Texte & Reden
21. Februar 2012

An den Grenzen der Visionen

Text für die Süddeutsche Zeitung

Was sie an Frauen vor allem mag, ist die Neugierde. Mehr über sich selbst zu erfahren und über die Welt, in der sie leben – das sind auch Handlungsmotivationen der Frauen, die in Margarethe von Trottas Filmen Hauptfiguren sind: fragend, suchend, entdeckend, nicht konform mit dem Lauf der Dinge. Sie sind meist zu zweit oder zu dritt unterwegs: als Schwestern oder Freundinnen, auch als Mutter und Tochter; gelegentlich werden sie zu Konkurrentinnen. Sie gehen existentielle Risiken ein. Das kann mit dem Tod enden oder im Gefängnis. Aber auch mal happy oder im Ungewissen.

Als sich Margarethe von Trotta selbstständig gemacht hat und Regisseurin wurde, war sie 35. Zehn Jahre hatte sie da dem Neuen Deutschen Film bereits als Schauspielerin gedient. Sie war eine aparte, meist blonde Charakterdarstellerin bei Rainer Werner Fassbinder, Herbert Achternbusch und Volker Schlöndorff, der damals auch ihr Lebenspartner war. 30 Rollen umfasst ihre Darstellerfilmografie. In ihren eigenen Filmen agiert sie nicht vor der Kamera.

Die Co-Regie bei Schlöndorffs Die verlorene Ehre der Katharina Blum war ein erster Emanzipationsschritt. Ihre Eigenständigkeit begann mit dem Zweiten Erwachen der Christa Klages (1977), der Geschichte einer Kindergärtnerin (Tina Engel), die für ihr Engagement keine Grenzen kennt. Zwei Jahre später folgte Schwestern oder die Balance des Glücks, das Psychodrama einer Chefsekretärin (Jutta Lampe) mit Fürsorgesyndrom. Gefilmt mit vielen Spiegelungen als Korrelat zwischen Innenwelt und Außenwelt. Ihr dritter Film brachte den internationalen Durchbruch: Die bleierne Zeit (1981). Sie gewann den Regiepreis und den Goldenen Löwen für den besten Film in Venedig, und auch nach dreißig Jahren hat dieser Film noch eine starke Präsenz. Nahe an den biografischen Fakten wird die Geschichte der Ensslin-Schwestern erzählt, gespielt von Jutta Lampe und Barbara Sukowa. Von Trotta, auch Autorin des Drehbuchs, rekonstruierte mit vielen Details Stimmungen und zeitgenössische Figuren.

Nach drei Filmen schien die Basis für ihre Regiekarriere gefestigt, aber dann geriet sie mit ihrem vierten abrupt ins Kreuzfeuer der Kritik. Heller Wahn (1982), uraufgeführt bei der Berlinale, wurde mit hämischem Spott übergossen. Der Film erzählt nicht ohne formale Risiken von einer Frauenfreundschaft zwischen einer lebensbejahenden, extrovertierten Literaturdozentin (Hanna Schygulla) und einer depressiven Malerin (Angela Winkler), die am Ende ihren Mann erschießt. Dem Psychodrama wurde vor allem sein Realitätsmangel angekreidet. Margarethe von Trotta hatte es hinfort nicht mehr leicht mit der deutschen Kritik.

Mehrfach investierte sie ihre Energien in die Fiktionalisierung deutscher Geschichte: zuerst in die Lebensgeschichte einer sozialistischen Heldin (Rosa Luxemburg, 1985), später in das Drama deutscher Frauen, die 1943 ihre inhaftierten jüdischen Männer zurückforderten (Rosenstraße, 2003). Die Filme tragen im Duktus und der Empathie von Trottas Handschrift. Meist ist sie ihre eigene Autorin, oft musste sie lange um die Finanzierung der Projekte kämpfen. Bei der Rosenstraße dauerte das zehn Jahre. Natürlich gibt sie nie auf. Das verbindet sie mit ihren Filmfiguren.

Für ein paar Jahre floh sie 1988 aus Deutschland nach Italien, ließ ihre Ehe mit Volker Schlöndorff hinter sich, drehte drei Filme in Rom, die bei uns kaum wahrgenommen wurden. 1993 kehrte sie für ein neues Projekt zurück nach Deutschland: noch nah am Fall der Mauer erzählte sie in Das Versprechen eine Liebesgeschichte, die mit dem Bau der Mauer zu einer Trennungsgeschichte wird. Private Schicksale mit historischen Entwicklungen zu verknüpfen, in denen es um Erringung und Erhalt von Freiheit und Würde geht: das ist der emanzipative Kern der Trotta-Filme.

Zu einem speziellen Kapitel ihres Lebenswerkes wurde 1999/2000 die Verfilmung der „Jahrestage“ von Uwe Johnson. Sie bekam das Regieangebot, nachdem sich Produktionsgesellschaft (Eikon) und federführender Fernsehsender (WDR) von dem Regisseur Frank Beyer getrennt hatten. Beyer, ein renommierter DEFA-Regisseur, erhielt viel Solidarität nach der Trennung, und Trotta wurde zunächst als Verräterin angefeindet. Aber der Johnson-Roman war bei ihr in guten  Händen. Sie hat sich für den Vierteiler die Freiheiten genommen, die man bei einer Verfilmung haben muss, zumal die Puristen, die von vornherein die Unverfilmbarkeit konstatiert hatten, ohnehin nicht zu überzeugen waren. Vor allem Suzanne von Borsody als Gesine Cresspahl gibt dem Film ein Zentrum.

Wenn Margarethe von Trotta in Ich bin die Andere (2006) eine persönlichkeitsgespaltene Frau in den Mittelpunkt eines Psychothrillers stellt, dann kann sie sich auf die großen Fähigkeiten von Katja Riemann verlassen, die sich virtuos von einer kühlen Geschäftsfrau in eine nächtliche Nymphomanin und dann noch in die gehorsame Tochter eines sardonischen Übervaters verwandelt. Wenn es in dem Biopic Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen (2009) weit zurück ins Mittelalter geht, dann wird daraus die durchaus moderne Geschichte einer wissensdurstigen Frau in einer katholischen Männerwelt, und Barbara Sukowa wirbt als Klosterchefin für Emanzipation und Weltoffenheit. Es hat schon seine Gründe, dass sich die großen deutschen Filmdarstellerinnen der inzwischen sehr erfahrenen Regisseurin anvertrauen, die wirkungsmächtig mit ihnen arbeitet.

Margarethe von Trotta, Tochter einer deutsch-baltischen Aristokratin, ist aufgewachsen ohne Vater. Erst studierte sie Kunst, dann Germanistik, schließlich ging sie auf die Schauspielschule. Manche Wendungen ihres Lebens, die sich auch in ihren Filmen wiederfinden, thematisiert sie in Interviews. Sie ist mutig, neugierig, man kann ihr nahe kommen. Sie lebt in Paris, in München und dort, wo sie gerade dreht.

Ihre Filme evozieren Gefühle, sie gehen in ihren Geschichten und in den formalen Mitteln immer wieder an Grenzen, die zum gefährlichen Terrain werden, weil hinter ihnen das Land des Kitsches beginnt. Seit dem Hellen Wahn, der von der deutschen Kritik mit einem rigorosen Schuldspruch geahndet wurde, gilt die Regisseurin als vorbestraft. Sie filmt auf Bewährung, angebliche Rückfälle werden überproportional bestraft. Und man hat den Eindruck, dass die Beweisführung vieler Kritiker dabei nicht vorurteilsfrei ist. Vielleicht sollte man heute, zu Margarethe von Trottas 70. Geburtstag, einfach mal konstatieren, dass sie eine ganz besondere Regisseurin ist.

Süddeutsche Zeitung, 21. Februar 2012