Texte & Reden
01. September 1996

Heinz Rathsack

Beitrag zur DFFB-Jubiläumsbroschüre „Momente des Lernens“

Damals, im Jahr nach 68, kam ich frisch von der Universität, hatte bei Fritz Eberhard und Harry Pross Publizistik studiert und als Assistent einige Filmseminare geleitet. Ich steuerte eigentlich auf eine Stelle an der Kinemathek zu und wurde etwas zufällig Studienleiter an der Film- und Fernsehakademie. Das war nach der Relegation von 18 Studenten und dem Ausscheiden des Co-Direktors Erwin Leiser. Ich war erstaunt, daß mir der verbliebene Direktor trotz meiner eher fragmentarischen institutionellen Erfahrungen, meines recht schüchternen Auftretens und meiner fehlenden praktischen Filmkenntnisse in einer Krisenzeit seiner Akademie so viel Verantwortung übertragen wollte. Einen Studienleiter hatte es bis dahin nicht gegeben. Das Feld war nicht bestellt, die Ausbildung sollte neu strukturiert werden. So redeten sich die verbliebenen Studenten und ein halbes Dutzend sehr unterschied-licher Dozenten über das Verhältnis von Theorie und Praxis die Köpfe heiß. Die Diskussionen wurden protokolliert, zum Teil gefilmt und begannen immer wieder am Punkt Null. Wie in diesen Turbulenzen ein Direktor Ruhe bewahren und Übersicht behalten kann, hat mich damals und in den folgenden Jahren tief beeindruckt. Eine gewisse norddeutsche Distanz kam ihm dabei sicherlich zu Hilfe. Er konnte sogar noch lächeln. Er war selten streng, weil ihn das besondere Mühe kostete. Denn er sehnte sich nach Harmonie. Es versteht sich, daß diese Harmonie damals nicht zu haben war. Schließlich ging es der Mehrzahl der Studenten um fundamentale gesellschaftliche Wider-sprüche, um ihre spezielle Variante eines Klassenkampfes. Ich erinnere mich an viele Sitzungen: Abteilungsleiterbesprechung, Akademischer Rat, Dozentenkonferenz, Kuratorium. Der Direktor hatte eine erstaunliche Fähigkeit, den Verlauf und die Ergebnisse solcher Sitzungen zu interpretieren. Er entdeckte auch nach Niederlagen und Enttäuschungen immer einen Ausweg. Das setzte große Geduld voraus und die Kraft zum Umweg, zur längeren Strecke. Bestimmte Ziele durfte man dabei nicht aus den Augen verlieren. Er kannte, wie kaum jemand sonst, die Spielregeln der Kulturpolitik und die Mechanismen der Bürokratie. Und so führte er mich – fast väterlich – in die Welt der Verwaltung ein.

Die siebziger Jahre an der DFFB – das waren meine Universitäten. Ich habe viel von den Studenten gelernt. Von ihrer Rigorosität, ihrer Egomanie, ihrem Gruppengeist und ihrer individuellen Kraft. Ich habe von den Filmen gelernt, die dort gemacht und gezeigt wurden. Aber die intensivsten Momente des Lernens damals in der Pommernallee 1, 5. Stock, bleiben für mich verbunden mit Heinz Rathsack, Helene Schwarz und Klaus Wildenhahn.

In: Reinhard Hauff (Hg.): Momente des Lernens. Berlin: DFFB 1996