Texte & Reden
12. Dezember 2002

Fernsehen macht glücklich

Rede zur Eröffnung der Ausstellung

Sehr geehrter Herr Pleitgen,  sehr geehrter Herr Hug, lieber Norbert Schneider, lieber Herr Schmitz, verehrte Frau Marjan,  meine Damen und Herren,

ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer ersten Fernsehausstellung im Filmmuseum Berlin – und bin zunächst einmal glücklich, daß Sie alle an diesem kalten Berliner Abend gekommen sind. Ein bißchen ist dieses Glück geschmälert, weil unsere Staatsministerin Christina Weiß nicht hier sein kann. Sie musste einen unaufschiebbaren auswärtigen Termin wahrnehmen. Frau Weiß grüßt Sie alle. Sie hat mir ihr starkes Interesse an unserem Thema signalisiert und wird uns im Januar besuchen.

Der Titel dieser Ausstellung erregt Neugierde. Sonst wären Sie ja nicht gekommen. Aber macht Fernsehen wirklich glücklich? Ist das heute – bei der Weltlage – möglich oder überhaupt wünschenswert? Und kann man nicht auch im Kino glücklich werden? Das muß ich als Direktor eines Filmmuseums zumindest fragen dürfen. Unser Thema löst also Irritationen aus. Vielleicht sind Sie nach den Reden und nach dem Besuch der Ausstellung alle etwas klüger.

In meinem Taschenkalender aus dem Jahre 1956 fand ich unter dem 14. März, einem Mittwoch, den Eintrag: „Fernsehantenne montiert.“ Und: „Länderspiel Deutschland – Holland 9:2 – Tagesschau – Wilmenrod – Familie Schölermann.“ Am 14. März 1956 begann mein persönliches Fernsehglück. Denn ich erinnere mich sehr genau, daß ich der erste in meiner Schulklasse war, dessen Eltern einen Fernsehapparat in ihre Wohnung ließen. Für diese Aufgeschlossenheit liebte ich meine Eltern und wurde von meinen Freunden beneidet. Eine gute Erfahrung.

Das Glück des Fernsehens beginnt also mit dem Apparat. Deshalb werden Kinder heute in überwiegend glückliche Familien hineingeboren. Denn die Apparate sind ja schon da.

Gefragt wird inzwischen nicht, ob man sieht, sondern was man sieht, wenn der Apparat läuft. Die Auswahl der Möglichkeiten ist scheinbar grenzenlos und überwältigend. Auch in dieser Hinsicht war die Welt der fünfziger Jahre anders. Es gab nur ein Programm (genauer: eins im Westen und eins im Osten). Damit mußte man glücklich werden. Interessanterweise waren die Fernsehzuschauer damals genügsamer. Das Tagesprogramm dauerte höchstens fünf Stunden. In der Restzeit wurde ein Testbild gesendet. Das brauchten vor allem die Fernsehtechniker, um neue Geräte und Antennen zu installieren.

In den 60er Jahren vermehrten sich dann die Programme – und die Zuschauerzahlen sowieso. Die Programme wurden vielfältiger und besser. Mehr gute Sendungen, mehr Glücksmomente. Und am anderen Tag wurde darüber diskutiert, ob sich das Glück auch beim Kollegen, der Kollegin oder dem Freund eingestellt hatte. Ende der 60er Jahre bekam das Glück langsam Farben, die in den 70er Jahren dominant wurden. In den Achtzigern teilte es sich im Westen auf in ein duales System: öffentlich-rechtlich / privat. Es verdoppelte sich, wenn man so will. Wie es dann weiter ging, wissen Sie selbst, und Sie wissen auch, wo das ganze Glück möglicherweise seine Grenzen findet.

Was die Menschen beim Fernsehen glücklich macht, ist schwer herauszufinden. Aber es muß etwas sein, sonst würden sie ja nicht so ausdauernd hinschauen. Vielleicht träumen sie, vielleicht hoffen sie, vielleicht fühlen sie sich unterhalten, ergriffen oder wenigstens gut informiert. Irgendetwas passiert mit ihnen. Manchmal etwas Gutes. Behaupten wir.

Es wird uns im Fernsehen auch dauernd Glück versprochen: in Form von Geld, Reisen, Gewinnen aus der Warenwelt, Gesundheitsreformen, lasziven Partnern, die zu allem bereit sind, gutem Wetter, dem nächsten Programm oder wenigstens einem Platz ganz vorn. Es gibt andererseits viel Kritik am Zustand des Fernsehens. Die lasse ich aber heute beiseite.

Worauf ich noch einmal zurückkomme, ist die Geschichte. Fünfzig Jahre Fernsehen in Deutschland. Wir erinnern uns an große, schöne, bedeutende Sendungen. Sternstunden. Manche werden in irgendeinem Zusammenhang gelegentlich wiederholt. Die meisten sind – gottlob – in den Archiven gut gesichert. Aber man kann sie nicht sehen. Sie merken – jetzt kommt meine Botschaft.

Wäre es nicht logisch und eine kulturelle Tat, wenn man Sendungen, die uns und viele andere glücklich gemacht haben, an einem Ort – zum Beispiel in einer Mediathek oder einem Fernsehmuseum – auch jederzeit anschauen könnte? Ich frage das in diesem Kreis, weil ich viele hier sehe, die mit der Vergangenheit und der Gegenwart des Fernsehens eng verbunden sind. Die auch stolz sein können, auf diese Vergangenheit. Wenn man sie nur gegenwärtig und sichtbar machen würde.

Mit unserer Ausstellung „Fernsehen macht glücklich“ wollen wir die Möglichkeiten eines Fernsehmuseums vor Augen führen. Im Zusammenspiel mit einem Filmmuseum, das es hier seit zwei Jahren gibt, das mediale Verbindungen herstellen will, das offen ist für Erweiterungen.

Unsere Ausstellung ist eine Improvisation auf provisorisch hergerichteten Flächen. Flächen für die Mediathek, das Fernsehmuseum. Blaue und graue Teppiche verbergen in der 3. und 4. Etage den Zustand einer Baustelle. Sie werden es sehen und hoffentlich nicht stolpern!

Unsere Ausstellung präsentiert sich in fünf Räumen. Diese Räume tragen Titel:

1.   Fernsehglück (die Verkürzung des Ausstellungstitels)

2.   Fernsehen zum Träumen (auch das ist möglich, vor allem nachts)

3.   Sternstunden (wie gesagt: es gab sie – es gibt sie)

4.   TV-Digital (da geht es um Gegenwart und nähere Zukunft)

5.    Strandgut (das ist die Abteilung „Fernsehen für Kinder“)

Die Räume erzählen deutsche Fernsehgeschichte in West und Ost. Sie handeln von Programmgeschichte hier und dort. Damit entstehen Verbindungen, die man in Berlin, am Potsdamer Platz, einer alten Schnittstelle zwischen Ost und West, thematisieren muß. Denn manchmal macht Fernsehen auch klüger.

Im Gegensatz zu den fünf Akten eines klassischen Dramas kann man bei uns für den Rundgang eine eigene Dramaturgie entwickeln und zum Beispiel mit Raum 5, bei den Kindern, beginnen. Man muß dann nur am Ende auch zum Anfang, zur 1 kommen, damit man alles gesehen hat.

Mein Dank geht an die Partner bei dieser Ausstellung, die auch Partner eines Fernsehmuseums sein wollen: Vivendi Water Deutschland, die ARD (heute offiziell vertreten durch ihren Vorsitzenden, den Intendanten des WDR, Fritz Pleitgen, der Sie gleich begrüßen wird), das ZDF, RTL und ProSiebenSAT.1, das Deutschen Rundfunkarchiv, die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten und die Medienanstalt Berlin-Brandenburg. Ich danke Sponsoren und Medienpartnern, die auf unserer Einladung zahlreich aufgelistet sind.

Mein Dank gilt den Ausstellungsmachern: Peter Paul Kubitz, Peter Schwirkmann, Gerlinde Waz, Christina Zoppel, Bernd Eichhorn, den Öffentlichkeitsarbeiterinnen Christine Sievers, Christa Schahbaz und Kerstin Stoll, dem Gestalter Hans Dieter Schaal und all denen, die das Konzept in den fünf Räumen verwirklicht haben. Und ich danke  (mehr als 46 Jahre nach meiner persönlichen Initiation) dem Fernsehen, weil es uns – zumindest gelegentlich – glücklich macht. Das ist jetzt die Vorlage für den Rundfunkintendanten. Bitte, Herr Pleitgen.

12. Dezember 2002, Filmmuseum Berlin.