Texte & Reden
27. Oktober 2003

25 Jahre Kinematheksverbund

Rede zum Jubiläum des Kinematheksverbundes

Sehr verehrte Christina Weiss, lieber Friedemann Beyer, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,

Als vor 25 Jahren, im Herbst 1978, der Kinematheksverbund gegründet wurde, gab es kein Internet, keine Digitalisierung, keinen Euro und keine BKM. Die Welt und Deutschland waren geteilt in West und Ost. Die Westkinos zeigten gerade das messer im kopf von Reinhard Hauff, im Ostkino lief, sehr verborgen, das versteck von Frank Beyer. Rainer Werner Fassbinder und Konrad Wolf, zwei heraus-ragende Protagonisten des deutschen Films, waren noch am Leben. Für den bundesdeutschen Film waren die Länder zuständig und in Bonn der Innenminister – damals ein sehr liberaler namens Gerhart Baum.

Unter seiner Obhut wurde im Dezember 1978 das Verwaltungs-abkommen über den Aufbau und Unterhalt eines Kinematheks-verbundes unterzeichnet. Es regelte zunächst die Zusammenarbeit zwischen dem Bundesarchiv/Filmarchiv (damals: Koblenz), dem Deutschen Institut für Filmkunde (damals: Wiesbaden) und der Stiftung Deutsche Kinemathek (damals: Berlin-Charlottenburg). Die benachbarte DDR verfügte schon seit 1955 über ihr eigenes Staatliches Filmarchiv. Inzwischen haben sich die Welt und Deutschland verändert und auch unser Verbund.

Im Koordinierungsrat und in den verschiedenen Arbeitsgruppen kooperieren jetzt zehn Institutionen: neben den drei genannten – dem Bundesarchiv-Filmarchiv (inzwischen: Berlin), dem DIF (inzwischen: Frankfurt am Main) und der Kinemathek (inzwischen mit einem Filmmuseum in Berlin-Mitte) – sind dies die Filmmuseen Düsseldorf, Frankfurt, München und Potsdam, CineGraph (Hamburg), die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung und die DEFA-Stiftung.

Morgen findet die 50. Sitzung unseres Koordinierungsrates statt. Heute wurde in den Arbeitsgruppen über Internet und Digitalisierung, über Erwerbungen, Projekte und Finanzierungen gesprochen. Auch wenn jedes Institut autonom und für sich selbst verantwortlich ist – Kooperation und Erfahrungsaustausch der sehr unterschiedlichen Institutionen sind in unserem Land aus meiner Sicht essentiell für die Sicherung des filmischen Erbes und seine öffentliche Präsentation.

Sicherung und Präsentation sind in den letzten Jahren komplexer geworden durch neue Kommunikationsformen und Technologien. Wir arbeiten daran, uns diese Möglichkeiten zunutze zu machen, aber wir wollen dabei nicht vergessen, dass im Mittelpunkt unserer Tätigkeit der Film steht, der unsere Zuneigung, unseren Schutz und unsere Fürsorge braucht. Egal wie sein jeweils aktueller Zustand ist oder beschrieben wird.

Gerade in dieser Hinsicht fühlen wir uns mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien auf einer Linie. Wir freuen uns deshalb, dass wir mit Ihnen, liebe Christina Weiss, heute den 25. Geburtstag des Verbundes feiern können. Und wir begrüßen sehr herzlich vier Gefährten, die auf der Wegstrecke maßgeblich an der Vitalisierung des Verbundes mitgewirkt haben:

Dr. Gerd Albrecht war von 1981 bis 1996 Leiter des DIF und hat mit seinem filmhistorischen Sachverstand vor allem auf dem heiklen Gebiet des nationalsozialistischen Films wichtige Akzente gesetzt. Er agierte außerdem sehr erfolgreich als Lobbyist der Filmgeschichte in schwieriger Zeit.

Peter Franz war von 1984 bis 1995 als Hauptgeschäftsführer der SPIO gleichzeitig Vorstand des DIF und der FWMS. In diesen Funktionen musste er uns jeweils mitteilen, welchen Hut er als Redner gerade auf hatte. Von 1996 bis 2001 hat er sich dann mit einem Hut als Vorstand der FWMS für die Förderung wichtiger filmkultureller Projekte eingesetzt.

Wolfgang Klaue war von 1969 bis 1990 Direktor des Staatlichen Filmarchivs der DDR (und in dieser Zeit einer der wichtigsten Vermittler zwischen Ost und West). Von Dezember 1998 bis Juni 2003 war er Vorstand der DEFA-Stiftung, deren Gründung er über viele Jahre aktiv vorangebracht hat und die als Förderungseinrichtung inzwischen unverzichtbar ist.

Enno Patalas war von 1973 bis 1994 Leiter des Münchner Filmmuseums, dem er vor allem in den achtziger Jahren durch die Rekonstruktion und Restaurierung klassischer deutscher Filme zu internationalem Ansehen verhalf. Er hat im Koordinierungsrat oft für Spannung und Belebung gesorgt. Seine filmhistorischen Kenntnisse sind bewundernswert.

Leider kann Prof. Friedrich Kahlenberg, zur Zeit der Verbundsgründung Leiter des Filmarchivs des Bundesarchivs, später sein Präsident in Koblenz, heute nicht hier sein, weil er zeitgleich einen Vortrag am Deutschen Historischen Institut in Rom zu halten hat. Er übermittelt Ihnen seine herzlichsten Grüße.

Ich möchte heute aber auch an drei Personen erinnern, die sich auf unterschiedliche Weise um den Verbund verdient gemacht haben und inzwischen verstorben sind:

Klaus Jaeger war bis zu seinem Tod 1997 Leiter des Filminstituts der Landeshauptstadt Düsseldorf. Er hat dort, zusammen mit Hartmut Redottée, das Filmmuseum auf den Weg gebracht und war mit dem Filminstitut ab 1980 kooptiertes und sehr aktives Mitglied in unserem Verbund.

Ulrich Pöschke hat als Hauptgeschäftsführer der SPIO und Vorstand des DIF und der Murnau-Stiftung dem Verbund mit viel Diplomatie und Branchenkenntnis bei den ersten Bewährungsproben geholfen. Er starb im April 1984.

Heinz Rathsack war mein Vorgänger an der Spitze der Kinemathek ab 1971. Ohne seine Energie, seine Ausdauer  und seine Visionen wäre der Verbund nicht entstanden. Ihm habe ich nach einer langjährigen Zusammenarbeit auch persönlich viel zu danken. Er starb im Dezember 1989.

Nun ist aus meinem kurzen Grußwort doch ein längerer Blick zurück geworden. Aber an Geburtstagen soll man sich auch daran erinnern, wer auf dem Lebensweg die Eltern und die Paten waren. Das Erinnern gehört schließlich auch zu unseren primären Aufgaben.

Ab 1. Januar 2004 wird – das möchte ich an dieser Stelle und in eigener Sache nicht unerwähnt lassen – die Deutsche Kinemathek eine neue Patin haben: sie geht dann in die finanzielle Obhut des Bundes über, genauer: in die Obhut der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Darauf freuen wir uns in Berlin und sind gleichzeitig sicher, dass dies nicht den Kinematheksverbund und die gut funktionierende föderale Kooperation der zehn Einrichtungen in Frage stellt.

Wir haben aus unserem Haus einen Kurzfilm mitgebracht, der nicht zur „Berliner Klassik“ gehört. Er spielt in Hamburg, wurde für das Fernsehen produziert und ist gerade mal zwölf Jahr alt. Er stammt von dem Dokumentaristen Klaus Wildenhahn, dessen Werk die Kinemathek als Archiv und Verleih seit Jahrzehnten betreut. Betrachten Sie die Wahl dieses Films als unsere Referenz an die reiche Geschichte des Dokumentarfilms in Deutschland, an die schöne Stadt an der Elbe und (wenn Sie wollen) an die ehemalige Kultursenatorin der Hansestadt.

Vielen Dank und viel Vergnügen.

Wiesbaden, Kino Caligari, 27. Oktober 2003