Licht und Schatten

Rede zur Eröffnung im Museum für Film und Fernsehen

Liebe Ulrike, lieber Rainer, liebe Isabel Siben, liebe Freundinnen und Freunde, meine Damen und Herren,

ich beginne mit einer kurzen Rückblende: vor 31 Jahren, im Februar 1983, fand in der Akademie der Künste am Hanseatenweg eine Ausstellung mit dem Titel „Licht und Schatten“ statt. Sie begleitete damals unsere Retrospektive „Exil – Sechs Schauspieler aus Deutschland“. Ihr Kurator war John Kobal, ein leidenschaftlicher, manischer Fotosammler, der in London und New York lebte und in den 70er Jahren über viele Monate im Fotoarchiv der Kinemathek nach den schönsten Filmfotos aus der Stummfilmzeit gesucht hat. Er wurde fündig und hat 1981 eine Auswahl in dem Buch „Great Film Stills of the German Silent Era“ publiziert. Die Einleitung des Buches schrieb Lotte Eisner, das Vorwort stammte vom damaligen Direktor der Kinemathek, Heinz Rathsack.

Zum 20. Geburtstag der Kinemathek durfte Kobal dann die genannte Ausstellung in der Akademie der Künste kuratieren, denn die Kinemathek hatte noch keine eigenen Ausstellungsräume. Volker Baer, Filmredakteur des Tagesspiegels, schrieb damals: „Ein Blick in diese Ausstellung und ein Blick in die Bestandslisten der Kinemathek provozieren die Frage, warum die Deutsche Kinemathek noch immer nicht über die Räume verfügt, die es ihr ermöglichen, ihre Schätze der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Aktivitäten der Kinemathek bringen die Kulturpolitiker unter Zugzwang.“ 17 Jahre später zog die Kinemathek ins Filmhaus am Potsdamer Platz. Manchmal muss man Geduld haben, beharrlich sein und vom Glück der Zeit begünstigt werden.

Zur Vorgeschichte der Ausstellung „Licht und Schatten“ gehört aber vor allem der Traum eines Verlegers. Lothar Schirmer – seinen Verlag Schirmer/Mosel gibt es seit fast vier Jahrzehnten – erzählte mir vor vier Jahren bei einer Ausstellungseröffnung in München, dass ihn das Buch von John Kobal sehr geärgert habe, weil seine drucktechnische Qualität einfach miserabel sei. Er träume seit dreißig Jahren davon, ein Buch zu machen, in dem die Fotos in ihrer Schönheit und Tiefe, mit allen Zwischentönen und Kontrasten zur Geltung kämen. Er machte mir dann ein Autoren-Angebot, das ich nicht ablehnen konnte, und Isabel Siben, die Leiterin des Kunstfoyers der Bayerischen Versicherungskammer, war schnell in unserem Bund die Dritte. So wurde im Oktober 2012 die Ausstellung Licht und Schatten in der Münchner Maximilianstraße eröffnet. Das Buch war natürlich auch der Katalog und es gehört – drucktechnisch – zum Besten und Schönsten, was ich kenne.

Die Ausstellung hätte im vergangenen Jahr auch zur Retrospektive „The Weimar Touch“ gepasst, aber da war sie noch in München zu sehen, und hier im Hause fand die wunderbare Martin Scorsese-Ausstellung statt. In diesem Jahr geht es in der Retrospektive um das Licht und die Ästhetik der Schatten im deutschen, amerikanischen und japanischen Film. Da kann eine Ausstellung mit dem Titel Licht und Schatten eigentlich nicht falsch liegen.

Diese Ausstellung soll an den Film der Weimarer Republik erinnern: an die wohl kreativste Phase der deutschen Filmgeschichte. Es sind die Jahre nach dem Ende eines Krieges, der vor 100 Jahren begann und vier Jahre dauerte. Es wird in den kommenden Monaten viel an diesen Krieg gedacht. Die Zeit danach war geprägt von politischen Konflikten, wirtschaftlichen Problemen, technischen Entwicklungen und großen künstlerischen Veränderungen. Anfangs beherrschte der Expressionismus die Szene, dann folgte die Neue Sachlichkeit. Im Film kam ein entscheidender Umbruch 1929 mit dem Wechsel vom Stummfilm zum Tonfilm.

Die 15 Weimarer Jahre endeten 1933 mit der Machtübernahme der Nazis. Damit ging auch – und das hat mich wieder sehr beschäftigt und bewegt – der große kreative Einfluss der Künstler jüdischer Herkunft zu Ende. Dieser Verlust konnte niemals ersetzt werden.

Die 65 Filme, zu denen hier Fotos zu sehen sind, wurden von 36 Regisseuren realisiert. Vier von ihnen (darunter Friedrich Wilhelm Murnau) sind vor 1933 gestorben, zwei (Lubitsch und Sternberg) arbeiteten schon frühzeitig in Hollywood, und 20 sind 1933 oder kurz danach ins Exil gegangen. Diese Zahl hat mich wieder sehr erschüttert. Deshalb ist diese Ausstellung auch eine Verneigung vor all den Künstlern, die ins Exil gehen mussten.

Ganz speziell ist diese Ausstellung eine Hommage für die Standfotografen, die oft anonym geblieben sind. Ja, Hans Casparius, Heinrich Gärtner, Horst von Harbou, Walter Lichtenstein oder Hans Nathge haben für ihr Nachleben gesorgt und ihre Fotos entsprechend kenntlich gemacht, aber sie sind Ausnahmen. In der Regel war das Arbeitsleben der Standfotografen anstrengend (warten, warten, warten), schlecht bezahlt und namenlos. Ihnen gebührt, wenn man die Fotos sieht, ein sehr spezieller Dank.

Die Ausstellung ist auch eine Hommage an die Schauspielerinnen und Schauspieler jener Jahre, die in den Fotos im Mittelpunkt stehen und vom Publikum geliebt wurden – an Emil Jannings und Marlene Dietrich, an Asta Nielsen, Pola Negri und Henny Porten, an Werner Krauß und Heinrich George, Lilian Harvey und Willy Fritsch und natürlich auch an die große, wunderbare Louise Brooks.

Die Ausstellung ist schließlich auch eine Hommage an die Fotosammlung der Kinemathek. Mehr als eine Million Fotos sind dort verwahrt, allein 30.000 aus der Zeit der Weimarer Republik. So viele gibt es sonst nirgends. Nicht zuletzt ist das dem Gründer der Kinemathek, Gerhard Lamprecht, zu danken, der als Sammler den Filmfotos eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat.

Wir sind, als das Buch und die Ausstellung vorbereitet wurden, zielstrebig vorgegangen. Mit einer Liste der 100 bekanntesten und wichtigsten Filme der Weimarer Republik. Für das Buch wurden dann auch einige Titel berücksichtigt, von denen es keine Originalfotos im Archiv gibt und die in der Ausstellung fehlen. In der Berliner Ausstellung sind zusätzlich 25 Werkfotos zu sehen, auf die wir in München verzichtet hatten.

Ich weiß, dass Fotoausstellungen in Kunsteinrichtungen beliebter und erfolgreicher sind als in Filmmuseen. In Filmmuseen wird der Vielfalt von Exponaten eine größere Bedeutung zugemessen. Aber es ist natürlich kein falscher Kompromiss, wenn wir den Fotos mit einer Auswahl von Filmplakaten eine zusätzliche Ebene hinzugefügt haben. Auch sie stammen alle aus den Sammlungen der Kinemathek und haben ihre eigene Ausstrahlung.

Bewegte Bilder aus Filmen der Zeit kommen an zwei Stellen ins Spiel. Ich bin sicher, dass Sie dies zu schätzen wissen.

Mein Dank gilt Isabel Siben, die den Grundstein für diese Ausstellung gelegt hat, Rainer Rother, der sie jetzt nach Berlin geholt hat, Werner Sudendorf, dem Leiter der Sammlungen, mit dem ich freundschaftlich kooperieren konnte, Peter Mänz für sein generelles Engagement, Kristina Jaspers, mit der diese Ausstellung zu gestalten wieder eine wunderbare Erfahrung war, Nils Warnecke für seine mediale Betreuung, Vera Thomas, Heidi Beret Zapke und den Technikern des Hauses, die mir noch so vertraut sind, und natürlich Wolfgang Theis, dem ehemaligen Leiter des Fotoarchivs, dessen Beratung schon die Münchner Ausstellung sehr beeinflusst hat.

Ein Gruß geht an Lothar Schirmer nach München. Er hat unser Buch, rechtzeitig für diese Ausstellung, erstaunlich preiswert gemacht.

Ich freue mich, mit dieser Ausstellung noch einmal in das Museum für Film und Fernsehen zurückzukehren, dem ich mich verbunden fühle wie keinem Haus sonst.

Heute Abend wird noch eine zweite Ausstellung eröffnet. Sie heißt „The Unseen Seen“, zeigt den Film in einem neuen Licht, mit Fotografien von Reiner Riedler, die mich überrascht und beeindruckt haben, und wird jetzt mit einer Einführung von Ulrike Ottinger eröffnet.

23. Januar 2014, Berlin, Museum für Film und Fernsehen