Texte & Reden
27. April 1999

John Ford

Text für das Buch „Filmregisseure“, hg. von Thomas Koebner

129 Filme zwischen 1917 und 1966: Western (vor allem dafür war er zuständig), Militär- und Kriegsfilme, Komödien, Sozialdramen, Familiengeschichten, Dokumentarfilme, Irish Pictures, Americana. John Ford hat ein großes Œuvre hinterlassen, das man durchaus als „Kosmos“ im Sinne einer eigenen Welt bezeichnen kann, weil es durch vielfältige Kohärenzen verbunden ist: Themen, Motive, Situationen, Schauplätze, Darsteller, Bildkompositionen, Tonlagen. In der Welt von John Ford ist ein System von Beziehungen zu entdecken, das nicht als kühle Konstruktion entstand, nicht als Artefakt, sondern als Resultat eines fünfzig Jahre lang professionell betriebenen Jobs, man könnte auch sagen: aus dem Bauch heraus.

Ford hatte prominente Bewunderer. Orson Welles, nach Vorbildern befragt: „Die alten Meister. Und damit meine ich John Ford, John Ford, John Ford.“ Als Sergej Eisenstein sich selbst fragte, welchen Film eines anderen Regisseurs er gern gedreht hätte, fiel ihm John Fords young mr. lincoln ein. Akira Kurosawa: „Ich bewundere John Ford. Ich glaube, daß seine Western wirklich große Monumente in der Filmgeschichte darstellen.“ Ähnlich haben sich Wsewolod Pudowkin, Ingmar Bergman oder Douglas Sirk geäußert. Für Andrew Sarris, den kritischen Chronisten des amerikanischen Kinos, gehört Ford – wie Chaplin, Griffith, Hawks oder Hitchcock – natürlich zu den „Pantheon Directors“. In Europa, zumal in Deutschland, wurden John Fords Filme der Dreißiger und Vierziger zeitlich verschoben wahrgenommen. Sie kamen in den Fünfzigern eher zufällig und vereinzelt in die Kinos, durch Kürzungen, kuriose Titel und schlechte Synchronisationen beschädigt. Sie begegneten ideologischen Vorbehalten („erzreaktionär“) oder einem generellen Unverständnis: zu trivial („Wildwestfilm“), zu naiv („nur für einfache Gemüter“).

Erst Anfang der siebziger Jahre, kurz vor seinem Tod, begann in der Bundesrepublik eine reflektiertere Ford-Rezeption, ausgelöst durch eine umfängliche Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum mit nachfolgenden Werkschauen in westdeutschen Kommunalkinos und Fernsehprogrammen, publizistisch sachkundig begleitet (Wolf-Eckart Bühler, Frieda Grafe, Enno Patalas). Auch das Schlusskapitel von Peter Handkes Roman „Der kurze Brief zum langen Abschied“ (1971) über eine fiktive Begegnung der Protagonisten mit John Ford gehört in diesen Zusammenhang. Den Nachrufen aus dem Jahr 1973 (Hans C. Blumenberg, Wilfried Wiegand, Wolfram Schütte) folgten ein Essayfilm (der schauplatz des krieges, 1976) und ein dreiteiliger Passagentext („Gelbe Streifen Strenges Blau“, Filmkritik 1978-1980) von Hartmut Bitomsky, sowie die deutsche Übersetzung zweier amerikanischer Ford-Bücher (Baxter, 1980, Place, 1984). Ein eigenständiges deutschsprachiges Buch über John Ford gibt es bis heute nicht. Fritz Göttler, 1994: „Der Mythos lebt, das Werk scheint verschwunden. Wehmut und Trauer, Nostalgie und Resignation, ein Schleier hat sich um die Filme gelegt, gerade nachdem sie einmütige Anerkennung in aller Welt gewannen.“ Wie das Western-Genre dem Kino mehr und mehr entrückt, gleitet das ganze Ford-Œuvre zurück in eine Vergangenheit, als verschwinde es bereits hinter einer Jahrtausendwende. Wer war John Ford?

Verschiedene Biografen (Ronald L. Davis, Tag Gallagher) haben sich in jüngerer Zeit bemüht, einige Legenden seiner Kindheit und Jugend von Widersprüchen zu reinigen, auch wenn Ford selbst immer den Respekt vor Legenden gefordert hat. Die Geburtsurkunde ist auf das Jahr 1894 datiert, Ford selbst hat 1895 den Vorzug gegeben, und so steht es auch auf seinem Grabstein. Geboren als elftes Kind einer irischen Einwandererfamilie auf einer Farm in Cape Elizabeth/ Maine mit dem Namen John Martin Feeny, den er in seiner Jugend in Sean Fearney umformt. Er wächst in Portland auf, wo die Eltern ein Restaurant betreiben, und reist elfjährig mit dem Vater für mehrere Monate nach Irland. 1914, nach Abschluss der Highschool und einem kurzen Gastspiel an der University of Maine folgt er dem älteren Bruder Francis nach Hollywood. Francis hat sich dort den Nachnamen Ford zugelegt und ist als Regisseur wie als Schauspieler bei Universal erfolgreich, John verdingt sich, in enger Verbindung mit dem Bruder, als Gelegenheitsarbeiter und Aushilfsdarsteller, steigt schnell zum Regieassistenten auf, professionalisiert seine Arbeitsweise und dreht 1917 seinen ersten Film als Regisseur: einen Western mit dem Titel the tornado.

Zunächst nennt sich John noch Jack Ford, häufig ist er auch der Hauptdarsteller in seinen One- oder Two-Reelers. Ab 1919/20 folgt eine Serie von 22 Western mit Harry Carey (meist als zwielichtiger Held Cheyenne Harry), oft mit Molly Malone als Partnerin. Als erster Non-Western gilt the prince of avenue a(1920), sein 32. Film. Ab 1921 arbeitet Ford für die Firma William Fox. Sein erster episch-langer Film the iron horse / das eiserne pferd (1924) erzählt die Geschichte des transkontinentalen Eisenbahnbaus in der Pionierzeit. three bad men /drei rauhe gesellen (1926) erinnert an den Landrush 1876 in Dakota. Der Film ist ein Misserfolg, und 13 Jahre lang dreht Ford keinen Western mehr. In four sons / vier söhne (1928) geht es um eine bayerische Familie im Ersten Weltkrieg; nachdem drei ihrer Söhne gefallen sind, macht sich die Mutter auf die Suche nach dem vierten in Amerika. Fords erster Tonfilm ist die historische Komödie napoleon’s barber (1928). Die meisten Ford-Filme der zehner und zwanziger Jahre gelten als verloren, als seien sie nur Vorübungen zu den Filmen der dreißiger und vierziger Jahre gewesen. Wenn Ford Ende der Zwanziger gestorben wäre, mutmaßt Andrew Sarris, hätte er nur als Fußnote in der Filmgeschichte überlebt; the iron horse sei von Griffith beherrscht, four sons von Murnau, es gäbe nur einzelne Momente, in denen Ford schon ganz bei sich selbst sei.

In den dreißiger Jahren erweitern sich die Genres im Ford-Oeuvre: Kriegsfilm (seas beneath / unter der see, 1931, the lost patrol / die letzte patrouille, 1934), Arztdrama (doctor bull / dr. bull), Melodram (flesh / fleisch, 1932), Americana (the world moves on / das leben geht weiter, 1934, steamboat round the bend / mit volldampf voraus, 1935), Gangsterfilm (the whole town’s talking / stadtgespräch, 1935). Mit the informer / der verräter (1935), der Geschichte eines Freundschaftsverrats im irischen Freiheitskampf 1922, erreicht Ford den ersten wirklichen Höhepunkt seiner Karriere: vier Oscars (für die Regie, das Drehbuch [Dudley Nichols], den Hauptdarsteller [Andrew McLaglen] und die Musik [Max Steiner]) und höchstes Lob der Kritik.

Die Jahre 1939 bis 1941 sind Fords erfolgreichste überhaupt. Er dreht sieben Filme, die neun Oscars (davon zwei für ihn als Regisseur) und insgesamt 23 weitere Nominierungen erhalten: stagecoach / ringo, young mr. lincoln / der junge mr. lincoln, drums along the mohawk / trom meln am mohawk, the grapes of wrath / früchte des zorns, the long voyage home / der lange weg nach cardiff, tobacco road / tabakstrasse und how green was my valley / schlagende wetter. In diesen Filmen ist die soziale Komponente thematisch stärker als sonst betont (Vertreibung, Arbeitslosigkeit), sie folgen überwiegend literarischen Vorlagen und bilden in der Wertschätzung der Kritik ein Kernstück des Ford-Werkes. Dreimal ist Henry Fonda der Hauptdarsteller. Mit dem Kriegseintritt der USA wird John Ford bei der amerikanischen Marine zum Chief of the Field der Photographic Branch. Zwei der Dokumentarfilme, die er in dieser Funktion als Regisseur betreute, erhielten Oscars: the battle of midway (1942) und december 7th (1943, zusammen mit dem Kameramann Gregg Toland). Mit dem Kriegsfilm they were expendable / schnellboote vor bataan meldet sich Ford 1945 in Hollywood zurück. John Wayne spielt eine Hauptrolle, im Tonfall eher skeptisch als patriotisch.

Mit einem seiner schönsten Western knüpft Ford 1946 an die Vorkriegszeit an: my darling clementine / faustrecht der prärie. Erzählt wird die Befriedung einer außer Kontrolle geratenen Kleinstadt, Tombstone, durch das legendäre Duo Wyatt Earp (Henry Fonda) und Doc Holliday (Victor Mature). Das Sonntagvormittags-Ritual des Films ist Bestandteil jeder Ford-Anthologie. Zusammen mit Merian C. Cooper gründet er die Produktionsfirma „Argosy Pictures“ und erleidet mit seinem Wunschprojekt the fugitive / befehl des gewissens (1947), nach einem Roman von Grahame Greene, einen kommerziellen Fehlschlag. In den folgenden Jahren ist wieder Western-Zeit für John Ford, es entstehen u. a. die Wayne-Kavallerie-Trilogie fort apache / bis zum letzten mann, she wore a yellow ribbon / der teufelshauptmann und rio grande und einer seiner eigenen Lieblingsfilme, wagon master / westlich st. louis (1950), die Geschichte eines Mormonentrecks, gedreht ohne große Stars.

Fords fünfziger Jahre – das sind zwei Meisterwerke: the quiet man / der sieger und the searchers / der schwarze falke, beide mit John Wayne in der Hauptrolle. Einmal spielt er einen aus Amerika zurückkehrenden Iren, der eine Widerspenstige (Maureen O’Hara) zähmt, das andere Mal einen Indianerhasser, der seine Nichte aus der Gewalt der Comanchen befreien will. der schwarze falke gilt als einer der komplexesten Western der Filmgeschichte. Erfolge hat Ford auch in anderen Genres: Kriegsfilm (what price of glory, 1952), Militärfilm (the long gray line / mit leib und seele, 1955), Abenteuerfilm (mogambo, 1953), Familienfilm (the sun shines bright / wem die sonne lacht, 1953),Irland-Film (the rising of the moon, 1957),Krimninalfilm (gideon of scorland yard / chefinspektor gideon, 1959), Americana (the last hurrah / das letzte hurrah, 1958).

Die Alterswerke in den sechziger Jahren – The man who shot liberty valance / der mann, der liberty valance erschoss (1962), cheyenne autumn / cheyenne (1964), seven women / sieben frauen (1966) – rekapitulieren, variieren, neigen zur Versöhnung. Vor allem liberty valance, die Inszenierung eines raffinierten Showdowns, wurde zum Lieblingsobjekt der Ford-Exegeten, während cheyenneals späte Reverenz vor den Indianern geschätzt wird.

John Ford stirbt im September 1973 in Palm Deserts an Krebs. Er wird auf dem katholischen Holy Cross Cemetery and Mausoleum in Los Angeles beerdigt. Er hinterläßt eine Frau, Fances Mary McBride, die er 1920 geheiratet hatte, und zwei Kinder: Barbara und Patrick.

Wenn von einem John Ford-Kosmos die Rede ist – wie man von einem Jean Renoir-, einem Yasujiro Ozu-, einem Ingmar Bergman-Kosmos sprechen kann – dann meint das eine spezifische Konstellation von Personen, Bildern und Tönen, Räumen und Landschaften, Ritualen und Mythen, die als erkennbares Zeichensystem zu identifizieren ist. Georg Seeßlen nennt Ford den „wohl größten Mythopoeten des amerikanischen Films“.

Im Kern geht es immer wieder um Heimat und Familie, um die Suche nach Glück und Würde in einem historisch-geografisch-emotionalen Zusammenhang, den Ford selbst „Territory“ genannt hat. Immer ist dieses Territory Gefahren, Angriffen und Zerstörungen ausgesetzt, ist das Zuhause aufs äußerste bedroht oder geht gänzlich verloren. Familien werden getrennt, Kinder entführt, Hinterbliebene machen sich auf die Suche. Was eben noch als Idylle erschien, verliert das Fundament. Häuser, Forts, Siedlungen brennen bis auf die Grundmauern ab. Übrig bleiben: Ruinen, Gräber, Heimatlose. Immer wieder geht es um Verluste: von Menschen, von Utopien, von Orten, von Identitäten.

Wenn er denn der konservative Chronist des amerikanischen Traums war, dessen Zentrum in der Vergangenheit, im 19. Jahrhundert lag, dann formulieren seine poetischen Chroniken, seine Balladen, Rhapsodien und scheinbar einfachen Geschichten auch Alpträume, tiefe Abgründe, zusammengebrochene Visionen. Spätesten seit den vierziger Jahren dominieren Brüchigkeit, Melancholie und Zynismus. Harmonisches Miteinander endet immer wieder in schmerzvoller Einsamkeit. Davon sind vor allem die Männer betroffen: engstirnige, brutale, wahnsinnig werdende Helden, die am Ende ihren Weg als Loner fortsetzen. Sie kommen selten in einem Zuhause an.

Immer noch und immer wieder wird John Ford eine Fixierung auf patriarchalische Strukturen auf Männerwelten nachgesagt. Das Personal seiner Filme ist „more male than female“. Die Stock Company nennt dreimal mehr Männer als Frauen. Aber bei genauem Hinsehen sind es immer wieder Frauen, sind es die Spuren von Matriarchaten, deren beherrschende Kräfte im Hintergrund deutlich werden.

Verschiedene Aspekte des John Ford-Kosmos finden in unserem Erfahrungsfeld zwischen europäischer Hochkultur und amerikanischem Pop keinen Identifikationspunkt mehr. Der Korpsgeist der Kavallerie, antipodisch ausgespielt gegen das zivile Leben, erscheint uns vielleicht lächerlich, aber er hat im Kontext der amerikanischen Sozialhierarchie, in der die Berufssoldaten weit unten angesiedelt sind, durchaus ironisch zu verstehende Konnotationen. Auch mit dem unvermittelten Ausbruch fröhlicher Musik – Country, Folk, Marsch – tun wir uns schwerer als die Amerikaner (& Iren), denen der Umgang mit popular culture eine Alltäglichkeit ist.

Fords Tonfilme sind in ihrer Reihung ein Panorama amerikanischer Geschichte. Die 15 Western als spezifische US-Heimatfilme sowieso. Aber auch jene Familienstorys aus den kleinen Städten des Südens, in denen vorwiegend die Sonne scheint und die Tradition gepflegt wird, die Kriegsfilme aus World War I and II, bei denen es mehr um die inneren Konflikte, um Disziplin und Moral und weniger um die Frontlinien geht, die Historienfilme (allen voran: young mr. lincoln) – immer ist in den Geschichten Geschichte verwahrt. Die Schilderung der Vergangenheit bemüht sich dabei nicht um Wirklichkeit, sondern um die Deutung (auch Beschwörung) moralischer Haltungen, um Legenden und Mythen. Erst ganz spät, in den Sechzigern, im Spätwestern the man who shot liberty valance, wird die Frage nach den Legenden selbst thematisiert und problematisiert.

Zuhause und unterwegs sind die gegensätzlichen Lebensumstände bei John Ford. Zuhause bedeutet Arbeit, Wohnen, Essen, Existenzsicherung, Alltagsunterbrechung durch soziale Rituale: Geburt, Hochzeit, Tanz, Kartenspiel, Predigt, Parade, Begräbnis. Für jedes Ritual gibt es spezifische Inszenierungen, die ihren Rhythmus aus der Musik empfangen. Zuhause geht der Blick der Ford-Menschen, der Siedler, Farmer, Cowboys und Frauen, aber auch immer wieder zum Horizont. In Angst, Erwartung, Sehnsucht.

Unterwegs bedeutet Suche nach Heimat, Hoffnung auf Ankunft, Willen zum Neubeginn nach einer Niederlage oder einem Verlust. Unterwegs sind meist mehrere Personen gemeinsam: in einem Treck mit Planwagen, in einer Kutsche, in einem Konvoi. Unterwegs zu sein ist gefährlich, der Feind kommt von außen und das innere Gefüge der Gruppe wird auf die Probe gestellt.

Selten gibt es bei Ford den einzelnen Helden. Tugenden sind auf mehrere Personen verteilt: in einer Familie, in einer Gruppe. Auch „die Guten“ tragen Schatten der Vergangenheit mit sich, sind widersprüchliche Charaktere. Zuweilen haben sie historische Namen (Wyatt Earp, Doc Holliday, die Generale Sherman und Grant). Das gibt ihnen aber keine reale Authentizität. Das ergänzende Personal ist überschaubar und wird durch äußere Merkmale, Angewohnheiten, Ticks, running gags oder Requisiten charakterisiert.

Einen Teil ihrer Wirkung erreichen Ford-Filme durch Regelhaftigkeit. Muster sind wieder erkennbar, Schauplätze und Handlungselemente lassen sich über die Genres hinaus identifizieren. Es herrscht ein spezifisches Klima, das von Beginn an durch Titelschriften, Musik, Erzählstimme und atmosphärische Introduktion erzeugt wird. Landschaften spielen dabei eine entscheidende Rolle. Arizona, Texas, New Mexico, Utah, seltener Kalifornien, gelegentlich Irland. Weite Horizonte, bizarre Felsen (nicht nur im Monument Valley), ein hoher Himmel in Amerika, sanfte Hügel in den irish pictures und das bewegte Meer in den Marinefilmen. Extrem klein sind die Lebensorte der Menschen dimensioniert: Dörfer, Siedlungen, enge Häuser, Hütten oder Zelte und eng ist es auch in den Verkehrsmitteln auf den langen Reisen: Planwagen, Kutsche, Eisenbahn, Boot. Einzig die Pferde haben alle Freiheit, die Weite ungehindert zu durchqueren. Feinde verbergen sich im Schutz der Natur.

Jede Figur in John Ford-Filmen ist zunächst Typisierung eines Berufs, einer Funktion, einer Rolle: der Arzt, der Barbier, der Barmann, der Beerdigungsunternehmer, der Hotelangestellte, der Indianerhäuptling, der Kaufmann, der Kutscher, der Pastor, der Richter, der Schmied, der Sheriff, der Spieler, der Telegraphist (dazu im Militärwestern: der Captain, der Colonel, der Lieutenant, der Major, der Rekrut, der Sergeant, der Trompeter, der Trooper) – die Krankenschwester, die Lehrerin, die Mexikanerin, die Mutter, die Prostituierte, die Sängerin, die Schwangere, die Siedlerin, die Soldatenfrau, die Squaw. Die Typisierung wird aufgehoben durch Darsteller, die in Ford-Filmen immer wieder, aber oft auch in unterschiedlichen Rollen auftreten. Ein Lexikon der „Stock Company“ hat Wolf-Eckart Bühler zusammengestellt (Filmkritik, Nr. 181, Januar 1972).

Als berühmtester Ford-Darsteller gilt John Wayne (1907-1979), der bei ihm 14 Hauptrollen spielte, die beeindruckendste als Ethan Edwards in the searchers (1957): sieben Jahre auf der Suche nach seiner Nichte, die von Indianern entführt wurde. Henry Fonda brachte es auf sechs Hauptrollen (Höhepunkt: der junge Abraham Lincoln), Victor MacLaglen auf zwölf, zuletzt, sechsundsechzigjährig, als rauflustiger irischer Schwager in the quiet man. Unter den Frauen nimmt die eigenwillige Maureen O’Hara mit fünf Hauptrollen die führende Position ein. Mit so berühmten weiblichen Hollywood-Stars wie Katharine Hepburn, Barbara Stanwyck, Claudette Colbert, Donna Reed, Linda Darnell, Ava Gardner und Grace Kelly hat Ford jeweils nur einen Film gedreht. Zur sogenannten Stock Company gehörten vor allem Nebendarsteller. Die wichtigsten Namen aus der Tonfilmzeit sind in diesem Zusammenhang: Ward Bond, Willis Bouchey, John Carradine, Andy Devine, Ben Johnson, J. Farrell MacDonald, Jack Pennick, John Qualen, Hank Worden.

Ford hat mit den verschiedensten prominenten Drehbuchautoren, Kameramännern und Komponisten zusammengearbeitet, die – in tiefem Respekt vor seiner komplexen Professionalität – ihre individuellen Handschriften seinem Stil untergeordnet haben. Relativ konstant war die Kooperation mit den beiden Autoren Dudley Nichols (13 Filme zwischen 1930 und 1947) und Frank S. Nugent (elf Filme zwischen 1948 und 1961). Von den für Ford wichtigen Kameraleuten müssen Joseph H. August (neun Filme zwischen 1930 und 1945), George Schneiderman (sechs, 1930-1935), Bert Glennon (acht, 1936-1960), Arthur C. Miller (vier, 1937-1941), Winton C. Hoch (fünf, 1948-1956) und William H. Clothier (vier, 1959-1964) genannt werden. Gefragt war eine sehr funktionale Kameraführung, es wurde sparsam gedreht. Bei den Komponisten kam es häufiger zur Zusammenarbeit mit Alfred Newman (neun Filme zwischen 1931 und 1962) und Max Steiner (sechs, 1934-1956). In der Musik spielen Zitate, folkloristische Elemente emotionalisierende Melodien eine wichtige Rolle.

Ford hat sich, seine Arbeit als Regisseur und seine Haltung zu seinen Filmen in nicht zu zählenden Interviews je nach Stimmung und Laune, Anlass und Gelegenheit, Gesprächspartner und Ort, Jahreszeit und Lebensphase stilisiert, ironisiert, radikalisiert, und sich vor allem von allem distanziert. Auf Peter Bogdanovichs ernsthafte Frage, wie eine bestimmte Szene aufgenommen worden sei, antwortete Ford lakonisch, aber korrekt: „Mit der Kamera.“ Wenn man all die bewegenden Momente und die kleinen, oft beiläufigen Gesten, die einem aus Ford-Filmen im Gedächtnis geblieben sind, aufzulisten beginnt, stellt man bald fest, dass ihre Zahl gegen unendlich geht. Andererseits funktioniert ihre Beschreibung nur für den, der diese Filme jemals gesehen hat.

Thomas Koebner (Hg.): Filmregisseure. Stuttgart: Philipp Reclam jr. 1999.