Texte & Reden
11. November 2007

Sibylle Bergemann. Fotografien

Rede zur Ausstellungseröffnung in der Akademie der Künste

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Sibylle Bergemann.

Ich heiße Sie herzlich willkommen in unserer Akademie der Künste am Hanseatenweg. Wir eröffnen heute eine ganz besondere Ausstellung. Denn zum ersten Mal präsentieren wir das fotografische Werk eines Mitglieds unserer Sektion, der Film- und Medienkunst, in der Akademie. Drei Fotografie-Ausstellungen haben wir in den letzten Jahren veranstaltet. Die erste, nie zu vergessende galt der Fotografin Ellen Auerbach, die aus diesem Anlaß 1998 auch in Berlin und in diesem Hause war. Die zweite Ausstellung war dem schwedischen Fotografen Lars Tumbjörk gewidmet. Die dritte hatte den Titel „Zuhause“ und zeigte Bilder von Ludwig Schirmer aus dem thüringischen Dorf Berka. Heute steht endlich eine Fotografin im Zentrum, die Mitglied dieser Akademie ist.

Die Fotografinnen und Fotografen in unserer Abteilung haben keinen leichten Stand. Sie sind dominiert – man kann fast sagen: umzingelt – von Film und Fernsehen, von Regisseuren, Kameraleuten und Dokumentaristen, die bekanntlich ihre speziellen Egomanien haben. Unsere fünf Fotografinnen und Fotografen müssen sich gegen 55 Film- und Fernsehmenschen behaupten. Da ist in der Abteilung schon manchmal Minderheitenschutz zu beantragen. Und das erscheint mir nicht gerecht.

Schließlich gibt es die Fotografie viel länger als den Film und das Fernsehen, und man kann noch immer von ihr lernen. Zum Beispiel den Blick für die Wirklichkeit, die Balance zwischen Vordergrund und Hintergrund, das Geheimnis der Subtexte, die Differenz zwischen Schwarzweiß und Farbe, die Schönheit des Lichts, die Konzentration auf den Augenblick, die Tiefe und Präsenz des Raums. Oft wünsche ich mir im Kino oder auch im Fernsehen mehr Vertrauen zu den Bildern und weniger Spiel mit den Effekten. Fotografie und Film sind enger miteinander verbunden als viele wahrhaben wollen.

Insofern muss einmal gesagt werden: Als Direktor der Sektion Film- und Medienkunst bin ich stolz darauf, dass Sibylle Bergemann, Barbara Klemm, Helga Paris, Michael Ruetz und Michael Schmidt Mitglieder unserer Abteilung sind. Ich verneige mich vor ihrer Kunst und ihrer Profession.

Die Ausstellung der Fotografien von Sibylle Bergemann präsentiert vierzig Jahre Arbeit mit der Kamera. 150 ausgewählte Bilder, geordnet in kleineren oder größeren Zusammenhängen aus unterschiedlichen Zeiten und Arbeitssituationen. Wir sehen Bilder aus Berlin und Deutschland, aus Amerika, aus Afrika. In Schwarzweiß und Farbe. Ältere und auch ganz neue Bilder.

In zehn wunderbaren Miniaturen sensibilisiert Jutta Voigt im Katalog unseren Blick auf die Fotografien von Sibylle Bergemann. Ihre kurzen Überschriften heißen: Mode – Frauen – Traumfabrik – Berlin – In der Fremde – Orte – Weiße Mädchen – Afrika-Arabien – Verwandelte – Polaroids.

Ich zitiere die zehn Zeilen über Frauen: „Was bedeutet es, Frau zu sein? Meret zeigt kokett die kalte Schulter. Angelicas Diva-Gesicht beschwört die Liaison von Schönheit und Traurigkeit. Marias Augen sind eine einzige Frage. Werden und Vergehen – Nina und Eva, Tochter und Mutter, nackt und nah. Sabine vor getrockneten Blumen spürt mit zwanzig, dass auf Schönheit kein Verlass ist. Aufgeputzt wie schwermütige Prinzessinnen warten die Fado-Künstlerinnen von Lissabon in prunkvollen Palastzimmern auf ihren Auftritt. Abend für Abend besingen sie das Verhängnis von Lebenslust und Melancholie. Jedes Porträt ist auch ein Selbstporträt, die Fotografin mit dem belletristischen Blick ist in jedem Bild anwesend. Sie sieht, was sie weiß: Schönheit und Zweifel.“

Zugespitzter, lakonischer, poetischer ist die Beziehung zwischen einer Fotografin und ihren Protagonistinnen kaum zu formulieren. Und mir gefällt vor allem das, was Jutta Voigt den „belletristischen Blick“ nennt. Damit assoziiert sie das Schöngeistige, das Unterhaltsame, das Erzählende. Eine Übernahme aus der Literatur, die sich als Haltung in den Fotografien von Sibylle Bergemann wiederfindet. Auch hier werden Geschichten erzählt. Nicht in schönen Worten, sondern in Bildern. Geschichten von Menschen, die uns anschauen oder denen wir aus der Ferne zusehen, über die wir uns Gedanken machen, ausgelöst durch den Moment, in dem Sibylle Bergemann sie fotografiert hat.

Der Zufall hat es gefügt, dass gerade noch eine Woche im Kölner Käthe Kollwitz-Museum eine Ausstellung unserer drei Akademie-Fotografinnen Sibylle Bergemann, Barbara Klemm und Helga Paris zu sehen ist. Sie hat den Titel „Leben. Sehen“. Der Katalog stellt die drei durchaus unterschiedlichen Künstlerinnen in einen Zusammenhang, den Matthias Flügge, der heute nicht hier sein kann, so formuliert:

„Deutlicher als bei vielen ihrer männlichen Kollegen scheinen mir die Menschenbilder dieser Künstlerinnen immer auch Selbstbilder zu sein. Sie orientieren sich an den Erfordernissen ihres Metiers – Reportage, Bericht, Porträt, Mode, um nur diese zu nennen – aber sie ignorieren sie zugleich. Keines ihrer Bilder genügt sich in formaler Vollkommenheit, dennoch sind sie in höch­stem Maße formbewusst. Ihre Intention ist immer die Mitteilung, aber das Mitgeteilte tritt oft in den Hintergrund gegenüber einer Emotion, einer empathischen Gestimmtheit. Man kann das als spirituelle Transzendenz der Endlichkeit deuten und als säkulare des Sozialen und des Politischen. Bei allen Unterschieden der Biografien und der Sehweisen ist dies die gemeinsame Qualität der Bilder dieser Künstlerinnen.“ Schreibt Matthias Flügge.

Es gibt Bilder von Sibylle Bergemann, in die man sich sofort verliebt. In die weißen Zwillinge mit den Plüschhasen im Arm und dem Hochhaus in weiter Ferne. In das Mädchen auf der Schaukel, das in der Luft zu schweben scheint. In das Tableaux aus der Traumfabrik, in dessen Lichterkette die Tiermenschen unsere Phantasie in Gang setzen. Und natürlich in die beiden jungen Frauen, die einen schneebedeckten Abhang hinunterlaufen, mit einer Grazie, die von den hohen, starren Bäumen nur bewundert werden kann.

Und es gibt natürlich immer auch die Liebe auf den zweiten Blick. Ihr sollte man, gerade bei Fotografien, durchaus vertrauen. So denke ich, dass Sie alle, die Sie heute zur Eröffnung hierher gekommen sind, noch einmal wiederkommen werden, um in Ruhe mit den Fotografien von Sibylle Bergemann Zwiesprache zu halten. Und wenn Sie das bis Mitte Januar nicht schaffen sollten, dann fahren Sie einfach nach Braunschweig, wo die Ausstellung in etwas veränderter Form von Februar bis April 2007 im Museum für Photographie zu sehen sein wird. Für die nächsten Stationen müssen Sie dann schon etwas größere Entfernungen zurücklegen: Mailand, Paris, Moskau, Boston.

Ich freue mich sehr über die Ausstellung, die wir heute eröffnen. Ich danke Renate Schubert, die als Referentin unserer Sektion wie eine gute Fee unsere Fotografinnen in ihrer Obhut hat und auch für diese Ausstellung verantwortlich ist. Sie wird später ihrerseits noch Dank abzustatten haben.

Anzukündigen ist, dass um 21 Uhr im Studio eine Filmvorführung stattfindet. Wir zeigen den Dokumentarfilm OSTFOTOGRAFINNEN von Pamela Meier-Arndt. Er porträtiert Sibylle Bergemann, Helga Paris und Gundula Schulze-Eldowey, dauert 70 Minuten und wird heute uraufgeführt.

Ich leite nun über zu einer kleinen Lesung. Die von mir so verehrte Angelica Domröse liest einen Text von Johanna Wieland: „Reisen mit Sibylle Bergemann“ aus der Zeitschrift GEO.

Ich wünsche uns einen interessanten Abend.

Berlin, Akademie der Künste, Hanseatenweg, 11. November 2007