Texte & Reden
15. Juni 1980

Peter Nestler im Schlagerfilm

Text für die Zeitschrift Filme

     I.

„Ich glaube immer mehr, dass Nestler der wichtigste Filmemacher in Deutschland seit dem Kriege gewesen ist…“ (Jean-Marie Straub, 1968). Seit 1966 lebt Peter Nestler in Schweden.

     II.

Mein Vater war Geschäftsmann und hatte manchmal Pech mit Geschäften. Er hatte kein Geld mehr, musste mich aus der Schule nehmen und hat mich dann wieder rein getan. Er hat mit Kunststoff gearbeitet. In einem Betrieb, mit dem er Geschäfte machte oder an dem er beteiligt war, hab ich dann in verschiedenen Abteilungen gearbeitet. Dann bin ich nach Hamburg in eine Exportfirma. Die Exportfirma ging pleite, noch bevor ich wirksam werden konnte, nach vier Mona­ten. Und da war mir das alles über. Und ich bin bei der Hapag gefahren, zuerst noch auf einem schwedischen Tanker. Insgesamt war ich zwei Jahre auf See… Dann hab ich es auf Wunsch meines Vaters im Familienbetrieb versucht. Ich hab da so ein Schuldgefühl oder Pflichtgefühl gehabt. Dann habe ich mich mit den Arbeitern solidarisiert gegenüber der Geschäftsleitung. Man merkte, das haut nicht hin. Und ich habe dann – ich hab immer gern gemalt – angefangen mit der Malerei, dann mit Siebdruck. Und dann fings an mit Film. (Peter Nestler)

     III.

Bevor es mit dem Filmen anfing, fing es an mit dem Spielen im Film. Wäre Peter Nestler nicht so wortkarg und uneitel, würde er vielleicht Anekdoten aus der Zeit erzählen, als er Schauspieler war.

Zuerst – und da hatte er ja Erfahrungen – gerät er in den Schlagerfilm paradies der matrosen (Regie: Harald Reinl, 1959). Der Kunststudent Nestler wohnt damals in München zur Untermiete bei einer Gesangslehrerin mit guten Kontakten zum örtlichen Film. Sie vermittelt Nestler, der da mindestens so toll aussieht wie der junge Tony Curtis, auf Anhieb eine Fast-Hauptrolle: Er spielt einen patenten Seemann, der zusammen mit Boy Gobert in Rio de Janeiro das Millionärstöchterchen Margit Saad aus höchster Gefahr errettet. Er unternimmt mit ihr eine abenteuerliche Gruppenreise auf eine Schatz-insel, wird zeitweise von ihr geliebt, behält aber in der konfusen Handlung einen klaren Kopf: Er organisiert die Rückreise nach Rio und mustert schließlich mit seinem Kollegen Gobert auf einem Frachter nach Hamburg an. „Wenn auch die Matrosen auf der Insel eine paradiesisch schöne Zeit verbracht haben, ihr Element, zu dem sie sich stets hingezogen fühlen, wird doch immer die See sein.“ (Illustrierte Film-Bühne)

An der Arbeit, wenn Nestler sich heute an sie erinnert, schockiert ihn besonders die schablonisierte Produktionsweise.

Eine Karriere als Schauspieler ereignet sich nicht. Nestler studiert an der Kunstakademie und agiert als Gelegenheitsdarsteller in Fernseh-krimis des Bayerischen Rundfunks, dann bei Helmut Käutner in schwarzer kies. 1961 gibt es noch einmal eine Hauptrolle: Unter der Regie von Axel von Ambesser ist er Partner von Heidi Brühl in dem Schlagerfilm eine hübscher als die andere. Nestler spielt einen Millionärssohn, den „König der jungen Playboys“, der sich in eine Modezeichnerin verliebt. Um ihr Herz zu gewinnen, arbeitet er als Mechaniker „und findet zu seinem eigenen Erstaunen und beflügelt durch seine Verliebtheit mehr und mehr Geschmack am einfachen, anständigen, arbeitsamen Leben. Die Liebe erweist sich hier als ein moralisches Wunderkraut.“ (Illustrierte Film-Bühne) Heidi und Peter kriegen sich nach Überwindung einiger Missverständnisse.

     IV.

1962 machte Peter Nestler seinen ersten Film, am siel, zusammen mit dem Fotografen Kurt Ullrich. Der Film besteht aus vielen kurzen Einstellungen, er ist in 35mm-schwarzweiß vor allem aus unverbrauchtem Restmaterial gedreht.

     V.

1967 wollte Peter Nestler einen Spielfilm inszenieren. Er sollte „Der Kandidat“ heißen… Das Drehbuch stammte von Peter Nestlers Freund Reinald Schnell aus Mülheim/Ruhr. Trude Herr sollte die Hauptrolle spielen. Die Trude Herr, die in circa 130 Schlager- und Torten-schlachtenfilmen mitgespielt hat. Wenn man Peter Nestler fragt „Warum Trude Herr?“, dann sagt er nur: „Weil sie gut ist.“ Der Film wurde nicht gedreht, weil das Drehbuch bei den Förderungsgremien keinen Anklang fand.

     VI.

Peter Nestler hat, bevor er nach Schweden emigrierte, den Film ein arbeiterclub in sheffield gemacht, der im Deutschen Fernsehen unter dem Titel menschen in sheffield laufen musste. Es ist ein sehr schöner Film, der uns auch erleben lässt, dass triviale Musik so reproduziert werden kann, dass die, die sie reproduzieren, und die, die sich dabei amüsieren, nicht verachtet werden. Das, unter anderem, unterscheidet diesen Film von deutschen Schlagerfilmen.

Filme, Nr. 3, Juni 1980.