Texte & Reden
01. Januar 1974

Über den Nutzen einer Film- und Fernsehakademie

Text für die Fernsehspiel-Broschüre des WDR

Der Ruf einer Filmschule wird vor allem von ihren Absolventen bestimmt. Wer also die Frage stellt nach dem Nutzen der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, muss als Antwort die Namen von Filmemachern gelten lassen, die nach ihrer Ausbildung durch Spiel- oder Dokumentarfilme au sich aufmerksam gemacht haben.

Nun sind die Möglichkeiten, in der Bundesrepublik gleich nach dem Studium einen langen Film zu machen, weißgott begrenzt. Die Akademie muss der Fernsehspielabteilung des WDR das Kompliment machen, dass sie es mit Berliner Absolventen gut meint. Christian Ziewer und Georg Lehner konnten für den Sender ihre ersten großen Filme herstellen (Liebe Mutter, mir geht es gut bzw. Zwei kluge Männer und die Treue einer Frau). Wolfgang Petersen hat nach Arbeiten für den NDR und Radio Bremen 1973 zwei außergewöhnliche Filme für den WDR gemacht: Smog und van der Valk und die Reichen. Ziewer, Lehner und Petersen hatten außerdem die Möglichkeit, mit Kameraleuten zusammenzuarbeiten, die wie sie selbst von der Berliner Akademie kamen: mit Jörg-Michael Baldenius und Carlos Bustamante.

Die Serie dieser 1973 ausgestrahlten Filme von Akademie-Absolventen setzt sich nun fort mit Lohn und Liebe von Ingo Kratisch und Marianne Lüdcke. Diesen beiden Filmemachern ist die Chance, ihren ersten Film nach der Akademiezeit zu produzieren, ungewöhnlich schnell zugefallen zwischen dem DFFB-Film DIE WOLLANDS und dem WDR-Film LOHN UND LIEBE lag ein knappes Jahr, das vorwiegend dazu benutzt wurde, die Erfahrungen aus dem einen Film auszuwerten, um darauf die Vorbereitung des nächsten aufzubauen.

Der unmittelbare Übergang vom Studium in eine professionelle Pro-duktion hat den Beteiligten – also dem WDR, den Filmemachern und der Akademie – vielleicht einigen Aufschluss darüber gegeben, was die vorangegangene Ausbildung genutzt hat. Die Akademie, so sagen Ingo Kratisch und Marianne Lüdcke, vermittelt drei wichtige Voraus-setzungen für eine spätere Produktionspraxis:

1. Man macht in der dreijährigen Ausbildung so viel Erfahrungen mit der Technik von Film und Fernsehen (Kamera, Ton, Schnitt, Trick), dass man später die wichtigsten Geräte gut bedienen oder zumindest vertrauensvoll mit Spezialisten zusammenarbeiten kann. Wenn – wie bei Lohn und Liebe – die Cutterin für 14 Tage aus dem Schneide-raum ins Krankenhaus überwechselt, hinterlässt sie keinen hilflosen Regisseur.

2. Man lernt an der Akademie auf der Grundlage eigener gesellschaft-licher Erfahrungen wichtige politische und soziale Widersprüche zu recherchieren und zu analysieren, um diese Widersprüche konkret im Dokumentar- oder Spielfilm darzustellen. Wenn – wie bei LOHN UND LIEBE –  die Situation der Frau im Betrieb behandelt wird, dann arbeiten die Filmmacher eine Weile vor Ort und gehen an das Thema gleichermaßen theoretisch und praktisch heran.

3. Man guckt an der Akademie viele fremde Filme an, um für die eige-nen Filme zu lernen. Das Gucken ist verknüpft mit dem Reden über Filme, so dass man Filme nicht isoliert oder nur zufällig sieht, sondern bewusst und im Zusammenhang. Wenn – wie bei LOHN UND LIEBE – Fabrik und Familie, Autofahrt und Achterbahn ins Bild kommen, dann werden Seherfahrungen verarbeitet, die im Akademiekino erworben worden sind. Auch die Zuschaukunst spielt also in der Ausbildung eine Rolle.

Was aber ist neu und ungewohnt, wenn man nach der Akademie den ersten Fernsehfilm macht? Akademieproduktionen entstehen in einem Freiraum, der im Grunde nur materiell (Höhe der Produktionskosten) eng begrenzt ist. Projekte werden nicht von einer Redaktion oder von der Hierarchie einer (Fernsehspiel-)Abteilung beeinflusst, sondern nur vom kritischen Zuspruch der Dozenten und Studenten. Unter diesen Bedingungen wirkt es sich dann nur auf die eigenen Lern- und Erfolgs-erlebnisse aus, ob ein Film in den Sand gesetzt wird oder bis ins Fernsehprogramm vorstößt.

Ganz anders, wenn im Auftrag des Fernsehens oder in der Anstalt selbst produziert wird. Exposé und Drehbuch müssen erst einmal durchgesetzt werden. Partner sind nun nicht mehr die Kollegen in der Akademie, sondern Redakteure, Profis, die vom Interesse einer Abtei-lung und eines Programms aus argumentieren. Da kann es – wie bei LOHN UND LIEBE – eine produktive Zusammenarbeit geben, da können aber auch die ersten Schwierigkeiten auftreten.

Die Dreharbeiten sind wohl immer nur so gut, wie der Stab es will. Wie verhalten sich die Techniker, die Schauspieler und die anderen Mit-arbeiter einem jungen, noch nicht erfahrenen Regisseur gegenüber? Da können Spannungen auftreten, denen der Akademieabsolvent nicht immer gewachsen ist. Hier mag LOHN UND LIEBE ein Ausnahmefall sein, weil die Filmemacher – betreut vom Filmverlag der Autoren – in ihrer vertrauten Umgebung produzieren konnten und die Auseinander-setzungen im Team auf einem hohen Niveau ausgetragen wurden.

Schließlich die Abnahme durch die Redaktion und die Aufnahme beim Publikum. Wie wird der Film in der Abteilung akzeptiert? Wie kommt er in der Hierarchie an? Mit welcher Einschätzung gerät er ins Programm? Das ist ein Terrain, auf dem Akademieabsolventen wohl am wenigsten Erfahrungen mitbringen können, wo sie lernen müssen, sich zu behaupten und ihr Produkt richtig zu vertreten. Im besten Fall ist dann das, was gesendet wird, eine Summe der eigenen und fremden Ansprüche, der eigenen Möglichkeiten und der fremden Einflüsse.

In: Fernsehspiele Westdeutscher Rundfunk, Januar- Juni 1974.