Texte & Reden
30. Juli 2002

LOVE IN THE AFTERNOON – das Ende

Text für die Zeitschrift SteadyCam

Das Genre: eine romantische Komödie. Die Zeit: späte fünfziger Jahre. Das Happy-End auf einem Bahnhof in Paris kommt unerwartet und erscheint absurd. Wie kann das zusammenpassen: eine 17jährige Studentin, die noch wenig vom Leben weiß, und ein 58jähriger Playboy, der sich in allen Lebenslagen aus den Affären zieht. Sie hat von Anfang an viele Informationen über ihn, weil er von ihrem Vater, einem Detektiv, ausspioniert wird. Er hat am Ende einige Informationen über sie, weil er einen Detektiv, ihren Vater, um Informationen angeht. Der Vater korrigiert ein paar Irrtümer, der Mann kommt scheinbar zur Vernunft, das Mädchen, das bis dahin alles unter Kontrolle hatte, verliert die Übersicht. In einem Melo könnte sie jetzt unter die Räder geraten, in einer Komödie muß sie einfach glücklich werden (ob sie es wirklich wird, braucht uns nicht zu interessieren).

Die Vorgeschichte: Die französische Musikstudentin A. rettet den amerikanischen Millionär F. vor dem mordlüsternen Ehemann von Madame X, mit der F. eine Affäre hat. F. hat mit vielen Frauen rund um die Welt Affären. Das ist sein ritualisierter Lebensinhalt. A. wird kurzfristig  F.’s Nachmittagsverhältnis, an das sich F. einige Monate später aber kaum noch erinnert. A.’s entscheidende Leistung ist es, F. in einer zweiten Nachmittagssaison eifersüchtig zu machen, indem sie sich zur erfahrenen Frau stilisiert. Als A.’s Vater, der Detektiv, F. über die Unschuld seiner Tochter aufklärt, verspricht F., Paris zu verlassen.

Die Szene: wir befinden uns in der 126. Minute des Films. Ariane hat Flannagan auf den Bahnhof begleitet. Irgendwo im Hintergrund können wir den Vater vermuten. Der Zug nach Nizza ist abfahrbereit. Die beiden gehen am Zug entlang. Sie trägt ein Kopftuch, er hat eine Nelke im Knopfloch. Abschiedsstimmung, Floskeln („Ich glaube, ich werde mir ein bißchen einsam vorkommen, wenn Sie weg sind – natürlich nur nachmittags, Mr. Flannagan.“). Der Schaffner kontrolliert die Fahrkarte, das Gepäck wird verstaut. Ariane geht zur Seite, er folgt ihr, sie schauen sich an, „Auf Wiedersehen, scheues Reh“, sie beginnt zu weinen. „Das kommt nur durch den Rauch.“ Sie nimmt die Blume aus seinem Knopfloch, „Auf Wiedersehen, Mr. Flannagan“, die Lokomotive tutet, Flannagan steigt auf das Trittbrett, die Lok setzt sich in Bewegung, Ariane spricht lauter und schneller („Machen Sie sich keine Sorgen um mich, wenn Sie in Cannes sind, bin ich bei dem Bankier in Brüssel, er schenkt mir einen blauen Mercedes, weil Blau meine Lieblingsfarbe ist….“), Flannagan schaut nachdenklich zu ihr hinunter, der Zug wird schneller, sie läuft und redet immer schneller. Im letzten Moment greift er sie um die Taille und zieht sie in den Zug. Schnitt ins Abteil, sie sinken aufs Polster, Arianes Gesicht ist ungläubig und sehnsuchtsvoll („Mr. Flannagan, was machen Sie da?“). Sie hat die Blume in der Hand. Auf dem Bahnhof steht Arianes Vater, schaut dem Zug nach, lächelt und wendet sich um mit Arianes geliebtem Cello in der Hand. Die Zigeunerkapelle steht verlassen auf dem Bahnsteig und spielt „Fascination“. „Ende“, kein Abspann. 26 Einstellungen, knapp vier Minuten, mitten ins Herz.

Cameron Crowe und Billy Wilder über die Szene: „B.W.: William Wyler sagte: ‚Ich glaube nicht, dass Audrey Hepburn zu Gary Cooper etwas sagen sollte am Ende, wenn er mit dem Zug wegfährt. Mach es stumm!’ Aber das konnte ich nicht, weil sich ihre Lippen bewegten. C.C.: Hätten Sie es stumm gemacht, wenn Sie gekonnt hätten? B.W.: Ja. Ich hätte sie ihm folgen lassen, er fährt ab, sie läuft parallel zum Zug, und dann greift er sie. Aber ich hatte da zu viel Worte. C.C.: Ich liebe die Worte da, sie brechen einem das Herz. Für mich ist das der Unterschied zu einem üblichen Running-after-the-train-Ende. B.W.: Aber sie hat sich schon von ihm verabschiedet. Sie sollte ihren Mund halten in diesem Moment und nur rennen.“

Die Kritiker damals, in den Fünfzigern, fanden das Ende zugleich banal und unmoralisch. Penelope Houston, die Oberlehrerin der englischen Filmkritik, schrieb: „Daß der Vater glücklich lächelnd auf dem Bahn-steig steht, nachdem der Zug mit seiner über alles geliebten Tochter und dem reichen, aber nichtswürdigen Flannagan davongefahren ist, erscheint nach allen Regeln des Geschmacks und der Vernunft unmöglich.“ (Monthly Film Bulletin) C. A. Lejeune (The Observer) war noch böser: „Man nennt dies ein Happy-End. Ich hätte dafür eine ganz andere Bezeichnung [die sie aber nicht verrät], und mir tun die Schauspieler leid, die in eine derart widerwärtige Angelegenheit hineingezogen worden sind.“ Auch Karena Niehoff, die große Berliner Kritikerin der Nachkriegszeit, war mit dem Ende nicht einverstanden: „Hier wird die heimlich verspottete Liebe plötzlich legalisierte Realität, das Schwebende sackt mit energischem Druck nieder, der Ballon verliert seinen spirituellen Auftrieb.“ (Der Tagesspiegel).

Ich erinnere mich andererseits, daß mir damals das Happy-End emotional großen Auftrieb gab. Verliebt in Audrey Hepburn, habe ich sie dem alten Ami Cooper aber ganz selbstlos gegönnt. Er ist leider vier Jahre später gestorben.

In: SteadyCam, Nr. 44, Winter 2002