Texte & Reden
14. Juli 1992

LOLA (1981)

Filmeinführung im Kino Arsenal

Filmeinführungen haben den grundsätzlichen Nachteil, dass einer über etwas spricht, was die anderen noch nicht kennen. Ich soll reden – Sie wollen den Film sehen. Ich gebe mir also Mühe, es kurz zu machen und Ihre Neugier auf lola nicht zu beschädigen.

Von den 26 Kinofilmen, die Fassbinder gedreht hat, spielen 18 in der Bundesrepublik Deutschland, in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren. Ort und Zeit der Handlung sind konkret fixiert oder aus dem Ambiente zu entschlüsseln. Drei seiner späten Filme – die ehe der maria braun (gedreht Anfang 1978), die sehnsucht der veronika voss (Ende 1981) und lola (Anfang 1981) – hat Fassbinder selbst mit der Nummerierung BRD 1 – 2 – 3 in einen historischen Zusammenhang gestellt, als er sich 1980 entschlossen hatte, eine „Gesamtgeschichte der Bundesrepublik Deutschland“ aus seiner Sicht zu erzählen. „Ich werde viele Filme machen, bis ich mit meiner Geschichte der BRD hier und heute angekommen bin“, schrieb er 1981. Mit seinem Tod reduzierte sich dieser Plan auf die genannte Trilogie, und die Erzählchronik endet im Jahr 1958. Aber es waren ja auch und vor allem die fünfziger Jahre, die Fassbinder damals interessierten, also die Zeit, in der er aufgewachsen ist.

Den Credit als Drehbuchautoren teilen sich für die drei Filme Peter Märthesheimer und Pea Fröhlich. Fassbinder reklamierte für sich nur die Idee zu maria braun und die Dialogmitarbeit an lola. Dass er in einem komplexeren Sinn eine Autorenschaft beanspruchen darf, ist eine andere Frage.

Die Drehbuchfassung vom März 81 – Drehbeginn war im April –  ist als Regiedrehbuch im Fassbinder-Nachlaß zugänglich. Das Manuskript enthält in 65 Szenen den Handlungsablauf, Angaben zu den Schauplätzen und den ausformulierten Dialog. Von Fassbinder handschriftlich hinzugefügt sind: Titel der verwendeten Musikstücke, Veränderungen im Dialog, Ergänzungen im Szenenablauf und Skizzen zur Bildauflösung in Form eines groben Storyboards. Hinweise zur Farbgebung fehlen völlig – auf die Farbe komme ich gleich noch kurz zu sprechen.

lola spielt in einer mittelgroßen Stadt in der Bundesrepublik. Das Drehbuch lokalisiert die Handlung nicht genauer und datiert sie auf den Herbst 1957: ein Wahlplakat soll für Konrad Adenauer und die CDU werben, Slogan: „Keine Experimente“. Schauplatz des Films wurde dann Coburg im bayerischen Oberfranken, eine Stadt mit 40.000 Einwohnern. Ihre malerische Kulisse ist optisch allerdings kaum genutzt. Durch zwei Tondokumente konkretisiert Fassbinder die Zeit genauer als das Drehbuch: In der ersten Hälfte des Films ist eine Adenauer-Rede vom November 1956 zu hören, die sich auf den Aufstand in Ungarn bezieht, am Ende in einer gezielten Analogie zur ehe der maria braun eine Rundfunkreportage vom Fußballweltmeister-schaftsspiel zwischen der Bundesrepublik und Schweden im Sommer 1958:

Deutschland verlor das Spiel, und der Verteidiger Juskowiak wurde vom Platz gestellt. Die beiden Tondokumente werden aber nicht als zeitgeschichtliche Konkretisierungen wichtig genommen, sondern als Metaphern. Adenauers Stimme ist das akustische Unterfutter für eine zentrale Dialogstelle der Protagonisten des Films, in der es um die Moral der Gesellschaft geht. Und die Fußballreportage signalisiert einen Abstieg: vom Weltmeister 1954 in der ehe der maria braun zum Verlierer 1958.

Mit der Farbe – Sie werden das schon beim Vorspann merken – wird immer wieder ein Verwirrspiel getrieben. Wenn polarisierte Begriffe, Personen oder Welten aufeinander treffen, sind oft zwei Farben als Spannungsverhältnis im Bild, vor allem: blau und rot.

Von Anfang an sind die Gesichter Projektionsflächen für Farben. Der menschlichen Haut, die sonst immer als Maßstab für die „Natürlichkeit“ der Farbe gilt, fehlen hier die realen Nuancen. Farben sind Masken auf den Gesichtern: blau, rosa, rot, gelb. Wie im Karneval, wo die Menschen außer sich sind, wenn sie sich verkleiden, schminken und maskieren.

Die Episoden des Films sind optisch und akustisch durch stark akzentuierte Blenden getrennt. Das Bild verschwimmt dann jeweils in eine extreme Unschärfe, deren Höhepunkt ein tiefes Blau bildet, das musikalisch akkordiert wird. Das schafft Distanz, betont das Fragmentarische der erzählten Geschichte und pointiert den Erzählrhythmus.

Schließlich ist noch eine andere Dimension des Films zu beachten. Fassbinder ging es in der Farbstilisierung, in seinem Bestehen auf extremer Künstlichkeit, nicht nur um seine Haltung zu den fünfziger Jahren, sondern auch um seine Haltung zum Kino. Er hat sich immer gegen die Dogmen des engen Fernsehrealismus zur Wehr gesetzt, etwa mit seiner Serie acht stunden sind kein tag gegen die so genannte „Berliner Schule“ von Ziewer und Lüdcke/Kratisch opponiert. Die Irrealität seiner Farben weist nachdrücklich darauf hin, dass wir es bei lola mit einem kinematografischen Artefakt, einem Kunstgebilde und keiner simplen Rekonstruktion zu tun haben.

lola ist Kino. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen.

Berlin, Kino Arsenal, 14. Juli 1992