29. Oktober 2015
Filmskandale in der Weimarer Republik
Eine Dissertation, die an der Universität Gießen entstanden ist. Kai Nowak (*1977) geht mit wissenschaftlicher Genauigkeit und Gründlichkeit an sein Thema heran. 481 Textseiten, 31 Seiten Forschungsliteratur, 2.114 Quellenverweise, Aufenthalte u.a. im Bayerischen Haupt-staatsarchiv, im Bundesarchiv, im Deutschen Filminstitut, im Geheimen Staats-archiv Preußischer Kulturbesitz, im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, im Landes-archiv Berlin, im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes. Für alle Feststellungen gibt es Belege. Das macht die Lektüre etwas mühsam. Andererseits sind Nowaks Darstellungen ausgewählter Filme bildhaft und anschaulich, sie verstecken sich nicht hinter Formulierungen aus zweiter Hand; er hat die Filme, die hier verhandelt werden, gesehen. Es gibt vier Hauptkapitel: I. Verbrechen, Gewalt und Tod. II. Sexualität und Geschlechterordnung. III. In den Schützengräben der Nachkriegszeit: Die Skandalisierung von Weltkriegsfilmen als Mittel der Erinnerungspolitik. IV. Die Politik des Filmskandals: Politisch-weltanschauliche Konflikte. Zunächst wird der „Skandal“-Begriff geklärt, und der Autor Paul Werner, der dies bei seinem Buch „Die Skandalchronik des deutschen Films von 1900 bis 1945“ (1990) versäumt hat, wird entsprechend abgemahnt. Für eine wissenschaftliche Arbeit ist eine solche Definition natürlich unabdingbar. Zu den Filmen, die in diesem Buch ausführlicher behandelt werden gehören: AFRIKA SPRICHT! (1930) von Paul L. Hoefler mit authentischen Todesszenen, ANDERS ALS DIE ANDERN (1919) von Richard Oswald mit dem Thema Homosexualität, WEGE ZU KRAFT UND SCHÖNHEIT (1925) von Wilhelm Prager mit der Darstellung von Nacktheit, FRAUENNOT – FRAUENGLÜCK (1929/30) von Eduard Tissé mit dokumentarischen Aufnahmen eines Geburt und eines Kaiserschnitts, ALL QUIET ON THE WESTERN FRONT (1930) von Lewis Milestone, dessen Blick auf den Ersten Weltkrieg von den Nazis abgelehnt wurde, der vierteilige FRIDERICUS REX (1922/23) von Arzén von Cserépy mit seiner Glorifizierung der Monarchie und PANZERKREUZER POTEMKIN (1925) von Sergej Eisenstein, der als bolschewistische Propaganda denunziert wurde. Beeindruckend an Nowaks Buch ist die sorgfältige Auswertung der zeitgenössischen Filmkritik. Über 4000 Zeitungsartikel wurden dafür herangezogen, in denen natürlich das Pro und Contra zu den Skandalfilmen lebhaft hin- und herwogte. Insgesamt: ein großes Kompliment für diese Arbeit! Mehr zum Buch: projektionen-der-moral.html