Texte & Reden
23. August 1993

Das Medium der Moderne

Über die Notwendigkeit von Filmmuseen für Potsdam und Berlin. 

Text für den Tagesspiegel

Unter der Überschrift „Erbengemeinschaft Sandmännchen“ berichtet der Tagesspiegel am 9.8.1993 von der Wiedereröffnung des Potsdamer Filmmuseums im Alten Marstall und fragt, warum es neben dem Potsdamer künftig noch ein Berliner Filmmuseum am Potsdamer Platz geben müsse. Die Ausstellungsfläche des Potsdamer Museums seit mit 800 qm zwar dürftig, und die Bestände seien auch noch nicht überwältigend, aber im Zuge der Vereinigung von Berlin und Brandenburg könne es doch nur ein Filmmuseum geben. Die Berliner Kinemathek solle ihren Besitz den Potsdamern überlassen, das geplante Filmhaus am Potsdamer Platz konzentriere sich am besten auf das Kino „Arsenal“. Wenn es dort unbedingt ein Museum geben müsse, dann sollte das ein Medienmuseum sein.

Die Direktorin des Potsdamer Filmmuseums, Bärbel Dalichow, wünscht sich eine dauerhafte Kooperation mit der Berliner Kinemathek und empfiehlt gleichzeitig den Verzicht auf die Berliner Museumspläne. Sie verschweigt, dass es bisher eine andere kollegiale Verständigung gab: Potsdam zeigt die Dauerausstellung „Filmstadt Babelsberg“, und Berlin entwickelt ein eigenes Konzept für seine Dauerausstellung. Die öffentliche Neugierde auf den Film und seine Produktionsgeschichte ist nach aller Erfahrung so groß, dass zwei Museen sich das Publikum nicht wegnehmen. Die Potsdamer profitieren von der Nähe zu Babelsberg, sie kümmern sich vor allem um Dokumente zur DEFA-Geschichte. In Berlin wird seit 30 Jahren zur deutschen und internationalen Filmgeschichte gesammelt. Der Tagesspiegel zitiert Erika Gregor von den „Freunden der Deutschen Kinemathek“: „ Die beste Sammlung, die ich kenne.“ Davon konnten sich Filminteressierte in Berlin, New York, Los Angeles, London und Paris, auch in Frankfurt und Düsseldorf immer wieder überzeugen – Potsdam nicht zu vergessen, aber das wissen die Potsdamer selbst viel besser. Dort hätte manche Ausstellung, so Bärbel Dalichow an den jeweiligen Eröffnungsabenden, ohne Exponate der Kinemathek gar nicht stattfinden können. Zu einer Gastausstellung wurde die Kinemathek bisher nicht eingeladen. Zurzeit recherchieren Potsdamer Mitarbeiter in den Archiven der Kinemathek; es gibt eine Wunschliste von Exponaten aus der Berliner Sammlung, ohne die das Potsdamer Vorhaben schwer zu realisieren wäre.

Der Tagesspiegel hat kontinuierlicher als jeder andere Berliner Zeitung über die Filmhauspläne am Potsdamer Platz, den Verkauf des Esplanade-Grundstücks an die Firma Sony und die Verpflichtung des Investors zum Bau eines Filmhauses berichtet. Er hat bei den Kulturpolitikern immer wieder speziell das Filmmuseum in Berlin angemahnt. Jeder an Kultur- und Filmpolitik interessierte Berliner weiß im Übrigen, dass Sony keine „Kultur-Millionen“ ausgibt und es der Firma nicht egal sein kann, was mit ihrem Geld passiert. Sony investiert in einen Gebäudekomplex am Potsdamer Platz. Und in ein Filmhaus, das dort neben Sonys Europa-Zentrale, einem Hotel, einem Wohnbereich und einem Bürohaus gebaut werden soll. Das steht im Vertrag mit dem Land Berlin und sichert ein Stück Kultur in der Mitte der Stadt.

Zur Erinnerung: Im Filmhaus wird es ein Kino – das „Arsenal“ der Freunde der Deutschen Kinemathek – geben, das seinesgleichen sucht, sowie die Deutsche Film- und Fernsehakademie mit ihrer in Europa einzigartigen Bibliothek; und eben die Kinemathek mit ihren Sammlungen, ausgestellt im Filmmuseum. Ein Schatz, international unbestritten, über Jahrzehnte mit Beharrlichkeit und Konsequenz, auch mit Glück und viel öffentlicher Unterstützung gesammelt. Zahlreiche Dokumente wurden der Kinemathek ausdrücklich für ein künftiges Berliner Filmmuseum anvertraut. Etwa die weltweit größten Sammlungsbestände zum deutschen Filmexil. Viele der von den Nazis verjagten Künstler haben sich davon überzeugen lassen, dass die Dokumente ihrer Vertreibung und Zeugnisse ihrer Arbeit im Filmmuseum Berlins ihren Platz finden müssen. Wer das Vertrauen der Emigranten aufs Spiel setzt, richtet nicht nur kulturpolitischen Schaden an.

Berlin braucht ein Filmmuseum. Filmgeschichte, die Berliner, die deutsche und internationale, ist nicht nur in einer Konzeption, in einer Inszenierung darzustellen. Wer mit offenen Augen durch Filmausstellungen in New York und London, in Frankfurt und nun auch in Düsseldorf geht, wird schnell begreifen, dass es eine Vielfalt methodischer Ansätze gibt, deren Erkenntnis- und Unterhaltungswert, deren Attraktivität im Miteinander und Gegeneinander besteht. Warum soll diese Chance in nachbarschaftlicher Nähe von Berlin und Potsdam kleinkrämerisch vertan werden? Wie verschiedenartig Filmgeschichte vorgeführt werden kann, haben vier Ausstellungen der Kinemathek gezeigt: 1986 „Special Effects“ (im Kaufhaus Wertheim), 1987 „Film…Stadt…Kino…Berlin“ (im Esplanade), 1992 „Special Effects“ (im Bavaria Filmpark, Kirchhellen), und „Die Ufa. Das deutsche Bilderimperium“ (gemeinsam mit dem Deutschen Historischen Museum im Zeughaus). Vier Modelle, die Fragen zu einer Museumskonzeption aufgeworfen und Antworten gegeben haben. Die Geschichte des Films ist nicht nur die des Filmstudios Babelsberg. Sie hat auch zu tun mit anderen Korrelaten, politischen, kulturhistorischen, erfreulichen und bedrückenden. Ein Filmmuseum in Berlin verbindet sich mit der kulturellen Identität dieser Stadt, in der der deutsche Film entstanden ist und bis heute ein Zentrum hat.

Gerade das Zusammenspiel von Kino „Arsenal“ und künftigem Filmmuseum in der Stadtmitte ist seit Anbeginn ein Kerngedanke der Planung: die Verbindung zwischen Dauerausstellung und filmhistorischem Repertoire, die Verzahnung von Wechselausstellungen mit Filmprogrammen. Wenn Sony, wie bisher geplant, ein kommerzielles Kinocenter auf das Grundstück platziert, muss das Filmhaus kulturelles Gewicht haben. Auch die Film- und Fernsehakademie gehört als Dritte im Bunde dazu. Wenn – wie zurzeit in der Diskussion – „die Mediathek“ unmittelbarer Nachbar des Filmhauses wird, kann das zur Stärkung beitragen.

Filmmuseen sind im Übrigen keine nostalgischen Plunderkammern, wo man sich nur an die gute alte Zeit erinnert. Sie deuten und erklären ein Phänomen der Kulturindustrie – vielleicht das bisher wichtigste, dessen Faszination tief ins Bewusstsein der Gesellschaft gewirkt hat. Sie fixieren filmische Bewegungen, damit man sie genauer wahrnehmen kann. Sie lassen den Blick hinter die Kulissen zu. Sie konkretisieren Filmliteratur bis in die dritte Dimension. Sie zeigen, wie sich Filmtechnik und Filmästhetik in einem Spannungsverhältnis entwickelt haben. Sie belegen Zusammenhänge zwischen Träumen und Realitäten, zwischen Mode und politischer Macht. Sie sind – gemessen an solchen Ansprüchen – auch noch erstaunlich populär. In diesem Zusammenhang ist der Hinweis aus dem Hause des Kultursenators, dass Berlin neue touristische Attraktionen brauche, keineswegs bizarr. Das Filmmuseum am Potsdamer Platz wird eine sein.

In Berlin gibt es viele kulturelle Einrichtungen, aber nur wenige, die sich dem Film, dem bedeutendsten Medium der Moderne widmen. Es ist fahrlässig, Berlinisches und Brandenburgisches gegeneinander auszuspielen und in einen Verteilungskrieg zu verwickeln. Die finanzielle Krise der Kultur verkennen wir nicht. Kluge Rettungsmanöver sind gefragt, aber auch solide Planung und kritische Solidarität.

Der Tagesspiegel, 23. August 1993, Rubrik „Berliner Beiträge“