Texte & Reden
15. Oktober 1981

William Wyler (1902-1981)

Nachruf für die Zeitschrift Filme

Zuerst erinnere ich mich an Männer, wenn ich an Filme von William Wyler zurückdenke, an Kämpfe und ungeklärte Beziehungen: zwischen Joel McCrea und Humphrey Bogart in dead end, zwischen Gary Cooper und Walter Brennan in the westerner, zwischen Dana Andrews und Fredric March in the best years of our lives, zwischen Fredric March und Humphrey Bogart in the desperate hours, zwischen Gregory Peck und Charlton Heston in the big country, zwischen Charlton Heston und Stephen Boyd in ben hur. An der Oberfläche werden diese Beziehungen allerdings geklärt, in den Stories siegt eine Moral: Law and Order.

Dann erinnere ich mich auch an Frauen: Sylvia Sidney, Greer Garson, Myrna Loy, Olivia de Havilland, Jennifer Jones, Jean Simmons, Barbra Streisand. Und an ein Stück von Lilian Hellman, das Wyler zweimal verfilmt hat: „The Children’s Hous“, 1936 mit Merle Oberon und Miriam Hopkins these three), 1961 mit Audrey Hepburn und Shirley MacLaine (the children’s hour / infam). Da geraten zwei Frauen in den Verdacht einer lesbischen Beziehung. Natürlich kommt das Wort „lesbisch“ nicht vor, und der Verdacht wird entkräftet. Also: nicht Filme über Beziehungen zwischen Frauen, sondern nur über einen Verdacht.

Aber dann erinnere ich mich an drei Filme mit Bette Davis. Der erste spielt in New Orleans, Mitte des 19. Jahrhunderts. Julie, eine schöne, eigenwillige Frau, verliert ihren Verlobten durch ihre Egozentrik. Der Mann geht in den Norden und kehrt – verheiratet – nach Jahren zurück. Julie hat auf ihn gewartet. Sie gewinnt ihn zurück, als es zu spät ist. Sie begleitet den an Gelbfieber Erkrankten auf die Insel der Todgeweihten. Tödliche Leidenschaft auch im zweiten Film: Leslie, mit einem – dem falschen – Mann verheiratet, liebt einen anderen. Den bringt sie um. Damit beginnt der Film. Er spielt auf einer malaiischen Plantage, wo es sehr heiß ist. Vor Gericht wird Leslie freigesprochen. Aber von der Witwe ihres Liebhabers wird sie am Ende erstochen. Und: Die Geschichte eines Südstaaten-Clans um 1900. Aus obskuren Geldgeschäften hält sich nur der herzkranke Horace heraus, dessen Frau (Bette Davis) ihm schließlich die Medizin entzieht. Horace stirbt. Der Mörderin ist nichts nachzuweisen, aber sie verliert die Achtung ihrer Tochter.

Drei Bette-Davis-Filme: jezebel (1937), Kamera: Ernest Haller, der Mann: Henry Fonda; the letter (1940), Kamera: Tony Gaudio, der Mann: Herbert Marshall; the little foxes (1941), Kamera: Gredd Toland, der Mann: wieder Herbert Marshall.

Was diese Filme zeigen, hat man früher „Sittenbilder“ genannt. Denn diese Filme handeln vom Egoismus und von der Leidenschaft schöner Frauen, vom Tod, von der Nacht, von Rache, aber nicht von Law and Order. Es sind Filme, die Räume zeigen, aber kein weites Land. Und es gibt ein Außen und Innen der handelnden Personen, das durch Gesichter, Gesten, Stellungen zueinander, durch Kostüme (Orry-Kelly), durch Musik und durch Kamerabewegungen in Szene gesetzt wird. Es sind sehr bewegende, schöne Filme.

Zu Wyler gehören auch: seine Experimente mit der Schärfentiefe, seine Wertschätzung durch André Bazin, drei Oscars und eine Art sozial-demokratischer Haltung, die sich vor allem in seinen Nachkriegsfilmen ausdrückt. Und zu Wyler gehört eine Vielfalt der Genres: Melodram und Musical, Antik- und Detektivfilm, Thriller und Komödie, Western.

Western eines Europäers. Willy Wyler, geboren in Mylhausen, einem 9000-Seelen-Städtchen im damals deutschen Elsaß-Lothringen, hatte sein Leben land Heimatrecht im Argau, war stolz auf einen Schweizer Pass, sprach überraschend gut deutsch (mit elsässischem und schwyzerischem Akzent) und kam oft nach Europa. Die Wylers waren eine Kaufmannsfamilie, der Vater stammte aus der Schweiz, die Mutter aus Schwaben, und ein entfernter Cousin der Mutter war jener Carl Laemmle, der 1906 in Chicago ein Nickelodeon eröffnet und 1915 in Kalifornien die Universal Film Manufacturing Company gegründet hat. Willy besuchte eine gute Schule in Lausanne, studierte ein bisschen in Paris und Zürich und folgte schließlich 1920 einer Einladung seines Onkels Laemmle nach Amerika: fand einen Job in der New Yorker Filiale von Universal, wechselte bald in ein Büro nach Universal City, und irgendwann fing seine Karriere an; sie begann ganz unten: als Assistent des Regieassistenten von Wallace Worsley, der 1923 the hunchback of notre dame drehte; dann jobte Willy quer durch das Studio und war schließlich 1925 als einer von x Regieassistenten von Fred Niblo beteiligt an MGMs ben-hur.

Die ersten Filme, die Wyler als Regisseur anvertraut wurden, waren Serienwestern: 20-Minuten-Streifen, die freitags in Angriff genommen wurden und am darauffolgenden Freitag fertig geschnitten sein mussten. Eine harte Schule, und seither gilt Wyler als einer, der sein Handwerk gelernt hat.

Bei den Western, die Wyler später gedreht hat, ging es aber vor allem um Botschaften. Bei hell’s heroes (1930) um die christliche Botschaft. Drei Outlaws treffen in der Wüste auf eine Frau, die ein Kind zur Welt bringt und danach stirbt. Die Outlaws – von denen einer nach dem anderen zu Tode kommt – tun alles, um das baby zu retten; bevor der letzte an einem Schlangenbiss stirbt, liefert er das Kind in einer Stadt ab, die New Jerusalem heißt. friendly persuasion / lockende versuchung (1957) beschreibt – und das ist seine Botschaft – , wie schön der Frieden für die Menschheit wäre, wenn die Menschen friedlich wären.

Auch the big country / weites land (1958) ist ein Film, der gegen Gewalt plädiert. Dann kommt ein Schiffskapitän aus dem Osten (Gregory Peck)in den Südwesten, weil er dort eine Rancher­tochter heiraten will. Und er kollidiert – friedfertig, wie er sich gibt – mit dem Vorarbeiter auf der Ranch (Charlton Heston) und überhaupt mit dem Verhaltenskodex seiner neuen Umgebung. Er gerät in den Zwist zweier verfeindeter Sippen, kann ein Showdown der Väter nicht verhindern und heiratet am Ende die – auch aus dem Osten stammende – Lehrerin des Ortes (Jean Simmons). Der Film ist lang und gibt sich sehr pazifistisch, aber er ist vor allem spannend, wenn sich in Konfron-tationen Gewalt ausdrückt. „Peace is a pious precept, but fightin’ is more  excitin’. That’s what it proves“, schrieb der Kritiker der New York Times.

the westerner / in die falle gelockt (1940) ist Wylers schönster Western, weil Walter Brennan den Judge Roy Bean spielt. Der Film handelt von Viehzüchtern und Farmern und von einer Frau (Lily Langtry), die am Ende auch kurz zu sehen ist. Gary Cooper spielt mit. Aber vor allem: Walter Brennan, fotografiert von Gregg Toland.

Filme, Nr. 11, Oktober/November 1981.