Texte & Reden
20. August 1993

Filmmuseen – Visionen, Traditionen

Referat im Filmmuseum Düsseldorf

Lieber Herr Jaeger, lieber Herr Redottée, liebe Heidi Draheim,

ich gratuliere Ihnen – persönlich, im Namen meiner Berliner Kolleginnen und Kollegen und im Namen der hier anwesenden internationalen Gäste – zu Ihrem Filmmuseum, das wir gestern besichtigt haben und das morgen eröffnet wird. Herzlichen Glückwunsch an die Stadt Düsseldorf und an das Land Nordrhein-Westfalen, dass nach langjähriger Vorbereitung dieses Projekt nun vollendet worden ist. Dies ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der Anlass für ein Symposium, bei dem die Vertreter einiger Institutionen, die in näherer oder fernerer Zukunft ein Filmmuseum einrichten wollen, unter dem Titel „Visionen, Traditionen“ über ihre Träume sprechen dürfen.

Als erster Referent habe ich es leicht: Noch ist nichts Wegweisendes gesagt worden. Sie alle sind relativ frisch und aufmerksam. Andererseits – das macht es für mich schwer – erwartet man am Anfang immer etwas Grundsätzliches, möglichst eine Theorie oder wenigstens ein paar Thesen, an denen man sich dann abarbeiten kann. Ich formuliere einige Ausgangspunkte und berichte dann über zwei Berliner Erfahrungen.

Worüber wir wohl nicht reden müssen, ist das Filmmuseum als ein Ort, wo ausschließlich Filme gezeigt werden. Unser Kollege Enno Patalas nennt sein Kino in München „Filmmuseum“. Er lässt dort, in einem schönen, schwarzen Raum – technisch möglichst perfekt – , Filme projizieren. Er tut das mit Kennerschaft, er denkt sich originelle Programme aus und sucht die besten Kopien. Seine Arbeit an Filmrekonstruktionen miteinbezogen, betreibt Patalas ein Spezialarchiv und ein Kino. Darüber sprechen wir heute allenfalls am Rande.

Filmmuseen, über die wir hier reden wollen und von denen eines morgen eröffnet wird, sind Orte für eine überschüssige Neugier, wie es sie in der Musik, in der Literatur, in der Bildenden Kunst so kaum gibt. Die Popularität des Films, seine schwer durchschaubaren Produktionsvorgänge, seine tiefgreifenden Phantasien und Mythen, seine ziemlich komplizierte Technik, seine vielfältigen Beziehungen zu anderen Künsten, sein Zusammenspiel mit Mode und Design, mit Politik und Ökonomie – all das schafft die Neugierde, hinter den Film zu schauen, hinter die Kamera, hinter die Kulissen, ins Innere eines schöpferischen Prozesses. Diese Neugierde ist mit Filmbüchern und Fernsehsendungen nur teilweise zu befriedigen. Diese Neugierde drängt in eine dritte Dimension: Studiotour, Ausstellung, Filmmuseum. Gefragt sind: Originale, Schauplätze, Erlebnisse.

Filmmuseen können diese Bedürfnisse in Erkenntnis, Aufklärung und Reflexion verwandeln. Sie zeigen, wie sich die optische Wahrnehmung des Menschen, wie sich das Medium Film und seine Geschichte entwickelt haben. In einer bestimmten Zeit, in einem bestimmten Land. Ein Filmmuseum in Amerika, in Argentinien, in Australien, in Kanada oder in Schweden wird anders zu konzipierten sein als ein Filmmuseum in Deutschland. Denn von der Geschichte seines Landes ist der Film kaum zu trennen.

In Amerika ist es möglich, die Filmgeschichte in Dekaden zu teilen: in die zehner, zwanziger, dreißiger, vierziger Jahre usw. In Deutschland wird es noch lange die Filme der Weimarer Republik, der Nazi-Zeit, der Bundesrepublik und der DDR geben. Andere Zäsuren – Stummfilm/Tonfilm, Schwarzweißfilm/Farbfilm, Breitwandfilm/Fernsehen – sind zusätzlich zu bedenken. Sie definieren in Deutschland keine primären Phasen der Filmgeschichtsschreibung. Das lässt sich entsprechend auf die Konzeption der Filmmuseen übertragen.

Andererseits müssen die deutschen Filmmuseen damit fertig werden, dass ihnen viel weggenommen wurde: durch die Zerstörung der Kriege, durch ökonomische Konkurse, durch kulturelles Desinteresse am Film und einen erschreckenden Mangel an Geschichtsbewusstsein.

Was uns immer vor Augen steht, sind einige spezifische Filmgenres. In alphabetischer Reihenfolge: der Arzt- und Krankenfilm, der Heimatfilm, der Karl-May-Film im Westen, der Indianerfilm im Osten, der Kulturfilm, der Lehrerfilm (= Paukerfilm), die Literaturverfilmung, der Preußenfilm, der Schlagerfilm, der Straßenfilm. Die Aufzählung macht deutlich, dass wir uns filmhistorisch an sehr eigenen Problemen abzuarbeiten haben. Stellen Sie sich ein Filmmuseum vor, in dem diese spezifisch deutschen Genres im Mittelpunkt stünden. Müssen wir uns da nicht glücklich schätzen, in internationale Entwicklungen eingebunden zu sein und ein paar Filmkünstler gehabt zu haben, die Weltgeltung erlangten?

Ein Rückblick auf die letzten 15 Jahre bundesdeutschen Films 1978-1992 bringt ein weiteres Problem zutage. Wenn ich aus dieser Zeit zehn künstlerisch bedeutende Werke zu nennen hätte, wären dies: DIE BLECHTROMMEL, DIE EHE DER MARIA BRAUN, DIE BLEIERNE ZEIT, LOLA, FITZCARRALDO, DIE MACHT DER GEFÜHLE, PARIS – TEXAS, HEIMAT, DER HIMMEL ÜBER BERLIN, MALINA.

Auf einem ganz anderen Blatt stehen folgende Titel: CHRISTIANE F. – WIR KINDER VOM BAHNHOF ZOO, DAS BOOT, THEO GEGEN DEN REST DER WELT, DIE UNENDLICHE GESCHICHTE, OTTO – DER FILM, MÄNNER, OTTO – DER NEUE FILM, ÖDIPUSSI, PAPPA ANTE PORTAS, WERNER – BEINHART. Das waren die erfolgreichsten westdeutschen Filme seit 1979.

Die Schere zwischen ökonomischem Erfolg und künstlerischem Wagnis öffnet sich in Deutschland, vielleicht in ganz Europa, immer weiter. Schlimmer noch: Es entstehen bei uns immer weniger erfolgreiche und immer weniger künstlerische bedeutende Werke. Damit sind nicht nur filmpolitische Konsequenzen verbunden (Stichwort: Filmförderung), sondern auch Fragen der Darstellung und Selbstdarstellung des deutschen Films, dem als schlimmste Beleidigung nachgesagt wird, er gehöre ins Museum. Aber so verstehen wir unsere Filmmuseen natürlich nicht. Wir wollen dort etwas ausstellen, worauf wir stolz sein können und was von den Besuchern zumindest mit Interesse, besser noch mit Faszination betrachtet wird.

Es ist möglich, dass die aktuelle Bedeutungslosigkeit unseres Films auch zu einem Problem deutscher Filmmuseen wird.

Der Reichtum der deutschen Filmgeschichte – CALIGARI, METROPOLIS, DER BLAUE ENGEL, Lubitsch, Murnau, Pabst, AMPHITRYON, MÜNCHHAUSEN, OPFERGANG, Staudte und Käutner, schließlich die 60er und 70er Jahre mit Fassbinder, Kluge, Schlöndorff und Wenders, mit Beyer, Carow und Wolf – dieser Reichtum der deutschen Filmgeschichte schützt uns zunächst vor der Armut der Gegenwart. Aber das setzt voraus, dass diese Filmgeschichte über ihre ständige Fernsehwerbung hinaus lebendig bleibt. Manchmal habe ich da meine Zweifel.

Im vergangenen Jahr hat die Kinemathek an zwei Stellen für ihr künftiges Filmmuseum geübt und Erfahrungen gesammelt. In Kirchhellen, eine knappe Autostunde von Düsseldorf entfernt, und Unter den Linden, also in der repräsentativen Mitte Berlins.

Der Bavaria Filmpark ist eine Freizeitattraktion in der Nähe von Bottrop: ein Gelände von 300.000 qm mit einer Kulissenstadt (Schimanski-City), einem nachgebauten Raumschiff (Orion), einem Filmstudio, einem Wasserfallgelände (Fantásien), einem Kinderpark und einer FX-Halle. In dieser Halle zeigt die Kinemathek auf 1.000 qm einen Teil ihrer Special-Effects-Sammlung: Entwürfe und Modelle, Masken und Puppen, Fotos und Plakate, Requisiten und technische Apparate. Als Leihgabe ist die Privatsammlung des Trickspezialisten Ray Harryhausen in die Ausstellung integriert. Insgesamt sind rund 1.000 Exponate zu sehen. Konzipiert wurde diese Ausstellung von unserem Mitarbeiter Rolf Giesen. Die Bavaria hat das Projekt erwartungsfroh finanziert. Wir haben in der Kinemathek dabei fünf Erfahrungen gemacht:

1. Bei einer Halle, auf einem Parkgelände, wenn sie speziell für eine Ausstellung errichtet wird, sollte man vor allem auf die Klimatisierung achten, sonst gerät man in die Gefahr, einen Teil der Exponate noch vor der Eröffnung durch Duplikate ersetzen oder ganz herausnehmen zu müssen.

2. Bei der Innenausstattung einer solchen Halle sollte man nicht zu viele Erwartungen in Oscar-Preisträger oder Design-Centren setzen, wenn diese auch noch für andere Attraktionen des Parks verantwortlich sind. Vor allem: nichts ist eine Frage des Vertrauens, sondern alles eine Frage des Vertrages,

3. Beim Beleuchtungskonzept einer Special-Effects-Halle sollte man sich nicht mit Hinweisen auf das Münchner BMW-Museum zufrieden geben. Effekt-Exponate brauchen Effektlicht, sonst verlieren sie sich im Diffusen.

4. Bei der Betreuung einer solchen Halle muss man wissen, dass die Zusammenarbeit mit einem profitorientierten Münchner Medienunternehmen, das in Nordrhein-Westfalen in die Zukunft investiert, kompliziert werden kann.

5. Wenn die Besucher eines Filmparks mit dem Motte angelockt werden: „Mehr als Kino – alles echt“, dann wollen viele die Dinge nicht nur betrachten, sondern mit ihnen spielen, egal ob es sich um ein Raumschiffmodell oder den kleinen Originalkopf von King Kong handelt. Bei den Geräten und Exponaten, die man durch Knopfdruck in Betrieb setzen kann, sollte ein gewiefter Techniker möglichst gleich daneben stehen. Man glaubt gar nicht, was der Spieltrieb von Kindern und Erwachsenen alles anrichten kann.

Das klingt alles ein bisschen naiv und ein bisschen verbittert. Es hat auch nichts mehr mit den Visionen zu tun, über die ich hier sprechen sollte. Lehrgeld nennt man den Betrag, der für solche Erfahrungen zu bezahlen ist.

Ein zweiter Ort, eine andere Zusammenarbeit. Von Dezember 1992 bis Februar 1993 fand im Berliner Zeughaus die Ausstellung „Die Ufa 1917-1945 – das deutsche Bilderimperium“ statt, veranstaltet vom Deutschen Historischen Museum und der Stiftung Deutsche Kinemathek. Es war ein Beitrag zum 75. Geburtstag des großen deutschen Filmkonzerns und der Versuch, das Wechselspiel zwischen Kinomythen und Zeitgeschichte darzustellen. Auf 2.400 qm, entlang einem roten Faden von 21 Filmen, erzählte die Ausstellung von Träumen und Realitäten eines Vierteljahrhunderts, umklammert von zwei Weltkriegen. Die Exponate kamen hauptsächlich aus dem Magazin des DHM (Geschichte) und aus dem Archiv der SDK (Film), ergänzt durch verschiedene Leihgaben. Finanziert wurde die Ausstellung von der Stiftung Deutsche Klassenlotterie in einer Größenordnung von 2,4 Millionen DM. Es kamen fast 100.000 Besucher. Auch hier nenne ich fünf Erfahrungen:

1. Trotz mancher technischen Probleme erwies sich das Zeughaus als gut geeignet für eine labyrinthisch konzipierte Ausstellung. Die Professionalität unserer Partner hat es möglich gemacht, das Projekt in nur neun Monaten zu realisieren. Etwas mehr Zeit hätte dem Unternehmen allerdings gut getan.

2. Der Ausstellungsarchitekt Marcel Keller – er kommt vom Theater – fand zum Teil sehr originelle Lösungen für das eher spröde Konzept „Film und Politik“, indem er den Stationen ganz unterschiedliche Räume gab: Kabinette und Säle, kleine Ecken und große Flächen, verspielt und streng, in schwarzweiß und Farbe, stumm und tönend. Was die Ausstellung wohl nicht zeigen konnte, war die reale Macht der Bilder.

3. Die Resonanz auf die Ausstellung war außerordentlich intensiv. Zwei Besucherbücher wurden mit Meinungen gefüllt, auch die überregionale Presse zeigte eine große Aufmerksamkeit. In der Kritik gab es zwei Positionen, die eine: zuviel Didaktik, zu bieder, zuviel muffige Nostalgie, zu wenig Glanz; die andere: zuviel buntes Getriebe, zu glamourös, zuviel Simulation, zu wenig Didaktik. Wie soll man diese Positionen miteinander versöhnen?

4. Jede große Filmausstellung, jedes Filmmuseum gerät in das Spannungsfeld zwischen populärem Interesse mit wenig Voraussetzungen bei den Besuchern und speziellen Ansprüchen mit viel Erwartungen bei Kritikern und Cineasten. Da ist es schwer, eine Balance herzustellen. Im Zweifelsfall ist ein Museum vor allem für die „normalen“ Besucher da.

5. Wichtig ist die Verbindung zwischen einer Filmausstellung und einem parallelen Filmprogramm. Im Zeughaus konnten die Ufa-Filme mit einem interessierten Publikum rechnen, das sogar neugierig auf kurze, kompetente Einführungen war.

Soviel zu einigen Erfahrungen der Kinemathek anlässlich zweier Ausstellungen. Unser eigene Filmmuseum wollen wir 1998 am Potsdamer Platz eröffnen – in einem Haus, das gemeinsam von den „Freunden der Deutschen Kinemathek“ mit ihrem Kino „Arsenal“, der „Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin“ mit ihrer großen Bibliothek und der „Stiftung Deutsche Kinemathek“ mit ihrer Sammlung genutzt werden soll.

Ich ende mit einer freundlichen Ermunterung aus einer Berliner Tageszeitung: „Hoffen wir, dass alle diese Anhörungen nicht ungehört verhallen, dass sich endlich Kräfte finden, um die ruhenden oder schwer in gang zu setzenden ’Instanzen’ zu bewegen, das Filmmuseum ins Leben zu rufen.“ Das Zitat verdanke ich meinem Kollegen Werner Sudendorf. Es stand 1928 im Berliner Tageblatt. Ein Menschenalter danach befinden wir uns noch immer in guter Hoffnung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

20. August 1993, Filmmuseum Düsseldorf