Reliquien aus der sozialistischen Vergangenheit auf einer Müllkippe (13 min.). Man kann das als Beitrag zum 30jährigen Jubiläum des Mauerfalls sehen. Mehr zur DVD: +Essayfilmer+der+DEFA

Barbara Klemm

Sie ist eine der großen Fotografinnen der Bundesrepublik. Im Dezember feiert sie ihren 80. Geburtstag. 35 Jahre lang war sie festange-stellt bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Augenzeugin vieler politischer Ereignisse. 212 Bilder vor allem aus der deutschen Geschich-te sind in diesem wunderbaren Band von Schirmer/Mosel in sehr guter Qualität dokumen-tiert. Der Mauerfall ist beeindruckend präsent. Aber Barbara Klemm ist auch viel gereist, es gibt Aufnahmen aus Frankreich, Italien, Spanien, England und Polen, Israel, dem Iran, den USA, Nicaragua, Peru und Südafrika, Indien und Vietnam. Politische Ereignisse und Alltag der Menschen stehen sich gegenüber. Am Ende gibt es Blicke in Museums-räume mit Besuchern und Installationen. Die Auswahl der Fotos hat Barbara Klemm selbst getroffen. Ein Vorwort stammt von Norbert Lammert, ein würdigender Essay von der Kunstkritikerin Barbara Catoir („Der Augenblick, die zehnte Muse“). Auch die FAZ feierte vor sechs Tagen Geburtstag: ihren 70. Das Coverfoto stammt von der Frankfurter Buchmesse 2002. Mehr zum Buch: products_id=940

PHOENIX

Mit drei kleinen, aber sehr interessanten Bänden eröffnet Camden House seine neue Buchreihe „German Film Classics“. Vor allem das Buch PHOENIX von Brad Prager hat mich sehr beeindruckt. Der Autor begibt sich darin auf eine Spurensuche nach filmischen Einflüssen auf den Regisseur Christian Petzold und seinen Co-Autor Harun Farocki. Dies waren einerseits Film Noirs wie THE PHANTOM LADY, THE KILLERS und THE DARK MIRROR von Robert Siodmak, aber auch deutsche Filme wie HEIMKEHR von Joe May, DIE MÖRDER SIND UNTER UNS von Wolfgang Staudte oder ZWISCHEN GESTERN UND MORGEN von Harald Braun. Es gibt Verweise auf Hitchcock (VERTIGO), Fassbinder (DIE EHE DER MARIA BRAUN) und Fred Zinnemann (THE SEARCH). Brad Pragers Spurensuche liest sich sehr spannend und erweitert die Wahrnehmung des Films von Christian Petzold. Die beiden anderen Bänden sind den Filmen FITZCARRALDO von Werner Herzog (Autor: Lutz Koepnick) und DER HIMMEL ÜBER BERLIN von Wim Wenders (Autor: Christian Rogowski) gewidmet. Mehr zum Buch: phoenix-i-pb.html

Jüdischer Widerstand im US-amerikanischen Kino

Eine Dissertation, die an der Technischen Universität Berlin entstanden ist. Mohammad A. S. Sarhangi ermittelt darin den Nutzen der Filmfiktion für die Geschichtswissenschaft. Sein Ausgangspunkt sind die Serie HOLOCAUST (1978) von Marvin J. Chomsky und SCHINDLER’S LIST (1993) von Steven Spielberg. Drei Filme stehen im Zentrum: UPRISING (2001) von Jon Avnet, THE GREY ZONE (2001) von Tim Blake Nelson und DEFIANCE (2008) von Edward Zwick. Die Analysen sind präzise und konfrontieren die faktischen historischen Geschehnisse mit den fiktionalen Gestaltungen. In der Schlussbetrachtung wird Quentin Tarantinos INGLOURIOUS BASTARDS ins Spiel gebracht, der historische Realitäten total ignoriert. Das unterscheidet ihn von den drei genannten Filmen. Die Lektüre ist gewinnbringend. Keine Abbildungen. Mehr zum Buch: https://www.degruyter.com/view/product/503748

Ohrfeigen im Film

Im neuen Heft der Schweizer Zeitschrift Filmbulletin gibt es einen schönen Text von Gerhard Midding zum Thema Ohrfeigen im Film: „Mit offener Hand“. Der beginnt so: „Verabreicht wird sie aus den unterschied-lichsten Gründen, viel wichtiger ist aber, was auf sie folgt. Die Ohrfeige ist ein selten thema-tisiertes, aber faszinierendes Objekt des Kinos – weil sie, dramatur-gisch betrachtet, einen unwiderstehlichen Ansporn darstellt und gleichzeitig an unseren Vorstellungen von Sittlichkeit rührt. Und sie ermöglicht einen originellen Zugang zur Filmgeschichte, denn es wurde immer wieder ganz unterschiedlich geohrfeigt.“ Die Internet Movie Database (IMDb) verzeichnet unter dem Schlagwort rund 4.500 Titel. Midding erinnert an rund fünfzig Titel, die man auch schnell konkretisieren kann. Eine Dissertation zu diesem Thema gibt es noch nicht. Wer schreibt das erste Buch darüber? Das Coverfoto stammt aus dem Film LE NUIT AMERICAINE von François Truffaut. Mehr zur Zeitschrift: zeitschrift/2019-7/

TREFFPUNKT HONGKONG (1955)

SOLDIER OF FORTUNE heißt der Film von Edward Dmytryk im Original. Er erzählt die Geschichte einer Gefangenenbe-freiung aus einem chinesischen Gefängnis. Hauptfigur ist der Abenteurer Hank Lee (Clark Gable), der von einer chinesi-schen Dschunke aus agiert und für Jane Hoyt (Susan Hayward), die Ehefrau des inhaftierten Fotoreporters Louis Hoyt (Gene Berry), die Befreiung arrangiert. Ein Inspektor der Polizei von Hongkong spielt dabei eine vermittelnde Rolle, ein chinesisches Kanonenboot kann abgewehrt werden. Am Ende verzichtet der Fotoreporter auf seine Frau, die inzwischen mit Hank Lee in Liebe verbunden ist. Beeindruckende CinemaScope-Bilder aus dem Fernen Osten, hervorragend montiert von Dorothy Spencer, die ich vor 40 Jahren in Kalifornien interviewt habe. Sie war Cutterin u.a. für Ernst Lubitsch, John Ford, Henry Hathaway und Elia Kazan. Der Blick zurück ins historische Hongkong der fünfziger Jahre ist angesichts der heutigen Situation der Stadt sehr aufschlussreich. Bei Koch Films ist jetzt eine Blu-ray des Films erschienen, die ich sehr empfehlen kann. Mehr zur Blu-ray: soldier_of_fortune_blu_ray/

CHRISTO – WALKING ON WATER (2018)

Die Verhüllung des Reichstags vor 25 Jahren ist mir noch in guter Erinnerung, sie hat uns sehr beeindruckt. Inzwischen ist Jean-Claude, die Partnerin von Christo, gestorben, und er muss seine Installationen allein planen. Die letzte, spektakuläre fand im Sommer 2016 in Nord-italien statt. Der kleine Ort Sulzano wurde durch goldoran-gene Stege mit zwei vorgela-gerten Inseln verbunden. 16 Tage lang konnten mehr als eine Million Menschen – wie einstmals Christus – über das Wasser laufen und auf drei Kilometern spezielle Gefühle haben. Das Projekt wurde von dem bulgarischen Regisseur Andrey Paounov filmisch begleitet. Wir sind Zeugen einer Chronik der Ereignisse, beginnend bei der Planung in Christos New Yorker Atelier. Ganz am Ende sehen wir das Werk aus der Vogelperspektive. Bei der Realisierung gibt es dramatische Momente, wenn ein Sturm die ausgepackten Stoffbahnen in den See zu spülen droht oder die Zahl der angereisten Besucher die Kapazitäten übersteigt. Christo ist in dann kaum zu halten, und man merkt ihm sein Alter von damals 81 Jahren nicht an. Wichtig ist sein Projektmanager Vladimir Yavachev, der organisatorisch eine Schlüsselrolle hat. Bei Alamode ist jetzt eine DVD des Films erschienen, die unbedingt zu empfehlen ist. Mehr zur DVD: christo-walking-on-water.html

Die Söhne der großen Bärin & Co.

Parallel zu den westdeutschen Karl May-Filmen wurden in der DDR Indianerfilme gedreht, die sich zu einem eigenen Genre entwickelten. Sie erzählten historische Konflikte in den USA aus der Sicht der Indianer. Zwischen 1966 und 1985 entstanden rund zwanzig Titel, die sehr erfolgreich waren. Kein Wunder, dass das Lexikon der DDR-Indianerfilme von Stefan Wogawa, erstmals publiziert im Winter 2018, jetzt schon in einer fünften Auflage vorliegt. Ausführlich werden die entsprechenden Filme auf vier bis sechs Seiten dargestellt. Es gibt Informationen zu den verschiedenen Indianerstämmen, zu Darstellerinnen und Darstellern, historischen Figuren und Ereignissen, zu den Drehbuchautoren und Regisseuren der Filme. Die erfolgreichsten Indianerfilme waren DIE SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN (1966) von Josef Mach mit rund 9,4 Millionen Besuchern, SPUR DES FALKEN (1968) von Gottfried Kolditz (5,1 Mio), CHINGACHGOOK, DIE GROSSE SCHLANGE (1967) von Richard Groschopp (5 Mio), WEISSE WÖLFE (1969) von Konrad Petzold (4,6 Mio), APACHEN (1973) von Gottfried Kolditz (3,75 Mio), OSCEOLA (1971) von Konrad Petzold (3,5 Mio) und TECUMSEH (1972) von Hans Kratzert (3,1 Mio). Auch für die Fans von Karl-May-Filmen ist das Buch interessant. Mit vielen Abbildungen in guter Qualität. Cover: Gojko Mitic auf der Titelseite von „Zeit im Bild“ (1965). Mehr zum Buch: ultimatives-nachschlagewerk/

Kunst und Medien

Peter Weibel (*1944) ist Künstler und Theoretiker im Bereich der Medienkunst. Er ist international aktiv mit Zentren in Österreich und Deutschland. Seit 1999 leitet er das ZKM in Karlsruhe, seit 2017 ist er Direktor des Peter Weibel Forschungsinstituts für digitale Kulturen an der Universität für angewandte Kunst Wien. Im Verlag Hatje Cantz publiziert er die Reihe „Enzyklopädie der Medien“. Erschienen sind bisher Bände über „Architektur und Medien“ (architektur-und-medien/) und „Musik und Medien“ (musik-und-medien/). Jetzt gibt es als Band 3 724 Seiten über „Kunst und Medien“. 59 Texte sind hier versammelt, mit vielen Abbildungen in guter Qualität. 24 x geht es um das Thema Film. Ich nenne zwölf Beiträge, die mir besonders gut gefallen haben: „Die wunderbare Welt des Mr. Terence Young“, „Der Western als Realisationsprozess einer Ethik“, „Plädoyer für den Marxismus – Die Tradition der Groteske“ (über die Marx-Brothers), „Der weibliche Westerner“ (Porträt des Hollywoodstars Mae West), „Chrom und Colour“ (Alfred Hitchcock – ein Porträt in Panels), „Pasolinis Pansemiologie oder die Wirklichkeit als Code“, „Eisensteins und Vertows Beiträge zu einer Artikulation der Filmsprache“, „Blast of Freedom oder Hallelujah the New American Film“, „Andy Warhols HARLOT“, „Der Wiener Formalfilm“, „Expanded Cinema“, „Videotechnik und Filmästhetik“ (Anmerkungen zur Zukunftstheorie). Mit einem Vorwort von Gerald Bast (Rektor der Universität für angewandte Kunst Wien) und Christiane Riedel (Geschäftsführender Vorstand des ZKM Karlsruhe). Mehr zum Buch: 6229-0.html

Cosmopolitan Cinema

Kosmopolitismus ist eine Haltung zur Welt. Matthias Christen und Kathrin Rothe-mund arbeiten an der Univer-sität Bayreuth an einem For-schungsprojekt zum kosmopoli-tischen Kino. Der von ihnen herausgegebene Band doku-mentiert Beiträge einer internationalen Konferenz, die 2014 stattgefunden hat. Acht Texte haben mich besonders beeindruckt. Christen und Rothemund befassen sich mit Kunst und Politik in der Zweiten Moderne in Verbindung mit Leitbegriffen wie Imagination, Raum, Bewegung, Zugehörigkeit, Narration und Utopie. Oliver Fahle richtet seinen Blick auf die epistemische Moderne und bringt sie in einen Zusammenhang mit dem Film LIFE IN A DAY von Kevin MacDonald und Loressa Clisby. Jacques de Villiers entdeckt den Kosmopolitismus im Film COLOSSAL YOUTH des portugiesischen Regisseurs Pedro Costa. Bei Alena Strohmayer geht es um den iranischen Diasporafilm. Simon Frisch sieht in Wong Kar-Wais Film IN THE MOOD FOR LOVE eine Verbindung zwischen westlicher und ostasiatischer Ästhetik. Christoph Büttner beschäftigt sich mit Räumen und Imaginationen prä-moderner Zukunftsentwürfe im deutschen Gegenwartskino und konfrontiert sie mit dem Begriff Heimat. Janine Wahrendorf untersucht die Figur der kosmopolitischen Terrorist*in in den Filmen CARLOS von Olivier Assayas und DER BAADER MEINHOF KOMPLEX von Uli Edel. Ivo Ritzer sieht den Film ZULU von Jérome Salle aus Kapstadt als Beispiel für die Migration von Genres in einem transkulturellen Kontext. Alle Texte bewegen sich theoretisch auf einem hohen Niveau. Band 61 der Marburger Schriften zur Medienforschung, publiziert vom Schüren Verlag. Mit Abbildungen in sehr guter Qualität. Mehr zum Buch: cosmopolitan-cinema-msm-61.html