Texte & Reden
05. September 2014

Mein Kamerad – Die Diva

Grußwort für eine Publikation im Verlag edition text + kritik

Wenn nach hundert Jahren an den Beginn des Ersten Weltkriegs, an seinen traumatisierenden Verlauf und die Niederlage der Kriegsverursacher an seinem Ende erinnert wird, dann gibt es dafür ganz unterschiedliche Formen: Bücher, in denen historisch-wissenschaftlich oder fiktional die Zeit rekonstruiert wird, Filme, die mit dokumentarischem Material arbeiten oder fiktive Geschichten erzählen, zeitgenössische Fotografien, die retrospektiv präsentiert werden, Theateraufführungen von Stücken aus der oder über die Zeit. Und es gibt Ausstellungen mit Kunstwerken oder mit Dokumenten. Je konkreter wir an diesen Ersten Weltkrieg erinnert werden, desto genauer können wir uns eine Vorstellung von seiner Realität machen.

Auf den ersten Blick erscheint das Projekt „Mein Kamerad – die Diva“ über das Theater an der Front und in den Gefangenenlagern des Ersten Weltkriegs sehr speziell. Es erhält seine Bedeutung durch die existentielle Frage: Wie konnten die Soldaten und die Gefangenen zeitweise der Kriegssituation entfliehen und welche Funktion hatte dabei das Theaterspiel inklusive der Auftritte der Damendarsteller? Denn auf den Bühnen wurde, möglichst professionell, das traditionelle Repertoire inszeniert, Komödien wie Tragödien. Eine wichtige Rolle spielte dabei das Cross-Dressing, denn die Frauendarstellung durch Männer sollte ja durchaus nicht nur komisch sein.

Mit dem Theater im Krieg sind auch einige später sehr bekannt gewordene Künstler verbunden. Georg Wilhelm Pabst (1885-1967) war als Schauspieler 1902 nach Amerika ausgewandert, wollte 1914 nach Deutschland zurückkehren, wurde gefangen genommen und vier Jahre auf der Ile Longue in der Bretagne interniert. Er war dort an der Gründung eines Theaters beteiligt und führte in der Regel auch Regie. Später avancierte Pabst zu einem der großen Filmregisseure der „Neuen Sachlichkeit“ und drehte unter anderem den Film WESTFRONT 1918 (1930).

Erwin Piscator (1893-1966), ausgebildeter Schauspieler, wurde mit 21 Jahren als Infanterist eingezogen, beteiligte sich sehr engagiert an einem Fronttheater, war vor allem als Regisseur tätig, spielte aber auch – widerwillig – Frauenrollen. Er wurde nach Kriegsende als überzeugter Pazifist einer der großen Theatererneuerer der Weimarer Republik und ging 1933 ins Exil.

Weiß Ferdl (1883-1949), ein bayerischer Volkssänger, wurde zum populären Protagonisten in der Truppenbetreuung an der Westfront und spielte gern auch Frauenrollen. In den 1920er Jahren war er Direktor des Münchner „Platzl“, in den 1930er Jahren wirkte er in vielen Filmen mit. Er sympathisierte mit den Nazis.

Die Jury des Hauptstadtkulturfonds haben die Originalität und der kulturelle Kern des Ausstellungsthemas beeindruckt. Das Projekt zeigt, wie konkret und komplex ein Aspekt des Krieges dokumentiert werden kann.

Grußwort in: Julia B. Köhne, Britta Lange, Anke Vetter (Hg.): Mein Kamerad – Die Diva. München: edition text + kritik / Berlin: Schwules Museum 2014