Texte & Reden
04. September 2000

Curt Siodmak (1902-2000)

Nachruf für die Süddeutsche Zeitung

Zu Halloween 1997 gab die amerikanische Post fünf Briefmarken mit klassischen Movie Monsters heraus: The Phantom of the Opera, Dracula, Frankenstein, The Mummy und The Wolf Man. Nur einer der Erfinder dieser Figuren war damals noch am Leben: Curt Siodmak, 95 Jahre alt, Schöpfer des Wolf Man. Im Post Office von Three Rivers, seinem Wohnort seit 1957, signierte er tausend Ersttagsbriefe, bis er nicht mehr schreiben konnte, und freute sich wie ein Kind, auf dem Umweg über eine Briefmarke unsterblich zu werden. „Das bleibt! Wenn ich tot bin, dann haben die Sammler immer noch die Marke.”

Kurt (später: Curt) Siodmak lebte ein langes, zerrissenes und eigentlich nur mit seinem Beruf und seiner Frau Henrietta identisches Leben. In Dresden geboren, Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie, studierte er Mathematik, Physik und Ingenieurswissenschaft – aber er war ein besessener Autor schon ab Mitte der Zwanziger, schrieb Reportagen und Erzählungen für prominente Magazine, Romane, Drehbücher und hatte die Idee zu dem mittlerweile legendären Stummfilm men schen am sonntag, den sein Bruder Robert 1929 zusammen mit Edgar Ulmer inszenierte. Ein klassisches Stück moderne Sachlichkeit. Mit f.p. 1 antwortet nicht stellte sich für Kurt Siodmak 1932 der erste internationale Erfolg ein: durch den Roman und das Drehbuch zu einem Film. Ein Jahr später muss er Deutschland über die Schweiz nach England verlassen, auf der Flucht vor den Nationalsozialisten. Was für ein Schock für einen 31jährigen Mann: „Man wächst mit jungen Leuten auf, hat Spaß mit den Mädchen, säuft zusammen, und von einem Tag auf den anderen kann man niemanden am Telefon erreichen, und sie gehen auf die andere Straßenseite, um den Juden nicht zu treffen. Dann kriegt man einen Brief von Herrn Goebbels, der einem verbietet, in Deutschland zu veröffentlichen.” Welch ein Unglück, unvermittelt ein Land verlassen zu müssen, dessen Sprache für den Autor Handwerkszeug und Kapital bedeuten. „Damit das klar ist: Nicht ich habe Deutschland verlassen, sondern Deutschland hat mich verlassen”, sagt Curt Siodmak. Dann schreibt er nur noch auf englisch.

Die zwei Leben des Kurt / Curt S. Das eine, in Deutschland und auf der Flucht, dauert von 1902 bis 1937, das andere, in Amerika, von 1937 bis 2000. Ein Drittel in der Alten Welt, zwei Drittel in der Neuen. Auch seine Autobiographie ist in der deutschsprachigen Ausgabe (Weidle Verlag, Bonn 1995 und 1997) zweigeteilt. Der gemeinsame Titel heißt: „Unter Wolfsmenschen“. 1. Europa. 2. Amerika. Die Anstrengung, sich zu erinnern, ist auf fast jeder der 570 Seiten spürbar. Denn das Anek-dotische und Erlebte wird eingebettet in einen Strom verallgemeinern-der politischer und sozialer Kommentare. Einerseits sieht sich Curt Siodmak als Opfer, als Menschen mit dem Brandmal des Emigranten, mit der permanenten Angst im Unterbewusstsein. Andererseits fühlt er sich aber in einer erstaunlichen Assimilationsfähigkeit schnell dort zu Hause, wo es nach Film riecht, „diesem schwachen Dunst von Klebstoff und Zelluloid”. Die amerikanische Ausgabe der Autobiographie, vom Autor zunächst im Selbstverlag herausgegeben (Three Rivers Press 1997), nimmt als Titel ein Zitat aus dem Wolf Man auf: „Even a Man Who Is Pure in Heart…“ und dankt der neuen Heimat in einer Widmung: „Dedicated to America, the country that was good to me, a stranger. The only country that told me ‘Come in’ and not ‘Get out’“.

1937 nach Amerika emigriert, findet Curt Siodmak Arbeit bei Para-mount und Universal, beteiligt sich an der Gründung der „Screen Writers Guild of America”, schreibt die Drehbücher zu the invisible man returns, the invisible woman – und the wolf man: Von einem Werwolf gebissen, wird ein junger Mann zum Lykanthropen und muß von seinem eigenen Vater umgebracht werden. Einerseits sagt Siodmak zu diesem Film: „Ich bin als Jude geboren, in Dresden, 1902. Habe ich mir das ausgesucht? Im wolf man geht es um das Gute und das Böse im Menschen. Er kann nicht raus aus seinem Schicksal. Ich konnte auch nicht raus aus meinem Schicksal. Sind wir deswegen Monster? Das war die Idee bei diesem Stoff.” Andererseits kann man im wolf man natürlich auch lauter freudianische Konnotationen entdecken. Der Horror öffnet sich vielen Inter­pretationsmustern.

1942 hat Curt Siodmak einen außerordentlichen Erfolg mit dem Science-fiction-Roman „Dono­van’s Brain“. Allein die Auflage in Amerika soll über die Jahre fünf Millionen Exemplare betragen haben. Es gab Über-setzungen in zehn Sprachen, diverse Verfilmungen, eine Hörspiel-Adaption durch Orson Welles. Erzählt wird die Story eines Wissen-schaftlers, dem es gelingt, das Gehirn eines tödlich verunglückten Managers unverletzt aus dem Körper zu entfernen und in einer Nährlösung am Leben zu erhalten. Das Gehirn entwickelt ein Eigenleben und zwingt dem Wissenschaftler seinen Willen auf. Ein paradigmatischer Plot. Auf diesen Roman war Curt Siodmak besonders stolz. Wie auch auf das Drehbuch zu i walked with a zombie, verfilmt von Jacques Tourneur, eine Paraphrase auf die Heimatlosigkeit, ein Horrorstück voll Poesie und Zärtlichkeit.

Tourneur wurde durch diesen Film berühmter als Curt Siodmak. Curts Trauma war ohnehin, dass die Ideenlieferanten, die Schreiber, immer hinter den Regisseuren und den Akteuren verschwinden. Den Directors und Actors gestand er höchstens eine sekundäre Rolle zu. Diese Funktionen seien vollkommen austauschbar. Auf die Ideen komme es an. Im Streit für diese Unterscheidungen konnte der Autor zornig und grantig werden. Und dies immer im sächsischen Timbre.

Auch in den fünfziger Jahren blieb Curt Siodmak dem Film verbunden – als Autor, als Produzent und sogar als Regisseur. Als wollte er beweisen, dass dies eben jeder könne. Sein Film curucu, beast of the amazon ist ziemlich bizarr. Oder Cult. Ende der Fünfziger zog sich Curt aus Hollywood zurück. Da waren die B-Movies und das Studiosystem schon außer Kurs. Romane konnte man auch in der Einsamkeit der Berge schreiben.

Robert, dem älteren Bruder und Regisseur, war Curt in einer Hassliebe verbunden. Nur für jeweils kurze Zeit hat er ihm in Deutschland und in Amerika als Autor zugearbeitet. Ein Siodmak im Filmgeschäft sei genug, soll Robert gesagt haben. Curt hat ihn um 28 Jahre überlebt. Robert, Jahrgang 1900, ist dennoch der Name, der zuerst mit „Siodmak“ assoziiert wird.

In den letzten Jahren erschien Curt Siodmak oft depressiv und des Lebens überdrüssig. Andererseits hat er die ihm verbliebene Zeit genutzt, um die Spuren dieses Lebens zu fixieren. Die Autobiographie wird posthum in Amerika in einem kommerziellen Verlag erscheinen. Vielleicht vergrößert der Tod des Autors den Erfolg. Der umfängliche Nachlass wird in Berlin verwahrt.

Das Schreiben war die eine Passion im Leben des Curt Siodmak. Die andere war Henrietta, seine Frau, eine in der Schweiz geborene Baronesse, die ihm seit 1924, also seit 76 Jahren, zur Seite stand. Der Streit zwischen den beiden, wer zuerst geht, ist nun entschieden. In der „Old South Folk Ranch” in Three Rivers, einem kleinen Paradies am Fuße des Sequoia National Parks, wo sich Waschbären und Menschen friedlich gute Nacht sagen, starb Curt Siodmak am 2. September im Alter von 98 Jahren. Einen Wolfsmenschen habe ich dort nie gesehen.

Die zwei Leben des Curt Siodmak. In: Süddeutsche Zeitung, 4.9.2000, Feuilleton.