Texte & Reden
19. Dezember 1989

Heinz Rathsack (1924-1989)

Trauerrede, Berlin, Friedhof an der Heerstraße

 

Liebe Frau Rathsack, verehrte Trauergäste.

Dies ist ein bitterer Moment für die Angehörigen und für alle, die Heinz Rathsack verbunden waren. Ein Moment, in dem der Verlust mehr zu fühlen als zu beschreiben ist. Aus unserer langen Zeit einer kollegialen, freundschaftlichen Zusammenarbeit gehen mir Gedanken durch den Kopf, die ich noch nicht Erinnerungen nennen kann.

Dr. Rathsack hatte eine freundliche, offene Art, auf Menschen zuzugehen, sich für sie zu interessieren, Anteil zu nehmen. Aber das geschah nicht mit einer umarmenden Geste, er war immer auch abwartend, beobachtend, er behielt eine lächelnde Distanz. Manche nannten das Norddeutsch. Er konnte streng sein, er war das selten. Es hat ihn besondere Mühe gekostet, denn er war vor allem harmoniebedürftig. Es versteht sich, dass diese Harmonie in all den Jahren nicht leicht zu haben war, schon gar nicht für den Leiter von zwei anspruchsvollen Institutionen.

Ich erinnere mich an viele Sitzungen: Akademischer Rat, Kuratorium, später Stiftungsrat der Kinemathek. Dr. Rathsack hatte eine große Fähigkeit, den Verlauf und die Ergebnisse solcher Sitzungen zu interpretieren. Er entdeckte auch in Niederlagen und Enttäuschungen immer noch einen Ausweg. Er respektierte Abstimmungen, aber er dachte längerfristig. Dies setzte eine große Geduld voraus und die Kraft zum Umweg, zur längeren Strecke. Bestimmte Ziele hat er dabei nicht aus den Augen verloren. Er kannte die Mechanismen der Bürokratie und kalkulierte sie ein. Es gab Phasen, in denen er alle Mühe hatte, den Druck von außen und innen auszugleichen.

Die Akademie wird bald ein Vierteljahrhundert alt. In ihrem Selbstverständnis ist sie geprägt vom Autorenfilm, also von einer vielfachen Verantwortung des einzelnen für sein Tun. Als Direktor dieser Akademie hat Dr. Rathsack den Raum geschützt, den Studenten für eine Selbstfindung und erste Selbstverwirklichung brauchen. Er stellte sich also nicht in den Mittelpunkt dieses Raums. Seine Aufgabe sah er darin, anderen etwas zu ermöglichen. Er war ein Anreger und Förderer. Sein Verzicht, Macht auszuüben, war verbunden mit einem Anspruch an seine Mitarbeiter: Verantwortung zu übernehmen, mitzudenken. Sie konnten dafür in schwierigen Situationen seiner Fürsorge sicher sein.

Die Kinemathek hat er aus einem Schattendasein herausgeführt, indem er sie im Inneren verstärkt und gleichzeitig von außen wahrnehmbar gemacht hat: durch Retrospektiven, Publikationen, Ausstellungen. Auch hier hat er einen Raum geschaffen für die Arbeit von anderen. Deutlich wird das an seinen Beiträgen: er hat sehr schöne Vorworte geschrieben, Texte, die etwas öffnen, vermitteln.

Dr. Rathsack stellte Verbindungen her – und ich meine das in einem tieferen Sinne. Als Leiter der Kinemathek und Direktor der Filmakademie verkörperte er eine Beziehung zwischen der Geschichte und der Zukunft des Mediums. In der Akademie hat er die technische Ausstattung im Auge gehabt – aber eben auch die Bibliothek. Er hat sich den anderen Filminstitutionen der Stadt verbunden gefühlt: den „Freunden der Deutschen Kinemathek“, den Filmfestspielen, dem Berliner Arbeitskreis Film, dem Verein Filmhaus e.V., der Filmabteilung der Akademie der Künste. Seine Koordinierungsfähigkeiten waren bewundernswert.

Als er den Plan eines Filmhauses entwickelte und mühevoll verfolgte, war es ihm um die produktive Verknüpfung der verschiedensten Arbeiten zu tun. Nicht mit dem Ziel bloßer Repräsentation, sondern angemessener Repräsentanz.

In der Kinemathek hatte Dr. Rathsack vor zwei Jahren die ersten Gedanken für das Jahr 1995 formuliert: Da wird das Kino 100 Jahre alt. Er wollte an einem Projekt über Skladanowski mitarbeiten. Er hatte viele Pläne.

Dr. Rathsack war einer derjenigen, für die ein Gruß Bedeutung hatte: im Ausrichten und im Entgegennehmen. Wenn man an seiner statt auf eine Reise ging, hatte man viele Grüße von ihm mitzunehmen. Es will mir noch nicht in den Kopf, dass wir hier beisammen sind für einen letzten Gruß.

Berlin, Friedhof an der Heerstraße, 19. Dezember 1989.