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04. Juni 2014

Geniekult

205-79481-3_BR_koehneFIN.inddÜber die Kategorisierung „Genie“ gab es vor hundert Jahren offenbar eine heftige Debatte. Sie wurde in der Geisteswissenschaft und in der Literatur unterschiedlich geführt, Walter Benjamin, Jakob Wassermann oder Edgar Zilsel gehörten zu den Protagonisten der Auseinander-setzung. Die Kulturwissenschaftlerin Julia Barbara Köhne hat dies zum Thema ihrer Habilitationsschrift gemacht. Sie stellt sehr differenziert die neuen Variablen in der Genie-konzeption seit der Jahrhundertwende in den Fragen des Geschlechts, der Genealogie, der Religion, der „Rasse“ und der Nation dar und konfrontiert sie mit den neuen Idealen der naturwissenschaftlichen Rationalität, Objektivität und Expertise. Für mich noch interessanter ist der zweite Teil des Buches, der – in einem Zeitsprung – die filmischen Adaptionen des Geniekults ab Mitte der 1980er Jahre zum Gegenstand hat. Drei Filme werden beispielhaft in den Mittelpunkt gestellt: AMADEUS (1984) von Milos Forman, SCHLAFES BRUDER (1995) von Joseph Vilsmaier und A BEAUTIFUL MIND (2001) von Ron Howard. Es geht also um den „genialen“ Komponisten Mozart und dessen Lebensgeschichte, die der Film aus der Perspektive seines Konkurrenten, des Wiener Hofkomponisten Salieri erzählt, um einen (fiktiven) Elias Alder, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit seinem „genialen“ Gehör in existentielle Schwierigkeiten gerät, und um den „genialen“ Mathematiker John Forbes Nash, der eine Schizophrenie überwinden muss und 1994 mit einem Nobelpreis ausgezeichnet wird. Köhne analysiert sehr präzise die Dramaturgie – vor allem die Erzählperspektiven – , die Visualisierung und die Inszenierung der drei genannten Filme. Natürlich spielen in den Figurenkonstallationen die Frauen eine besondere Rolle, die sich aufopfern und mit dem „Wahnsinn“ der Männer umgehen müssen. Am Ende fragt die Autorin: „Ist jetzt Schluss mit dem „Genie“? Ist die heutige Gesellschaft genielos? Wie haben sich die Wissensmodalitäten und die Morphologie des „Genialen“ verändert? Wer sind die „Genies“ von heute? (…)“. So geht es, bei aller historischen Fokussierung, auch um aktuelle Bewertungen. Das macht das Buch spannend. Mehr zum Buch: newbuchliste.aspx