Texte & Reden
24. Oktober 1998

Sohrab Shahid Saless (1944-1998)

Nachruf in der Mitgliederversammlung der Akademie der Künste

Abschied von Sohrab Shahid Saless. Geboren 1944 in Teheran. Gestorben 1998 in Washington, D.C. Mitglied unserer Akademie seit 1984.

Müssen wir nicht eingestehen, daß wir uns eigentlich schon vor längerer Zeit von ihm verabschiedet haben? Zum Beispiel 1992, nach seinem letzten Film, Rosen für Afrika, einer dreistündigen Reflexion über Einsamkeit und Gewalt. Danach bekam er keinen Auftrag mehr in Deutschland.Oder 1994, als er in Frankfurt am Main den Großen Preis der Stiftung des Verlags der Autoren für sein „Gesamtwerk“ entgegennahm. Wie für etwas abgeschlossenes, beendetes.

Es wanderten noch zwei seiner Drehbücher durch Gremien und Fernsehredaktionen, begleitet vom Nachhall eines Künstlers, der aus der Zeit gefallen war. Nicht zu finanzieren, nicht zu vermarkten, nicht zu senden. Gescheitert an den Medienerwartungen der neunziger Jahre.

„Die Wirklichkeit im heutigen Leben der Bundesrepublik wird leider immer mehr verschwiegen.“ Schrieb Saless 1983 in einem Text mit dem Titel „Kultur als harte Währung“. Und weiter: „Die Ausrede ist, es bringe kein Geld. Es sei nicht wirtschaftlich. – Kultur ist Kultur und Wirtschaft ist Wirtschaft! Wußten Sie das nicht? Es passiert häufig, daß man hier zu alter Literatur greift oder tote Genies aus dem Grab holt, um sie zu rekonstruieren. Es gibt so viele junge Menschen, die ohne Arbeitsstelle herumlaufen und zu Drogen und Alkohol greifen. So viele geschiedene Frauen, die mit ihren Kindern allein leben. Kinder, die statt eines Vaters manchmal fünf Onkel, einen nach dem anderen, erleben. Sind das keine Themen? In einem demokratischen System wie in der Bundesrepublik denke ich, daß auch Kritik erlaubt sein müßte. Daß man auch düstere Geschichten, die auf Tatsachen basieren, erzählen dürfte. Das Publikum“ – schrieb Saless 1983 – „ist aufnahmebereit. Es ist daran interessiert, von der Gesellschaft, in der es lebt, einiges zu erfahren.“

Hat Sohrab Shahid Saless dieses Publikum überschätzt? Von 1974 bis 1994, zwanzig Jahre lang, lebte der aus dem Iran stammende Regisseur in der Bundesrepublik, vor allem in Frankfurt und Berlin, unterbrochen von Aufenthalten in der Tschechoslowakei. In diesen zwanzig Jahren entstanden vier Kinofilme, sieben Fernsehfilme, zwei Dokumentarfilme.

Die Titel sind unspektakulär, die Filme nur noch Kennern bekannt: In der Fremde, Reifezeit, Tagebuch eines Liebenden, Die langen Ferien der Lotte H. Eisner, Ordnung, Grabbes letzter Sommer, Ein Leben – es handelte sich um das Leben seines Lieblingsautors Anton Tschechow – Empfänger unbe- kannt, Utopia, Hans – ein Junge aus Deutschland, Der Weiden baum, Wechselbalg, Rosen für Afrika.

Keiner dieser Filme war ein großer Publikumserfolg. Jeder dieser Filme trug die unverwechselbare Handschrift seines Regisseurs. Wie bei Herbert Achternbusch, bei Helma Sanders-Brahms, bei Werner Schroeter.

Mit einer Genauigkeit, die man besessen nennen kann, entwarf Saless Porträts von leidenden Menschen. Einsamkeit, Gewalt, Unterdrückung, Liebessehnsucht sind in seinen Filmen die psychologischen Grundlagen. Für die Darstellung sozialer Realität benutzte er nicht das dokumentarische Abbild, sondern die kunstvolle Stilisierung: durch die Inszenierung des Unscheinbaren, die Gestaltung des Alltäglichen. In Bildern, Geräuschen, sparsamen Dialogen, in einer oft alptraumhaften Beschwörung von Raum und Zeit.

„Düster“ wurden seine Filme genannt, nannte er sie auch selbst. Als „schwierig“ galt ihr Regisseur. Zu schwierig, zu düster für die deutsche Realität der neunziger Jahre? Ein seltsamer Widerspruch.

So ging Sohrab Shahid Saless zum zweiten Mal in die Emigration. 1974 war er aus dem Iran nach Deutschland gekommen. 1994 emigrierte aus Deutschland nach Amerika. Nicht nach Kalifornien, sondern ins Nirgendwo der Großstädte: Chicago, Washington.

Es war ein leiser, wortloser Abschied. Im April 98 gab es ein Lebenszeichen. Aber dann, drei Monate später, den zweiten, endgültigen Abschied. Als wollte er uns für seine Leiden doppelt bestrafen.

Akademie der Künste, Berlin, 24. Oktober 1998