Film, Museum, Inszenierung

Text für den Museumskatalog

„Im Kino gewesen. Geweint.“ – lakonischer Eintrag ins Tagebuch, 20. November 1913. Die vier Worte stammen von Franz Kafka und werden gern zitiert. Der Autor hatte ein buntes Programm gesehen und beschreibt auch seine Verwirrung: „Bin ganz leer und sinnlos, die vorüberfahrende Elektrische hat mehr lebendige Sinn.“ Die Literatur ist reich an Kinoerinnerungen, seit hundert Jahren. Sie füllen ganze Anthologien. Oft sind sie emotional zugespitzt: „Wenn mein Herz gesund wär, spräng ich zuerst aus dem Fenster; dann ging ich in den Kientopp und käm nie wieder heraus.“ (Else Lasker-Schüler, 1912). Man könnte sich einen Dramatiker vorstellen, der im Kino stirbt. An Herzversagen.

Kino. Sich für einen Film entscheiden. Oder einfach nur ins Kino gehen. Sich mit jemandem verabreden. Oder allein hingehen. Karten kaufen. Ein Foyer durchqueren. Die Karten abreißen lassen. Das Kino betreten. Sich auf einen Platz setzen. Weiter vorn? Ganz hinten? Das Vorprogramm absitzen. Der Gong ertönt. Das Licht geht aus. Der Vor-hang öffnet sich. Der Vorspann. Die erste Einstellung. Der Schauplatz. Eine Straße – ein Haus. Schauspieler – Figuren. Eine Geschichte. Aktionen – Konflikte. Blicke – Augen. Dialog – Musik. Schuß – Gegen-schuß. Gefühle. Weinen – Lachen. Ein trauriger Schluß – ein Happy-End. Der Abspann. Aus dem Kino zurück in die Realität.

Museum. Seit dem 18. Jahrhundert versteht man unter Museum die Kollektion künstlerischer oder wissenschaftlicher Objekte wie auch das Gebäude, in dem sie untrgebracht sind und ausgestellt werden. „Das moderne Museum dient der Sammlung, Bewahrung, Erforschung und Wiederherstellung von Kulturgut, vor allem aber dessen sinnvoller Prä-sentation und Erläuterung nach wissenschaftlichen Grundsätzen.“ Meyers Großes Taschenlexikon, 1995). Im „modernen“ Museum spielen Pädagogik und Didaktik, Öffentlichkeitsarbeit, Medien, Inszenierung und Erlebnis eine wichtige Rolle. Gesammelt und ausgestellt werden nicht mehr nur Kunst, Technik und Wissenschaft, sondern Alltags-kultur, Mode, Publizistik, Zeitgeschichte, Gesellschaft. Also auch: Film- und Kinogeschichte.

Die Deutsche Kinemathek hat seit ihrer Gründung 1962 alles gesam-melt, was mit der Geschichte des Films, des Kinos und zum Teil auch des Fernsehens verbunden ist. Filmkopien, Geräte, Objekte, Doku-mente. Sie war ein Museum ohne ständige Ausstellung. Als „Film-museum Berlin“ präsentiert sie einen Teil ihrer Sammlungen als Dauerausstellung.

Eine Ausstellung zur Filmgeschichte entfernt den Film aus dem Kino. Sie nimmt ihm damit sein Geheimnis, seine Imaginationskraft. Sie bringt sein Prinzip der Bewegung zum Stillstand, sie setzt seine Grund-lagen außer Kraft: die Mittel der optischen Täuschung und die schier unbegrenzte Möglichkeit, mit 24 Bildern in der Sekunde Geschichten zu erzählen.

Im Museum wird der Film einem anderen Blick ausgesetzt, einer speziellen Neugierde: nämlich zu erfahren, wie die Bilder entstehen, wie es hinter den Kulissen aussieht, wie Schauspieler und Regisseure arbeiten, wie sich der Film zu seiner Zeit verhält und zu den anderen Künsten, was von Filmen übrig geblieben ist. Objekte in einem Film-museum sind: Kostüme, Requisiten, Modelle, Entwürfe, Fotos, Plakate, Drehbücher, technische Geräte, Schriftstücke, Tondokumente, Memo-rabilia und Filmausschnitte. Sie sollen so präsentiert werden, dass der Museumsbesucher etwas Zusätzliches erfährt, einen neuen Zusammen-hang erkennt. Kinoerinnerungen können dabei hilfreich sein.

Gute Zeiten für ein Filmmuseum. Das 20. Jahrhundert, in dem sich der Film aus unscheinbaren Anfängen schnell zu einer großen internationalen Kunst und einer beeindruckenden Industrie entwickelt hat, liegt abgeschlossen und übersichtlich hinter uns. Die kulturelle und kommerzielle Bedeutung des Films bezweifelt niemand mehr. Seine Geschichte wird in vielfältigen Zusammenhängen immer wieder neu durchdacht und mitgeteilt. Die wichtigsten Werke der Filmgeschichte sind verfügbar bis hin zur privaten Videothek zu Haus. Archive und Museen verwahren Materialien zur Produktion und Rezeption, haben bedeutende Nachlässe erworben. Spurensuche ist so leicht wie nie zuvor. Spezielle Ausstellungen zu den Großen der Filmgeschichte und zu den Mythen des Kinos sind in Mode. Man kann aus dem Vollen schöpfen.

Schlechte Zeiten für ein Filmmuseum. In keiner Kunst ist die Aufmerksamkeit so demonstrativ auf die Gegenwart und Zukunft fixiert wie im Film. Der Blick richtet sich manisch nach vorn: auf die Realisie-rung des nächsten Projekts, das über Gedeih und Verderb entscheiden kann, auf die Bewegungen an der Börse, denen sich die Filmfirmen zunehmend unterwerfen, auf den technologischen Fortschritt, der sich vor allem mit dem Prozeß der Digitalisierung verbindet. Wird es in zehn Jahren noch Filme geben, die projiziert werden? Von Kunst ist ohnehin kaum noch die Rede. Vielleicht hat der Film als Ausdrucksmittel sogar seinen Zenit überschritten. Denen, die Filme herstellen, verleihen und zeigen, bleibt wenig Zeit für ein Innehalten, ein Nachdenken, einen Blick zurück. Gerade das aber ist die Funktion eines Filmmuseums. Seine Chance besteht darin, mit den Quellen der Vergangenheit für die Gegenwart und Zukunft zu sensibilisieren. Hat Franka Potente etwas mit Fern Andra zu tun? Da muss man erstmal wissen, wer Fern Andra war.

Transparenz. Filmhaus. Potsdamer Straße 2. In der Mitte Berlins. Architektonisch eingebunden in das Sony Center, autonom in der kulturellen Nutzung; oben eine Filmschule (dffb), unten zwei Kinos für den künstlerischen und innovativen Film (Arsenal 1 + 2), in der Mitte die Deutsche Mediathek und die Sammlungen des Filmmuseums Berlin, seine Bibliothek, das Online-Center, die Dauerausstellung und die Wechselausstellungen, im Erdgeschoss der Museumsshop und das Bistro „Billy Wilder’s“. Man spricht von Synergien.

In der engeren Umgebung gibt es die Philharmonie, die Neue National-galerie, das Kulturforum, die Staatsbibliothek, den Martin-Gropius-Bau, das Abgeordnetenhaus und die Internationalen Filmfestspiele. Zur unmittelbaren Nachbarschaft gehört das Entertainment: „CineStar“ (acht Kinos), „CinemaxX“ (19 Kinos), Imax (zwei), Music-Box (Sony), Musicaltheater (debis). Kommerz – Kultur.

Man kann von einer Herausforderung der Kultur sprechen. 1930 befand sich am Potsdamer Platz ein Zentrum der Stadt. 1961 wurde hier die Mauer gebaut. 1990 war das Gelände eine Wüste. Verwerfungen deut-scher Geschichte. Etwas Neues beginnt.

Helmut Jahn, der Architekt des Sony Centers, wollte Transparenz: Glas, offene Decken, Gitterroste, Durchblicke. Eine Ausnahme bildet die Dauerausstellung des Filmmuseums. Hier ist die Fassade des Film-hauses mit Metallpaneelen aus Edelstahl nach außen verschlossen, damit das Licht kontrollierbar bleibt und die Inszenierung zu ihrer Wirkung kommt. Eine „Movie-Box“ mit seriösem Programm auf 1.500 Quadratmetern im zweiten und dritten Obergeschoss. Die Transparenz funktioniert innen. Passagen durch die deutsche Filmgeschichte, Blicke in die Mechanik von Kinomythen.

Deutsche Filmgeschichte. Die Länge des Weges: rund 500 Meter. Wer nirgends verweilt, kann ihn in weniger als fünf Minuten zurück-legen. Dann hat er zwar kaum etwas gesehen, aber hundert Jahre deutscher Filmgeschichte hinter sich gebracht. Für neugierige Besucher führt der Weg durch 15 Räume mit elf Themen und nimmt mehr Zeit in Anspruch.

Ein Vorraum mit Kinofassaden, Kinonamen, Projektionsgeräuschen – zur Einstimmung. Dann beginnt eine Zeitreise. Kurze Filmausschnitte auf drei Projektionsflächen. Bilder. Zuerst in Farbe aus den letzten vierzig Jahren. Dann in Schwarzweiß, aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, mit Ton. Schließlich aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, schwarzweiß, stumm. Damit sind wir am Anfang, in der Frühzeit.

Die Jahre 1895 bis 1918. Die Erfindungen von Max Skladanowsky, Oskar Messter, Guido Seeber. Pioniere und Diven: Henny Porten aus Berlin, Asta Nielsen aus Kopenhagen, Fern Andra aus Natzeka, Illinois (USA). Die leidende Madonna, die moderne Frau, die quirlige Artistin. Es entstehen frühe Formen der Vermarktung, weil sich das Zuschauerinteresse vorwiegend auf Schauspieler konzentriert. Im Ersten Weltkrieg wird der Film als Propagandamittel eingesetzt.

Ein erster Mythos: Caligari. Der expressionistische Film von Robert Wiene mit Conrad Veidt, Werner Krauss und Lil Dagover handelt von Traumata und Ängsten nach einem verlorenen Krieg. Die Spielorte – Kleinstadt, Jahrmarkt, Irrenanstalt – sind gemalte Architektur. Das einige erhaltene Drehbuch aus dem Nachlass von Werner Krauss ist im Besitz des Filmmuseums Berlin. Hermann Warm, der Szenograf, hat in den fünfziger Jahren ein Ateliermodell nachgebaut.

Film in der Weimarer Republik. Zwischen 1918 und 1933 erlangte der deutsche Film „Weltgeltung“. Vor allem vier große Regisseure haben die Zeit geprägt: Ernst Lubitsch, Friedrich Wilhelm Murnau, Fritz Lang, Georg Wilhelm Pabst. Ihnen und ihren wichtigsten Protago-nisten (Emil Jannings, Peter Lorre, Louise Brooks) ist der Raum gewidmet. Aber es geht auch um die Großstadt, den Bergfilm, den proletarischen Film. Und: Chaplin in Berlin; die Zensurfälle brone-nosec potemkin und all quiet on the western front.

Ein spezieller Mythos: Metropolis. Der Science-Fiction-Film von Fritz Lang mit Heinrich George, Gustav Fröhlich und Brigitte Helm ist eine frühe Meisterleistung der Filmarchitektur und der Effekte. 36.000 Statisten, futuristische Studiobauten, eineinhalb Jahre Produktionszeit, Produktionskosten in Rekordhöhe. In der Ausstellung sind Figuren (Maschinen-Maria, Der Tod und die sieben Todsünden), Entwürfe, Dokumente, Plakate zu sehen. Und Katastrophen-Szenen aus Fritz Lang-Filmen. Im Metropolis-Bereich steigen die Museumsbesucher vom dritten ins zweite Obergeschoss hinab.

Von Berlin nach Hollywood in den zwanziger Jahren: Trans-atlantik. Das Raummotiv ist ein Schiffsdck. Ernst Lubitsch wanderte schon 1922 nah Amerika aus. Friedruch Wilhelm Murnau 1926. Der deutsche Darsteller Emil Jannings erhält für zwei seiner amerikani-schen Filme 1929 den ersten je an einen Schauspieler vergeben „Oscar“. Für eine deutsch-amerikanische Verbindung stehen auch Luis Trenker, Paul Leni, Wilhelm Dieterle, Paul Kohner – und Marlene Dietrich.

Deutschlands einziger Weltstar: Marlene Dietrich. Nach der Urauf-führung des BLAUEN ENGEL (1930) folgt sie ihrem Regisseur Josef von Sternberg nach Hollywood. Sie macht Karriere und erleidet Krisen. Sie ist umgeben von friends and lovers, spielt Haupt- und Nebenrollen in 52 Filmen. 1978 nimmt sie Abschied von der Öffentlichkeit, stirbt 1992 in Paris und wird in ihrer Geburtsstadt Berlin beerdigt. In ihrem Nachlass sind alle Ohasen ihres Lebens aufgehoben. Fotos, Kostüme, Requisiten, Briefe, Dokumente. Es war auch ein politisches Leben. Das Filmmuseum widmet Marlene Dietrich drei Räume.

Ein Raum über Leni Riefenstahl, jene Starregisseurin im National-sozialismus, die sich bis heute im Spannungsfeld zwischen Ruhm und Verachtung befindet. Sie gilt einerseits als geniale Bildgestalterin und andererseits als ehemalige Hitler-Gefolgsfrau, die sich für ihren politischen Sündenfall nie entschuldigt hat. Ihre Schlüsselfilme sind TRIUMPH DES WILLENS und OLYMPIA (zwei Teile).Die Ausstellung präsentiert ein Modell des Olympia-Stadions und dokumentiert, wie Riefenstahl ihre Kameras positioniert hat.

Auch der folgende Raum handelt vom Film im Nationalsozialis-mus. Propaganda, Kinoalltag, Opfer des „Dritten Reiches“. Wie sich Hans Bertram, Hans H. Zerlett und Veit Harlan vom Regime verein-nahmen ließen. Flucht aus dem Alltag zu Lilian Harvey und Willy Fritsch, Zarah Leander, Heinz Rühmann und Hans Albers. Die Verfol-gung und Ermordung des Schauspielers Kurt Gerron. Die dunklen Kapitel deutscher Filmgeschichte werden mit Dokumenten und Filmausschnitten deutlich gemacht.

Flucht vor dem Nationalsozialismus: das deutsche Exil. In Hollywood war die Agentur Paul Kohner ein Zentrum der Hilfe und Vermittlung. Zu den Klienten zählten Ralph Benatzky, Curt Bois, Bertolt Brecht, Fritz Lang, Peter Lorre, Joe May, Max Ophüls, Luise Rainer, Billy Wilder. Die Dokumente in der Ausstellung bezeugen Erfolg und Misserfolg, Hoffnung und Not.

Nachkrieg und Gegenwart: Ost und West, Sozialismus und Wirtschaftswunder, die Mauer, der junge westdeutsche Film, das Fernsehen, Teilung und Einigung. Die Ausstellung konzentriert sich auf Filme zur deutschen Geschichte und Gegenwart mit zehn Schau-spielern: Hildegard Knef, Gert Fröbe, Günther Simon, Heinz Rühmann, Romy Schneider, Angelica Domröse, Mario Adorf, Hanna Schygulla, Otto Sander, Götz George. In ihren Schlüsselfilmen heißen sie Susanne Wallner, Otto Normalverbraucher, Ernst Thälmann, Wilhelm Voigt, Sissi, Paula, Kommissar Beizmenne, Maria Braun, Cassiel (Engel), Horst Schimanski. 55 Jahre deutsche Filmgeschichte (45 getrennt in Ost und West), rigoros reduziert. Sonderausstellungen werden diese Zeit weiter auffächern.

Regisseure und Schauspieler stehen im Mittelpunkt bei diesem Gang durch die deutsche Filmgeschichte. Aber auch das Wirken von Produ-zenten, Autoren, Kameraleute, Szenografen, Komponisten wird gewür-digt. An mehreren Stellen geht der Blick nach Amerika. Noch immer ist Hollywood ein Synonym für Filmkarrieren. Seit fast hundert Jahren werden Künstler und Techniker auch aus Deutschland von den offenbar unbegrenzten Möglichkeiten des amerikanischen Films angezogen. So erweist sich „Transatlantik“ als ein Thema mit vielen Variationen.

Die Chronologie und die Benennung der Themen machen deutlich, wie eng in der Ausstellung die Geschichte des deutschen Films mit der poli-tischen Geschichte Deutschlands verzahnt ist. Dieser Kontext erscheint uns unabdingbar. Gleichwohl ist die Ausstellung keine lückenlose Dokumentation des deutschen Films von seinen Anfängen bis in die Gegenwart. Sie lässt vieles aus, sie setzt Akzente, sie basiert mit ihren Exponaten auf den Schwerpunkten der Sammlungen des Hauses. Sie regt hoffentlich dazu an, Lücken durch Lektüre zu schließen und den Überblick im Kino zu gewinnen.

Künstliche Welten. Ein eigener Bereich handelt von Animation und Illusion in der Geschichte der laufenden Bilder. Die traditionelle Einzel-bild-Animation des Kinos wird am Beispiel der bizarren Creatures und Homunculi von Ray Harryhausen illustriert. Die Filme heißen The 7th Voyage of Sindbad, Clash of the Titanes, Jason and the Argonautes, The Valley of Gwangi und stammen aus den fünfziger bis siebziger Jahren. Ihr Vorbild ist King Kong. Harry-hausen, „Oscar“-Preisträger, belebte seine künstlichen Geschöpfe, Satyrn und Zyklopen einbildweise vor der Kamera, um Geschichten aus der griechischen und arabischen Mythologie zu erzählen. Ein Hand-werker mit hohem Kunstverstand. Wir blicken in seine Werkstatt und sehen die Originalfiguren aus Latex, die er für die Filme lebendig gemacht hat.

Dann folgen die unheimlichen Begegnungen der Dritten Art mit Figuren und Installationen aus dem Weltall. Darth Vader, Robocop, Alien. Raumschiffe, Fliegende Untertassen, Raketenmodelle. Für den Bereich der Science Fiction stehen in der Ausstellung Regisseure wie George Lucas und Steven Spielberg. Hier wird die Entwicklung vom Handwerk zur Computerindustrie deutlich. Rechnergestützte Kamera-effekte beherrschen heute die Bilder der synthetischen Filme.

Die Inszenierung. Das Drehbuch der Ausstellung wurde in der Deutschen Kinemathek für das Filmmuseum Berlin geschrieben. Die Inszenierung lag in den Händen von Hans Dieter Schaal. Bei einer Filmausstellung ist der Gestalter so etwas wie der Regisseur. Die Exponate – da es sich nicht um Kunstwerke, sondern um Bilder und „Dinge“ handelt – müssen ein Umfeld bekommen, das sie zur Geltung bringt. Die Wissenschaftler, die Raumautoren, erarbeiten das inhalt-liche Konzept. Sie geben das historische Material vor, bestimmen die Exponate, sorgen für den Kontext. Der Regisseur gestaltet.

„Die Raumdramaturgie folgt musikalischen Prinzipien: Stille und ver-haltene Zonen gehen über in laute und schrille Bereiche, Brüche, Schnitte, Melodien, Harmonien und Disharmonien. So kann der Weg durch die Filmgeschichte auch zu einem Weg durch das menschliche Bewusstsein werden.“ (Hans Dieter Schaal)

Zur Inszenierung einer Filmausstellung gehören Raumkompositionen, visuelle Installationen, Licht, Farbe (bei Hans Dieter Schaal: Weiß, Schwarz, Grau in allen Abstufungen), Töne, Schriften, Wegführung, Wände, Bauten aus verschiedenen Materialien, Spiegel, Großfotos, hinterleuchtete Dias, Medieninstallationen, Metaphorik, Atmosphäre, auch Vitrinen und Exponate.

Es ist ein Vorurteil, dass Exponate die Kreativität eines Ausstellungs-gestalters behindern. Es ist aber eine Erfahrung, dass Raumautoren und Gestalter die Bedeutung von Exponaten unterschiedlich ein-schätzen können. Es ist also die Balance zwischen historischer Kohärenz und ästhetischer Konsequenz, die über das Gelingen einer Ausstellung entscheidet.

Die Medien. Eine Filmausstellung braucht bewegte Bilder. Als Belege, als Verweise, zur Erinnerung an das Kino, aus dem die Filme entfernt wurden. Ideal wären Dauerprojektionen ohne Verschleiß des Materials, mit den unverwechselbaren Geräuschen des Projektors. Beamer und Videoeinspielungen auf Monitoren sind Hilfsmittel, die uns die fort-schreitende Technik bietet. Der Gang durch die deutsche Filmge-schichte und der Ausflug ins Reich der Effekte wären ohne Bilder, ohne Zitate kaum denkbar. Die Filmausschnitte erklären die Exponate und erzählen im eigenen Fluss möglicherweise ganz unabhängig eine spezielle, zugespitzte Filmgeschichte.

Eine weitere Ebene der Vertiefung und der aktuellen Verknüpfung bieten „Multimedia-Stationen“. Sie sollen dem Besucher die Möglichkeit geben, selbst aktiv zu werden. Ihre Titel: „Visit your star“, „Bewegte Großstadt“, „Transatlantik“, „Licht und Schatten“, „Idole in West und Ost“, „Starometer“, „Make your own robo-movie“. Die Terminals mit ihren multimedialen Installationen bieten die Chance, Bezüge außer-halb der Ausstellungschronologie herzustellen und einige Themen bis in die Gegenwart zu verfolgen.

Der Katalog. Die Texte in diesem Katalog folgen den Themen der Ausstellungsräume. Sie stammen von den Raumautoren, den Beratern oder freien Autoren. Die Verfasser waren vertraut mit den Namen, Filmen und Exponaten, mit den Geschichten, die jeder Raum erzählen soll. Diese galt es für den Katalog zu vertiefen. Jeder Text sollte aber auch ein kleiner Essay sein, der unabhängig von der Ausstellung gelesen werden kann.

Die Bilder in diesem Katalog zeigen fotografierte Exponate, repro-duzierte Dokumente, Abbildungen aus der Ausstellung. Es gibt aber auch Bilder, die nur im Katalog zu finden sind. Bilder sollen Blicke öffnen. In diesem Sinne öffnet und verlagert der Katalog Dimension der Ausstellung in ein anderes Medium. Sicher hat das mit unserem noch immer grenzenlosen Vertrauen in die Kraft des Buches zu tun.

Dank an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutsche Kinema-thek für ihre Geduld und ihren Enthusiasmus. Von der ersten Idee eines eigenen Filmmuseums bis zur Eröffnung vergingen mehr als zwanzig Jahre. Vielleicht musste alles so lange dauern, damit es gut wurde.

Vorwort in: FilmMuseumBerlin. Herausgegeben von Wolfgang Jacobsen, Hans Helmut Prinzler und Werner Sudendorf. Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 2000