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01. Dezember 2014

Botho Strauß

2014.HerkunftEs gibt im neuen Buch von Botho Strauß, „Herkunft“, erschienen im September im Hanser Verlag, eine längere Passage über das (west) deutsche Fernsehprogramm der späten 1950er und frühen 60er Jahre, die mich besonders bewegt hat, weil sie mit eigenen Erinne-rungen korrespondiert. Ich zitiere sie, um für das beeindruckende Buch zu werben, und kann ein paar offene Fragen beantworten:

„Es könnte mich in einem Fieber-traum noch plagen, aufschreien lassen, daß ich die Namen nicht mehr weiß von diesem oder jenem wunderbaren Schauspieler, der im ‚Deutschen Fernsehen’ zwischen 1959 und 1963 auftrat, als es nur ein Programm gab. Jene wackeren Idole, die mich über die Grenze führten der nüchternen Zeit und mir den Weg zum Theater wiesen. Schauspie-ler! Wer sonst. Wie hieß der schwarze Sänger, der ‚Kaiser Jones’ O’Neills? Oft genug in Ems beim ‚Bunten Abend’ zu Gast. ‚Drei Münzen im Brunnen’ als Zugabe. Schöner Schwarzer, Schlagersänger, gravitä-tische Erscheinung… Kenneth -? Wer hilft mir? … Ernst Fritz Fürbrin-ger als Wallenstein. Regie: Kurt Wilhelm? Wer weiß. Elfriede Kuzmany, unzählige Male. Aber auch als ‚Die Irre von Chaillot’? Ungewiß. Oder war es Hermine Körner noch? Bestimmt sie als Hekuba in Matthias Brauns ‚Perser’-Bearbeitung. Anfang der Sechziger jeden Donnerstag Theater im Fernsehen. Keine Aufzeichnungen, sondern ‚fernseh-gerecht’ inszeniert die Stücke der Klassik und der Moderne. Unvergeß-lich Hartmut Reck als ‚Raskolnikoff’. Ich vermute, die Bearbeitung von Leopold Ahlsen. Horst… Nachname! … der Blonde mit den starken Grübchen im Kinn als Jimmy (?) in ‚Blick zurück im Zorn’. Horst F r a n k !!! … Walter Richter in ‚Biedermann und die Brand-stifter’. Benno Sterzenbach so gut wie immer dabei. Ernst Deutsch einmal in ‚Vor Sonnenuntergang’. Tourneetheateraufzeichnung. Kein Mal Minetti. Gehörte nicht zu den Größen. Wohl Quadflieg. Noeltes einzigartiger ‚Kammersänger’. Aber auch kein Fernsehstar. Stattdessen eine ganze Riege anderer Gründgens-Schauspieler, der mit der ständig schweißi-gen Oberlippe und mit immer belegter, etwas buttriger Stimme … Max … hmhmhm. ‚Egmont’ zum Beispiel. Ganzer Name weg. E c k h a r d! Spielte im damaligen TV-Theater fast alles Klassische. Etwas linkisch. In Gründgens’ ‚Faust’ Gretchens Bruder … Gründgens selber nie. Schomberg nicht. Man versuchte den fernsehgeeignetsten Mann aus der zweiten Reihe aufzubauen. Julius Hay ‚Das Pferd’, Original-übertragung von den Salzburger Festspielen 196-? Aber mit wem? Heinz Reinke in ‚The Moon for the Misbigotten’, herrlicher Titel, sprach ihn wochenlang vor mich hin. Karl Wittlinger natürlich. ‚Kennen Sie die Milchstraße?“. Martin Walser ‚Eiche und Angora’ mit Horst Bollmann. Niemals Tschechow gesehen, war nicht Tschechows Zeit, wurde erst Mitte der Sechziger wiederentdeckt, an Horváth im Spielplan war noch nicht zu denken. Aber Brechts ‚Galilei’ mit Ernst Schröder. ‚Besuch der alten Dame’ mit der Flickenschildt und Horst Mahnke. ‚Der Richter und sein Henker’ (Favorit meines Vaters!) auch mit Hans Mahnke … oder irre ich? Tankred Dorst ‚Die Kurve’, vergessen mit wem. Angeblich Kinski. Black-out. Später Hansgeorg Laubenthal in ‚Helm’ von Hans Günther Michelsen. Schrieb säuberlich Bericht über alles, was ich sah. ‚He Joe’ von Beckett gründlich analysiert … Ha! Großartig und über allen: Karl Paryla, ‚Der Mann mit der Blume im Mund’, Pirandello-Einakter, Lieblingsstück meines Vaters. Das Ephitheliom (Tumor) als Name für die schönste Blume amüsierte ihn. Paryla auch in diesen leichten italienischen Komödien, die Ettore Cella inszenierte … oder auch geschrieben hatte? Oder von einem gewissen Enzio Soundso … jedenfalls eine gute Prise de Filippo war dabei. Hannes Messemer in ‚…’, ach, unzählige Male. Ernst Stankowski, als man Schnitzler wiederentdeckte, oder Karl Schönböck, Komtesse Mizzi. Liebes-geschichte hieß für mich: irgendetwas zwischen Christoph Banzer und Margot Trooger. Vielleicht ‚O Wildnis’, wiederum O’Neill, wie über-haupt das Gesamtwerk des Meisters gezeigt zu haben ein unschätzbares Verdienst der Dramaturgen des ‚Deutschen Fernsehens’ war.“ (S. 63-65)

Hier sind kleine, von Botho Strauß erbetene Ergänzungen oder Kor-rekturen, denn viele Namen und Titel sind mir in Erinnerung oder in meinen Kalendern notiert: Der schwarze Kaiser Jones war Kenneth Spencer. Den zweiteiligen ‚Wallenstein’ 1962 hat Franz Peter Wirth inszeniert, neben Ernst Fritz Fürbringer (Octavio), Karl-Michael Vogler (Max), Wolfgang Kieling (Terzky) und Hans Caninenberg (Questen-berg) spielte Wilhelm Borchert als Wallenstein die Titelrolle. Die fragile Elfriede Kuzmany, die ich oft im Münchner Residenztheater gesehen habe, war gelegentlich im Fernsehen zu sehen. Aber ‚Die Irre von Caillot’ wurde noch von Hermine Körner verkörpert, 1959 inszeniert von Harry Buckwitz. Ich habe mir notiert, dass die Erstsendung, die als Live-Übertragung geplant war, wegen Erkrankung verschoben werden musste und zwei Monate später, im Februar 1960, als Filmaufzeich-nung gesendet wurde. Ein eindrucksvoller Fernsehabend! Ich erinnere mich auch an Hermine Körner in den ‚Troerinnen des Euripides’ von Mattias Braun, inszeniert von Paul Verhoeven im Januar 1959. Die Bearbeitung des ‚Raskolnikoff’ stammte in der Tat von Leopold Ahlsen, neben Hartmut Reck spielten Paul Verhoeven, Solveig Thomas und Ernst Fritz Fürbringer größere Rollen. Regie führte Franz Peter Wirth. Die Übertragung von Hays ‚Das Pferd’ aus Salzburg fand 1964 statt, inszeniert hatte Boy Gobert, die Hauptrollen spielten Klausjürgen Wussow, Karl Schönböck und Hannelore Schroth. „The Moon for the Misbigotten“ hört sich wirklich noch schöner an als ‚Ein Mond für die Beladenen’. Ja, Hans Mahnke spielte 1959 Alfred III im ‚Besuch der alten Dame’, Regie führte Ludwig Cremer, aber in ‚Der Richter und sein Henker’ (1957) waren die Hauptdarsteller Karl-Georg Saebisch und Robert Meyn. Die Hauptrollen in Tankred Dorsts ‚Die Kurve’ (1961) spielten Gernot Duda, Helmut Qualtinger und, ja, Klaus Kinski unter der Regie von Peter Palitzsch. Ettore Cella war mehr Schauspieler als Regisseur, aber kein Autor. Zu Enzio ‚Soundso’ fällt mir nichts ein. Hannes Messemer spielte in vielen Kinofilmen jener Jahre mit, aber nur in wenigen Fernsehfilmen, zum Beispiel als Amphitryon in ‚Amphitryon 38’ von Jean Giraudoux in der Regie von Dieter Haugk. Eine Tschechow-Inszenierung aus dem Jahr 1959 ist mir in Erinne-rung: ‚Der Kirschgarten’ mit Inge Birkmann, Katrin Ackermann, Walter Rilla und Bruno Hübner, Regie: Heinz Hilpert, und die Aufführung eines Stücks von Ödon von Horváth: ‚Kasimir und Karoline’ mit Bert Fortell und Ruth Drexel, inszeniert von Michael Kehlmann. Ich nenne noch einige große Schauspielerinnen aus Fernsehauf-führungen in den späten 1950er Jahren, die mich damals sehr beeindruckt haben: Agnes Fink, Brigitte Grothum, Ruth Hausmeister, Luitgard Im, Eva Maria Meineke, Lola Müthel, Edith Schultze-Westrum, Gisela Trowe, Antje Weisgerber; nicht zu vergessen meine damalige Lieblingsschauspielerin: Gertrud Kückelmann, die im Fernsehen so präsent war wie im Kino und auf der Bühne der Münchner Kammerspiele; und die Schauspieler Paul Dahlke, Hans Helmut Dickow (er gefiel mir schon deshalb, weil wir den gleichen Vornamen haben), Rolf Henniger, Helmut Lohner, Hanns Lothar, Hans-Hermann Schaufuß. Und auch die Regisseure jener Jahre sind unvergessen, zum Beispiel Peter Beauvais, Rainer Erler, Rolf Hädrich, Eberhard Itzenplitz, Michael Kehlmann, Theo Mezger, Imo Moszko-wicz, Otto Schenk, Wilhelm Semmelroth, Fritz Umgelter, Franz Josef Wild, Kurt Wilhelm, Rainer Wolffhardt. Ich finde die Erinnerungs-arbeit von Botho Strauß sehr inspirierend. Morgen wird er 70 Jahre alt. Dazu gratuliere ich herzlich.